Ein Wahlplakat der Alternative für Deutschland (AfD) hängt vor einer Flagge des Landes Sachsen-Anhalt . 3 min
Zum Hören: Experten empfehlen Landtag "kristenfest" zu machen. Bildrechte: IMAGO / Felix Abraham
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MDR SACHSEN-ANHALT Fr 01.11.2024 18:22Uhr 03:01 min

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"Störpotenzial der AfD" Landtag "krisenfest" machen: Experten empfehlen umfassende Änderungen

01. November 2024, 14:32 Uhr

In Thüringen verlief die erste Sitzung des neu gewählten Landtags vor einigen Wochen chaotisch. Damit sich nach der Landtagswahl 2026 in Sachsen-Anhalt nicht ähnliches wiederholt, empfehlen Politik-Experten, Vorkehrungen zu treffen. Einige Landtagsfraktionen beschäftigen sich bereits damit.

Die aus dem Ruder gelaufene, konstituierende Sitzung des Thüringer Landtages hat hohe Wellen geschlagen. Der Verfassungsrechtler Michael Brenner von der Universität Jena spricht gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT von einem "Weckruf". So etwas in anderen Bundesländern zu verhindern, sei legitim und dringend erforderlich.

Der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne von der TU Chemnitz schlägt deshalb vor, den Landtag von Sachsen-Anhalt "krisenfest" zu machen, um "demokratische Routinen und Prinzipien zu schützen". In Sachsen, Brandenburg und Thüringen habe man das teils verpasst, erklärt er gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT. Tatsächlich gibt es einige Stellschrauben, an denen gedreht werden kann.

Was war im Thüringer Landtag passiert?

Weil der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler agierte, geriet die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtags zum Debakel. Der 73-Jährige hatte sich in der ersten Sitzung des neuen Landtags geweigert, Anträge der anderen Fraktionen zuzulassen. CDU und BSW wollten die Geschäftsordnung und die Regeln zur Wahl des Landtagspräsidenten ändern lassen. Treutler lehnte diese Änderung ab. Das Thüringer Verfassungsgericht entschied aber, dass er die Anträge zulassen und der Landtag darüber abstimmen musste.

Jürgen Treutler während der konstituierenden Sitzung des Landtags.
Der AfD-Alterspräsident des Thüringer Landtags, Jürgen Treutler sorgte bei der Premieren-Sitzung nach der Landtagswahl für einen Eklat. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Landtagsfraktionen prüfen mögliche Änderungen

Die Fraktionschefin der SPD im Landtag von Sachsen-Anhalt, Katja Pähle sagte, man beschäftige sich mit möglichen Änderungen und werde diese in der Koalition diskutieren. "Da gibt es ganz konkrete Dinge, die wir ändern können und ändern müssten", erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Olaf Meister. Dies betreffe etwa die Arbeit des Landesverfassungsgerichts. FDP-Fraktionschef Andreas Silbersack warnte, dass die AfD Änderungen möglicherweise dazu nutzen könnte, sich als Opfer darzustellen.

Aktuelle Geschäftsordnung birgt Stör-Potenzial

Sollte die AfD bei der Landtagswahl 2026 in Sachsen-Anhalt stärkste Fraktion werden, also die meisten Abgeordneten im Parlament stellen, hätte sie bei der konstituierenden Sitzung das Vorschlagsrecht bei der Wahl des Landtagspräsidenten, könnte also ausschließlich Kandidaten der eigenen Partei vorschlagen. Um dem entgegenzuwirken, müsste Paragraf 4 der Geschäftsordnung des Landtags geändert werden.

Michael Brenner, Professor für deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Verfassungsrechtler Michael Brenner empfiehlt den Landtags-Fraktionen, frühzeitig Vorkehrungen zu treffen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Wenn man Vorkehrungen treffen will, dann ist es sinnvoll, das rechtzeitig vor der Wahl zu tun und nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion.

Michael Brenner, Professor für Verfassungsrecht an der Uni Jena

Die Geschäftsordnung zu ändern, benötigt nicht viel Vorlauf. Ein Antrag im Parlament genügt. Gibt es bei der anschließenden Abstimmung eine Mehrheit, tritt die Änderung in Kraft, erklärt Verfassungsrechtler Brenner. Er rät trotzdem, Änderungen wie die zur Wahl des Landtagspräsidenten schon jetzt zu erledigen. "Wenn man Vorkehrungen treffen will, dann ist es sinnvoll, das rechtzeitig vor der Wahl zu tun und nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Damit hat man die Kuh vom Eis und diese ganze Aufregung, die in Thüringen eine Rolle gespielt hat, ist dann einfach entbehrlich", sagt Brenner.

Detlef Gürth (CDU), Vorsitzender des Landtagsausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung, im Plenarsaal des Landtages von Sachsen-Anhalt. 1 min
Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Klaus-Dietmar Gabbert

Alterspräsident wohl kein AfD-Abgeordneter

Das wichtigste Thema aber sei bereits gelöst, betont CDU-Fraktionschef Guido Heuer. Denn Alterspräsident im Landtag von Sachsen-Anhalt, so sieht es Paragraf 58 der aktuellen Geschäftsordnung vor, ist der dienstälteste Abgeordnete und damit, anders als in Thüringen, nicht der nach Lebensjahren Älteste. Da die AfD erst seit 2016 im Landesparlament von Sachsen-Anhalt vertreten ist, Abgeordnete anderer Parteien wie der CDU-Politiker Detlef Gürth (seit 1990) dagegen deutlich länger, ist zu erwarten, dass die AfD im kommenden Landtag nicht den Alterspräsidenten stellen wird.

Detlef Gürth (CDU), dienstältester Abgeordneter des Landtags, sitzt mit der Landtagsglocke auf dem Platz des Präsidenten des Landtages.
Detlef Gürth ist der dienstälteste Abgeordnete des Landtags von Sachsen-Anhalt und ist damit in der aktuellen Legislaturperiode auch Alterspräsident des Parlaments Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Klaus-Dietmar Gabbert

Sperrminorität könnte Wahl von Verfassungsrichtern behindern

Betrachtet man die aktuellen Prognosen, läge die AfD bei der Landtagswahl 2026 mit etwa 29 Prozent gleichauf mit der CDU, bekäme damit mehr als ein Drittel der Sitze im künftigen Landtag und hätte somit auch eine Sperrminorität. Die könne die Partei beispielsweise einsetzen, um die Wahl der Verfassungsrichter zu blockieren, gibt Höhne zu bedenken. Denn, um die Richter zu wählen, benötigt es im Parlament eine Zweidrittelmehrheit.

Um eine mögliche spätere Blockade zu verhindern, könnte das Landesverfassungsgerichtsgesetz schon jetzt von den Landtagsfraktionen angepasst werden. Brenner hält eine Drei-Fünftel-Mehrheit für möglich, sieht darin aber nicht nur Vorteile. "Es würde dann nicht mehr diese Mehrheit verlangt werden, die eigentlich sicherstellt, dass ein hinreichender gesellschaftlicher Konsens besteht. Andererseits ermöglicht es aber vielleicht, dass die AfD ihr Verhinderungs-Potenzial nicht zum Tragen bringen kann."

Wie wichtig die Arbeit des Landesverfassungsgerichts ist, betont auch Höhne. "Solche Gerichte sind rechtsextremen Parteien ein Dorn im Auge, weil sie darauf achten, dass alles den richtigen Weg geht und mit demokratischen Prinzipien übereinstimmt", sagt der Politikwissenschaftler.

Landesverfassung ebenfalls auf dem Prüfstand

Diskutiert wird momentan auch eine Änderung der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt. Die zu ändern, brauche mehr Vorlauf als die Geschäftsordnung anzupassen, erklärt Höhne. Das ginge nur mittels eines Gesetzes und einer Zweidrittelmehrheit im Landtag. Es brauche also einen großen Kompromiss zwischen allen demokratischen Parteien. "Die Linke muss sich da genauso wiedersehen wie die CDU. Das ist schon etwas sehr, sehr weitreichendes. Das muss auch intensiv diskutiert werden, weil man eine Verfassung nicht einfach mal von heute auf morgen ändert."

Benjamin Höhne
Politikwissenschaftler Benjamin Höhne weißt daraufhin, dass es für eine Verfassungsänderung einen breiten Konsens braucht. Bildrechte: Gerlind Klemens

Das muss auch intensiv diskutiert werden, weil man eine Verfassung nicht einfach mal von heute auf morgen ändert.

Benjamin Höhne, Professor für Europäische Regierungssysteme an der TU Chemnitz

Für Verfassungsrechtler Brenner geht es bei den angestrebten Änderungen vor allem darum, Mehrheiten bei Abstimmungen anzupassen. In diesem Fall müsse im Vorfeld keine Kommission eingesetzt werden, aber eine Sachverständigenanhörung stattfinden. "Wenn Einigkeit besteht und nicht das große Füllhorn an Verfassungsänderungen ausgeschüttet wird, dann kann das auch innerhalb von zwei, drei Monaten über die Bühne gehen", sagt Brenner.

Balanceakt für Landtagsfraktionen

Die Fraktionen im Landtag stehen vor schwierigen Entscheidungen. Denn wie Brenner betont, hätten sich die Regelungen, deren Änderung im Raum steht, eigentlich bewährt. "Allerdings hatte man bisher natürlich auch keine extremistische Partei in einer solchen Stärke im Landtag, wie das jetzt etwa in Sachsen und in Thüringen der Fall ist", sagt der Verfassungsrechtler, der außerdem zu bedenken gibt: "In Thüringen hat man nichts gemacht. Das Ergebnis ist bekannt."

dpa, MDR (Marius Rudolph)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 01. November 2024 | 17:00 Uhr

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