Mehr Sicherheit nach Anschlag Sachsen-Anhalts jüdische Gemeinden wünschen sich mehr Polizeischutz
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06. Oktober 2020, 13:18 Uhr
Nach dem Angriff auf die Synagoge in Halle mit zwei Toten stellt sich auch die Frage: Wieso stehen dort vor Ort nicht regelmäßig Polizisten für die Sicherheit der jüdischen Gemeinde wie in anderen Städten? Ein Einblick in die aktuelle Situation und was sich laut des Innenministeriums Sachsen-Anhalt jetzt ändern soll.
Ein Anblick, den es in vielen großen, deutschen Städten, wie Berlin und Hamburg gibt: Vor Synagogen und jüdischen Einrichtungen stehen bewaffnete Polizisten und sorgen für die Sicherheit der Gläubigen. In Sachsen-Anhalt ist das anders. "Hier stehen keine Polizeiposten andauernd vor Ort. Sie fahren ab und zu Streife", sagt Max Privorozki, Vorsitzender des Landesverbands jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt. Er war Mittwoch in der Synagoge in Halle, als der Angreifer versuchte in das Gotteshaus einzudringen.
Wieso das so ist? "Die Gefahr wird schlecht eingeschätzt", sagt er und ergänzt: "Bei Ereignissen wie besonderen Feiertagen, wird die Stufe erhöht und es kommen ab und zu Polizisten." Beim Gottesdienst in Halle zu Jom Kippur – dem höchsten jüdischen Feiertag – war das nicht so. Es waren keine Beamten vor Ort. Zehn Minuten hätten die Polizisten gebraucht, nachdem Privorozki sie telefonisch über den bewaffneten Anschlag auf die Synagoge informiert habe.
Deshalb kritisiert der Vorsitzende im Interview mit dem Verein Jüdisches Forum: "Anstatt uns zu helfen, immer macht Polizei etwas anderes. Das ist unmöglich. Die waren zu spät vor Ort." Auch Ronald Lauder, Vorsitzender des Jüdischen Weltkongress, fordert nach Informationen der AFP einen besseren Schutz für jüdische Einrichtungen. "Leider ist die Zeit gekommen, in der alle jüdischen Gebetshäuser und andere jüdische Einrichtungen eine erhöhte Sicherheit durch staatliche Sicherheitskräfte benötigen", sagt Lauder.
Polizeischutz wurde häufiger angefragt, aber abgelehnt
Insgesamt drei Synagogen und 60 geschlossene, jüdische Friedhöfe sind laut Max Privorozki Teil des Landesverbands in Sachsen-Anhalt. Jüdische Kindertagesstätten und Schulen, die in anderen Städten oft auch polizeilich bewacht werden, gebe es im Bundesland bisher nicht. "Ich erhoffe mir, dass Polizisten wenigstens zu jüdischen Feiertagen und ihren Gottesdiensten kommen. Die Sicherheit hier ist bei uns schon immer ein Thema, wir wollen die Gesellschaft dafür sensibilisieren", sagt Privorozki, der auch Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Halle ist.
Alle drei jüdischen Gemeinden, also Halle, Magdeburg und Dessau, berichten auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT von der gleichen Erfahrung: Vor ihren Einrichtungen stehen nicht regelmäßig Polizeibeamte und ihren Bitten nach Polizisten vor Ort wurde nicht nachgekommen. "Wir haben gestern nach dem Anschlag um Polizeischutz gebeten, aber der wurde abgelehnt. Sie sagten, dass sie nicht genug Personal haben und alle Kräfte in Halle sind. Darüber waren wir sehr empört", sagt Maria Schubert, Sekretärin in der Synagogen-Gemeinde Magdeburg. Das änderte sich, als der Befehl aus dem Innenministerium kam und Polizisten zu ihrer Gemeinde schickte. Schubert: "Wir wünschen uns, ernster genommen zu werden und uns wirklich geschützt zu fühlen. Aktuell fühlen wir uns ausgeliefert, die Polizei scheint nicht in der Lage zu sein. Es musste erst Opfer geben, bis etwas passiert."
In Dessau macht die jüdische Gemeinde die selben Erfahrungen. Dort stünden auch nie Polizisten, seit dem Angriff in Halle schon. "Hier wird von Seiten der Polizei immer gesagt: 'Bei uns ist alles okay, wir haben die Situation unter Kontrolle.'", sagt Bella Avstriyska, Sachbearbeiterin der jüdischen Gemeinde Dessau. Sie hätten dem Innenministerium häufiger geschrieben. "Wir haben nach Geld für unsere Sicherheit gefragt, aber es war nie Geld da", so Avstriyska. Sie hofft, dass sich jetzt etwas ändert und die Zusammenarbeit mit dem Innenministerium gelingt. "Kameras im Zentrum neben der Synagoge wären eine Möglichkeit. Wir wissen, dass es Personalmangel bei der Polizei gibt. Trotzdem wäre es gut, wenn sie zum Sabbat oder an Feiertagen vor Ort sein könnten", meint Avstriyska.
Wie können jüdische Gemeinden besser geschützt werden?
Donnerstagnachmittag äußerten sich auf einer Pressekonferenz in Halle Bundesinnenminister Horst Seehofer, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht zu dem Thema Sicherheit der Synagogen. Haseloff betonte, dass die Religionsfreiheit ein so hohes Gut sei, das auch zukünftig stark geschützt werden soll. Dementsprechend seien neue Maßnahmen für den Schutz der jüdischen Gemeinden geplant, die genauen Punkte würden in den kommenden Wochen erarbeitet. Beispielsweise stünden bauliche Sicherheitsmaßnahmen auf der Agenda, um die Synagogen sicherer zu machen. Außerdem seien zusätzlich 100 Personalstellen für Polizisten geplant, um die Sicherheit der Synagogen zu gewährleisten. "Sie müssen sich so sicher fühlen, dass sie ihre Gottesdienste feiern können. Wir wollen zwei neue Synagogen bauen und zwar in Magdeburg und Dessau. Für Deutschland wollen wir den Schutz gemeinsam gewährleisten", so Haseloff.
Laut Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht sei die Synagoge in Halle Teil des Sicherheitskonzepts gewesen und zwar mit der Stufe 6. Das bedeutet, dass Streifenwagen nicht ständig, aber immer wieder vorbeifahren. Er erklärte: "Es gab keine Hinweise auf antisemitische Delikte. In den letzten fünf Jahren gab es in Halle keinen Fall." Deshalb seien am Tag des Anschlags keine Polizisten vor Ort gewesen. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, ergänzte: "Eine Funkstreife kann nicht alles verhindern. Aber sie hätte den Täter vielleicht abschrecken können und ich bin davon überzeugt, dass es nicht zu dem zweiten Toten im Dönerladen gekommen wäre." Es sei wichtig, dass jetzt der Blick nach Vorne gerichtet werde, so dass sich so ein Vorfall nicht noch einmal ereigne.
Über die Autorin
Seit Februar 2018 ist Johanna Daher Teil der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Ihr typischer Satz in den sozialen Medien beschreibt sie ihrer Meinung nach ziemlich gut: "Christin, Journalistin und Optimistin mit einer Liebe zum Multimedialen, Interaktiven und Programmieren."
Johanna Daher kommt gebürtig aus Nordhessen, hat in Dortmund Journalistik und in Wernigerode an der Hochschule Harz "Medien- und Spielekonzeption" studiert.
Quelle: MDR/jd
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 10. Oktober 2019 | 16:00 Uhr
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