Regierungskrise in Berlin Ampel-Aus: Haseloff will schnelle Neuwahlen
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07. November 2024, 16:54 Uhr
Das Scheitern der Ampelkoalition wird auch in Sachsen-Anhalt aufmerksam beobachtet. Das Chaos der vergangenen Tage gipfelte am Mittwochabend in der Entlassung des FDP-Finanzministers, Christian Lindner, und der Ankündigung der Vertrauensfrage. Wie bewerten die Landespolitiker die Regierungskrise in Berlin?
- Ministerpräsident Haseloff sieht nach dem Aus der Ampelkoalition auch die Stabilität Sachsen-Anhalts in Gefahr.
- Während die CDU Tempo bei der Vertrauensfrage fordert, schieben sich SPD, FDP und Grüne gegenseitig die Schuld zu.
- Die Linken bezeichnen den FDP-Rausschmiss als "überfällig". Die AfD befürchtet nun eine schwarz-grüne Bundesregierung.
Nach dem Aus der Ampelregierung in Berlin hat sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) für eine möglichst rasche Neuwahl des Bundestages ausgesprochen. Am Mittwochabend hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Reißleine im Ampel-Streit gezogen und seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen. Nun will Scholz Anfang Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Dies würde voraussichtlich Neuwahlen im März 2025 nach sich ziehen.
Haseloff zu Ampel-Aus: "Zeitplan nicht akzeptabel"
Dieser Zeitplan sei für ihn nicht akzeptabel, erklärte Haseloff am Donnerstag vor Journalisten in Magdeburg. "Das dauert alles zu lange. Wir müssen jetzt entscheiden." Es sei eine handlungsfähige Bundesregierung nötig, die eine eigene Mehrheit habe. Ansonsten sei auch die politische Stabilität Sachsen-Anhalts in Gefahr. "Denn ohne Bundeshaushalt sind wir auch nicht in der Lage, in Gänze einen Landeshaushalt so abzubilden, wie wir ihn zurzeit in der parlamentarischen Diskussion haben."
Die bisherige Bundesregierung hat noch keinen Haushalt für 2025 verabschiedet, was ihr nach Verlust der Mehrheit im Bundestag nun auch nicht mehr gelingen dürfte. Daher braucht es Haseloff zufolge nun Tempo. "Es geht um unseren Wohlstand, es geht um unsere Arbeitsplätze, es geht um die Strategien im Bereich Klimaschutz, Wirtschaftsförderung und auch der Rahmenbedingungen bei der Energiewende – alles existenzielle Themen."
Fast jeden Tag habe er eine Termin-Bitte, einen Anruf oder ein Gespräch, in dem es darum gehe, ein Unternehmen zu sichern und zu halten. "Wir verlieren jeden Tag Industrie-Arbeitsplätze, beziehungsweise es werden gerade die Weichen gestellt, sich vom deutschen und vom europäischen Standort zurückzuziehen."
CDU-Chef Schulze: Bereit für Neuwahlen
Zuvor hatte bereits CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz den Bundeskanzler dazu aufgefordert, die Vertrauensfrage bereits in der kommenden Woche zu stellen. Dem schloss sich Sachsen-Anhalts CDU-Vorsitzender und Landeswirtschaftsminister Sven Schulze am Donnerstagmorgen im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT an. Das Ende der noch amtierenden Regierung dürfe nicht lange hinausgezögert werden, so Schulze. Es gebe keinen Grund bis Januar zu warten. "Der Kanzler sollte sofort die Vertrauensfrage stellen."
Experte skeptisch in Bezug auf zügige Vertrauensfrage
Auf der Plattform X meldete sich unter anderem der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin hierzu zu Wort. Er gibt zu Bedenken, dass eine schnelle Vertrauensfrage Neuwahlen spätestens Anfang Februar bedeuten würde. Die Aufstellung von Kandidierenden würde jedoch Zeit brauchen, kleinere Parteien müssten erst Unterstützungs-Unterschriften sammeln. "Dazwischen Weihnachten. Wie soll das funktionieren?", fasste Faas zusammen.
SPD blickt Neuwahlen zuversichtlich entgegen
Die Landes-SPD stellt sich derweil hinter Scholz. "Es ist richtig, dass der Kanzler mit dieser Situation mitten in Krisen, mitten in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation Schluss macht und das Land wieder in die Handlungsfähigkeit führt", betonte der Co-Landesvorsitzende Andreas Schmidt. Die FDP habe aus partei-taktischen Gründen die Ampelkoalition gesprengt – das alles mit fadenscheinigen Vorwänden. "Wir begrüßen es, dass es unter diesen Umständen schnelle Neuwahlen gibt", sagte Schmidt. Es sei richtig, dass die Menschen in Deutschland nun eine Chance bekämen, über den Kurs des Landes neu zu entscheiden.
Im Landesverband selbst herrscht bereits Aufbruchstimmung. "Die SPD ist bereit, sich der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers im Bundestag zu stellen", schrieben die Sozialdemokraten auf MDR-Anfrage. Man blicke auch geordneten Neuwahlen im Frühjahr 2025 mit Zuversicht entgegen.
FDP sieht Schuld bei Koalitionspartnern
Bei den Freien Demokraten sieht man die Schuld für das Ampel-Aus bei SPD und Grünen. So erklärte die FDP-Landesvorsitzende und Infrastrukturministerin Lydia Hüskens: "Die Weigerung von SPD und Grünen, die Reformvorschläge der FDP überhaupt zu diskutieren, waren keine Basis mehr, um die notwendigen Entscheidungen umsetzen zu können." Wer seriös die Wirtschafts-Wende wolle, könne die Vorschläge von Christian Lindner zur Belebung der Wirtschaft und zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger nicht einfach ad acta legen.
"Weniger Bürokratie, weniger Steuerlast, konkrete Maßnahmen zur Begrenzung der illegalen Migration wären möglich gewesen, aber nicht vom Kanzler und den bisherigen Partnern gewollt", so Hüskens. Darüber hinaus sei mit der Forderung nach einer Aushebelung der Schuldenbremse die "rote Linie" der FDP deutlich überschritten worden. Das Angebot der FDP, gemeinsam und geordnet Neuwahlen zu organisieren, sei zudem vom Kanzler abgelehnt worden. Das spreche für sich und zeige, dass es keine Grundlage gebe, gemeinsam die Zukunft des Landes zu gestalten.
AfD: Sorge von schwarz-grüner Regierung
"Olaf Scholz ist nicht in der Lage dieses Land zu führen", kritisierte Ulrich Siegmund. Der Co-Vorsitzende der AfD-Fraktion im Landtag bezeichnete den Zeitpunkt der Lindner-Entlassung – den Tag, an dem der Republikaner Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt wurde – als "das maximale Zeichen der eigenen Schwäche". Und auch Lindner und die FDP hätten die gesamte Ampel-Politik in den vergangenen drei Jahren mit unterstützt. "Und wer die Ost-Wahlen verfolgt hat, wird gesehen haben, dass die FDP bereits in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist", erklärte der AfD-Politiker.
Die große Sorge der AfD, die in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft wird, sei nun, dass man nach Neuwahlen eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene bekommen könnte. "Denn, dass die CDU bereit ist, sich an die Grünen zu verraten, das hat Reiner Haseloff bereits in Sachsen-Anhalt bewiesen", so Siegmund. Im Land hatten CDU, SPD und Grüne von 2016 bis 2021 als sogenannte Kenia-Koalition regiert. Eine schwarz-grüne Bundesregierung stelle "eine riesengroße Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland" dar.
Linke sorgt sich um Bundeshaushalt
"Das war überfällig", erklärte die Vorsitzende der Linksfraktion im Landtag, Eva von Angern. Die Affronts der letzten Tage hätten keine anderen Möglichkeiten gelassen, als Lindner zu entlassen. Es sei nun jedoch wichtig, dass es trotzdem einen Bundeshaushalt gebe. Andernfalls hätte das finanzielle Auswirkungen auf die Bundesländer. "Die Bundesregierung ist jetzt gefordert, diesen Haushalt aufzustellen", so von Angern. Danach müsse es dann zügig Neuwahlen geben, um Klarheit in unsicheren Zeiten zu schaffen.
Grüne kritisieren "Egotrip" Lindners
Cornelia Lüddemann von den Grünen zeigte sich "fassungslos, aber nicht überrascht". Lindner fahre weiter seinen Egotrip und destabilisiere damit das Land, erklärte die Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion. Es müsse nun um Zusammenhalt und Stärke gehen. "Die FDP ist aber dazu offenbar nicht in der Lage. Sie ist nicht in der Lage, im Interesse des Landes und Europas zu handeln", so Lüddemann.
MDR (Engin Haupt, Lars Frohmüller, Sabine Falk-Bartz, Marcel Knop-Schieback, Daniel Salpius), dpa
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 07. November 2024 | 15:00 Uhr
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