Regionalforum in Halle Wie der Kampf gegen Antisemitismus aussehen kann
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08. November 2023, 07:57 Uhr
Wie kann der Kampf gegen Antisemitismus besser gelingen? Darüber haben Fachleute aus Wissenschaft und Praxis auf einem Regionalforum in Halle diskutiert. Bestimmt wurde die Veranstaltung von der jüngsten Eskalation im Nahen Osten – und dem Schutz von jüdischem Leben im Land.
- Bei einem Regionalforum in Halle geht es um den Kampf gegen Antisemitismus.
- Historiker Dmitrij Belkin erklärt, dass viele Jüdinnen und Juden derzeit in Angst leben müssten.
- Expertin Lisa Johanne Jacobs sagt, Antisemitismus sei in allen Teilen der Gesellschaft vorhanden.
Die Brisanz ist am Dienstag schon von der Straße aus zu erkennen. Das Literaturhaus in Halles Norden wird von der Polizei abgesichert, ein Streifenwagen mit Beamten wacht am Eingang zum Regionalforum für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus. Es ist eine Veranstaltung, die lange vor der jüngsten Eskalation in Nahost geplant war – deren Thema aber nun aktueller denn je ist.
Katharina Landgraf vom Kuratorium der veranstaltenden Deutschen Gesellschaft e.V. sagt gleich zu Beginn, man habe nicht geahnt, "wie aktuell, ja brisant das Thema" sei. Umso schwerer falle ihr es nun, angesichts des Terrorangriffs der Hamas auf Israel zu sprechen. "Mir fehlen die Worte, wenn ich über die Ereignisse des 7. Oktober sprechen will und soll." Dringender als je zu vor müsse man dem Antisemitismus entgegentreten und jüdischen Mitmenschen Schutz und Geborgenheit bieten . "Da ist jeder gefragt."
Historiker Belkin: Jüdinnen und Juden leben in Angst
Was nötiges Engagement aber konkret bedeutet, das wird am Dienstag in Statements, Vorträgen und Diskussionsrunden besprochen. Der Theorie-Blick aus der Wissenschaft trifft dabei auf konkrete Initiativen für jüdisches Leben vor Ort. Die freien Plätze werden im Literaturhaus Halle am Vormittag jedenfalls schnell knapp. Das Interesse ist groß, die Projekte vielfältig – die Bestandsaufnahme allerdings gleichwohl bedrückend.
Historiker Dmitrij Belkin von der Denkfabrik "Schalom Aleikum" betont, Jüdinnen und Juden müssten derzeit in Angst leben, es gebe extrem viele antisemitische Vorfälle, jüdische Häuser würden teils – wie in der Zeit des Nationalsozialismus – markiert. Dass öffentlich sichtbare Jüdinnen und Juden gefährdet seien, sei "nichts Neues, aber das nimmt zu", sagt Belkin. Es sei allerdings auch kein Selbstläufer, sich gegen Antisemitismus zu engagieren. So sei Ehrenamt nicht nur ein Zeit-, sondern auch ein Geldfaktor. Auch die veränderte Mediennutzung hin zu Social Media sorge für Schwierigkeiten, weil so Fake News und Propaganda junge Menschen leichter erreichten.
Stärkerer Fokus auf DDR-Sozialisation?
Lisa Johanne Jacobs von der Recherche- und Informationsstelle RIAS in Thüringen sagt, aus wissenschaftlicher Sicht sei es kaum überraschend, was derzeit auf den Straßen geschehe. Israelbezogener Antisemitismus nehme seit Jahren zu. Auch im politisch linken Lager gebe es eine "ganz lange Tradition" von Israelhass mit dem Vorwurf eines kolonialistischen Staats. Studien zeigten, dass Antisemitismus in allen Teilen der Gesellschaft vorhanden sei, aber zunächst immer aus einer gebildeten Mitte komme. "Man sieht, dass Bildung nicht vor Antisemitismus schützt", sagt Jacobs.
Dass beim Thema Antisemitismus in Ostdeutschland stärker die Sozialisation durch die frühere DDR beachtet werden müsse, findet Michael Schüßler von der Meldestelle RIAS in Sachsen-Anhalt. Es habe sich um eine autoritäre, militarisierte Gesellschaft in der DDR gehandelt. Auch beim Attentäter von Halle habe ein daraus resultierendes Milieu eine Rolle gespielt.
Forderung nach mehr verpflichtenden Bildungsangeboten
Ähnlich äußert sich Theaterregisseur Benno Plassmann vom Projekt "Chasak! Gegen Antisemitismus im ländlichen Raum". Er weist darauf hin, dass etwa die Antisemitismusprävention sehr westdeutsch geprägt sei. Es sei ein "dringender Beitrag" aus Ostdeutschland nötig, sagt Plassmann im Literaturhaus.
Eine Stimme aus der Museumspraxis kommt von Anne Matviyets vom jüdischen Museum in Halberstadt. Sie kritisiert, viele Bildungsangebote etwa für die Fachhochschule der Polizei oder der Hochschule Harz basierten auf Freiwilligkeit. Man müsse aber gerade die Menschen erreichen, die sich nicht ohnehin freiwillig auf derlei Angebote einließen.
Auch der Antisemitismusbeauftragte des Landes, Wolfgang Schneiß, fordert beim Regionalforum erneut, dass ein größerer Teil der Gesellschaft erreicht werden müsse.
Hallesches Projekt organisiert Stadttour per App
Zu Wort kommen ebenfalls Initiativen aus Halle, unter anderem der Verein "Zeit-Geschichte(n)" oder das Projekt "Jüdisches Halle – gestern und heute", in dem vor allem junge Leute etwa digitale Stadtrundgänge zum Thema per App organisieren.
Ganz zum Schluss nimmt der Moderator Miron Tenenberg dann noch einmal Bezug auf die Sicherheit vor Ort. Der Journalist sagt zum Abschluss, er wolle der Polizei danken, "die auch diese Veranstaltung geschützt hat". Tenenberg schickt einen Gruß an die Beamten vor dem Literaturhaus und betont, wie wichtig ihm die Präsenz sei. Engagement für jüdisches Leben, dieser Eindruck bleibt nach dem Regionalforum, braucht derzeit offenbar auch den Schutz durch die Polizei.
MDR (Felix Fahnert)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 07. November 2023 | 06:30 Uhr
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