
Fachkräftemangel Trendwende beim Nachwuchs? Wie sich die Bäckerbranche entwickelt
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27. April 2025, 07:00 Uhr
Rund ein Drittel der Bäckereibetriebe in Sachsen-Anhalt musste in den vergangenen zehn Jahren schließen. Vor allem das Handwerk steht unter Druck. Trotzdem wollen wieder mehr junge Menschen in die Branche, wie eine Studie zeigt. Was den Beruf attraktiver macht und vor welchen Herausforderungen Betriebe weiterhin stehen.
- Handwerksbäckereien in Sachsen-Anhalt stehen seit Jahren unter Druck. Einer Studie zufolge haben viele Betriebe aufgegeben.
- Zuletzt aber stieg die Zahl der Auszubildenden im Bäckerei-Handwerk. Reicht das schon für eine Trendwende?
- Ausbilder wie Michael Schwarz haben den Spaß daran verloren, junge Menschen für ihre Zunft auszubilden.
Getäfelte Decke, sorgfältig dekorierte Schaufenster, Vanilleduft: Die Bäckerei Schäl am Ende der Durchfahrtsstraße von Teutschenthal im Saalekreis ist eine dieser Familienbäckereien, wo das Handwerk offenbar an erster Stelle steht. Fachkräftemangel, Inflation – die Lage ist auch hier keinesfalls rosig. Doch Martin Schäl, jetziger Inhaber in der vierten Generation, lässt sich nicht unterkriegen.
Aus der Backstube heraus hat er einen neuen Betrieb mit innovativem Kurs aufgebaut: Rote-Beete-Dinkel-Brötchen, eckige Zimtstangen und Instagram-Stories – damit spricht Schäl gezielt jüngere Generationen an. Zudem nutzt er die sogenannte Lange Teigführung: ein Verfahren, bei dem der Teig über einen längeren Zeitraum geht und somit die Nachtarbeitszeit für Angestellte verkürzt werden kann. "Früher mussten wir um eins oder zwei anfangen, jetzt können wir ab vier Uhr früh anfangen", erklärt er. Das mache den Job attraktiver.
Ein Drittel der Handwerksbetriebe musste schließen
Neue Ansätze in der Produktion und im Sortiment kommen nicht von ungefähr: Schon seit längerer Zeit stehen insbesondere Handwerksbäckereien unter großem Druck. Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Stätten (NGG) zeigt, dass rund ein Drittel der Bäckereibetriebe in Sachsen-Anhalt in den vergangenen zehn Jahren schließen musste. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Angestellten verringerte sich demnach um 17 Prozent.
Zahl der Azubis in Bäckereien halbiert
Über dieselbe Zeitspanne hat sich zudem die Zahl der Azubis im Bäckerhandwerk und im Fachverkauf halbiert, wie die Studie zeigt. Die handwerklichen Anforderungen und nächtlichen Arbeitszeiten schrecken viele junge Menschen ab. Gleichzeitig steigen die Teilzeitbeschäftigten und seit 2022 auch die Minijob-Angestellten an. Dies führe zwar zu einer Stabilisierung der Branche, erklärt Studienleiter Stefan Stracke, doch es zeige auch eine Verschiebung hin zu instabilen und schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen.
Seit 2024 wieder mehr Ausbildungsverträge
Doch die Studie zeigt auch einen positiven Trend: Seit vergangenem Jahr wollen wieder mehr junge Menschen im Bäckerhandwerk arbeiten. Deutschlandweit stieg die Zahl der Bäcker-Auszubildenden um rund elf Prozent, bei den Fachverkäuferinnen und -verkäufern im Bäckerhandwerk sogar um rund 23 Prozent. In Sachsen-Anhalt spiegeln sich diese Zahlen ebenfalls wider. Doch lässt sich schon von einer Trendwende sprechen?
Thoralf Schäl ist Sprecher des Landesinnungsverbandes der Bäcker in Sachsen-Anhalt und kennt die Branche schon lange. Er leitet selbst jahrzehntelang einen Handwerksbetrieb. "Ob es eine Trendwende ist, kann ich nicht sagen, aber es ist Grund genug, um positiv in die Zukunft zu blicken", erklärt er. Das Handwerk habe gezeigt, dass es sich wieder stabilisieren könne. Trotz finanzieller Belastungen sei die Ausbildung ein zentraler Faktor dafür, dass das so bleibe, so Thoralf Schäl.
Azubi schätzt Kreativität im Handwerk
Einer der Azubis, die das Bäckerhandwerk lernen, ist Jonathan Vodt. Der 19-Jährige absolviert gerade sein drittes Lehrjahr in der Handwerksbäckerei Schäl. Zur Arbeit fährt er eine Dreiviertelstunde mit dem E-Scooter. Um zwei Uhr nachts aufstehen, um drei Uhr nachts anfangen, Feierabend um elf. Für Jonathan Vodt ist das kein Problem: "Mir macht die Arbeit Spaß, ich finde es toll, dass ich hier kreativ sein kann und viele Freiheiten habe", erzählt er. Er wolle auf jeden Fall im Betrieb bleiben, wenn er seine Prüfung bestanden habe.
Hohe Abbrecherquote bei Azubis
Auf der anderen Seite der Backstube nickt Martin Schäl erfreut. Er möchte den Auszubildenden um jeden Preis halten, denn: Viele Auszubildenden brechen ab oder verlassen nach der Ausbildung das Handwerk. Grund dafür sind die harten Arbeitszeiten und niedrige Löhne. Für die Betriebsinhaber ist das fatal, denn für viele sind die Ausbildungsgehälter eine finanzielle Belastung. Auch für Großbäckereien wie die von Michael Schwarz.
Eine 900 Quadratmeter große Produktionshalle in Biere bei Magdeburg: Hier produziert die Bäckerei Schwarz GmbH & Co. bis zu 15 Sorten Brot, 20 Sorten Brötchen und 150 Sorten Kuchen, mit denen fünfzehn Filialen beliefert werden. Der ehemalige Familienbetrieb entwickelte sich in den Neunzigerjahren zum mittelständischen Unternehmen. Und so bildete Michael Schwarz in der Vergangenheit auch fleißig Auszubildende aus.
Ich bilde nicht mehr gerne aus, nur noch, um den Berufsstand zu erhalten.
Ausbildungsgehälter belasten Betriebe
2018 verlieh ihm die Handwerkskammer Magdeburg sogar einen Preis als vorbildlicher Lehrbetrieb. Doch die Zeiten haben sich geändert: Früher habe man im Schnitt neun bis zehn Lehrlinge gehabt, erzählt Michael Schwarz. Und jetzt? "Ich bilde nicht mehr gerne aus, nur noch, um den Berufsstand zu erhalten", sagt er. Grund dafür sei ein aus seiner Sicht schiefes Kosten-Nutzen-Verhältnis: Rund ein halbes Jahr fehlten die Auszubildenen wegen ihrer überbetrieblichen Weiterbildung in Dresden, verpflichtenden Blockseminaren und dem festgelegten Urlaubsanspruch im Betrieb.
Hinzu kämen noch Krankheitstage. Gleichzeitig habe sich der Lohn in den vergangenen Jahren enorm erhöht, sagt Schwarz. Rentabel sei das für ihn nicht. Den Ausbildungsbetrieb habe er deshalb sehr weit zurückgeschraubt, obwohl er sehr gern ausgebildet habe. Schwarz sagt: "Ich nehme nur noch die, die wirklich mit Herzblut dabei sind." Einer davon ist Leo Marx, der kurz vor seiner Abschlussprüfung steht.
Auch wenn die Ausbildungsgehälter zum 1. März 2025 erhöht wurden, sind die Löhne im Branchenvergleich gering. Das wissen Auszubildende wie Betreiber. Oftmals bezahlen die Betriebe auch nach der Ausbildung nicht mehr nach Tarif, so wie beispielsweise Martin Schäl. Bei ihm werde verhandelt und eben versucht, sich in der Mitte zu treffen, sagt Schäl. Mit den Gehältern in der sogenannten Brotindustrie, also Großfilialisten und große Lieferbäckereien, können die Betriebe so oder so nicht mithalten.
Brot-Industrie enorm gewachsen
Deutschlandweit hat sich die Anzahl der Industriebetriebe in den vergangenen Jahren mehr als verfünffacht. Unternehmen wie Bonbak, Harry Brot und Schäfers bilden ebenfalls aus, zum Lebensmitteltechniker. Gezahlt wird nach Tarifvertrag Brotindustrie Ost, ausgehandelt mit der NGG, oder nach Tarif des Verbands der Ernährungswirtschaft.
Für ein Interview mit einem Auszubildenden in der Brotindustrie blieb vor den Ostertagen keine Zeit. Doch die Unternehmenssprecherinnen von Schäfers und Harry Brot teilen mit, man habe regelmäßig Azubis in der Lebensmitteltechnik. Zudem seien auch viele Fachkräfte aus dem Handwerksberuf bei ihnen beschäftigt. Bei Schäfers betreffe das sogar rund 30 Prozent der Angestellten.
Auf MDR-Nachfrage teilt das Unternehmen Bonbak zudem mit, man wolle die Produktionskapazitäten in Halle (Saale) "in naher Zukunft signifikant erweitern". Geplant sei neben der Schaffung von über 400 zusätzlichen Arbeitsplätzen auch eine Erhöhung der Zahl der Auszubildenden in den verschiedenen Unternehmensbereichen.
Für Leo Marx und Jonathan Vodt ist die Brotindustrie zunächst jedoch keine Option. Beide haben sich bewusst fürs Handwerk entschieden.
MDR (Chiara Swenson)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 27. April 2025 | 19:00 Uhr
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