Eine Frau steht in einer Landschaft.
Christel Rosenbaum möchte, dass die Suche nach dem Atommüll-Endlager ordentlich abläuft. Bildrechte: MDR/Hannes Leonard

Strahlende Altlasten Atommüll-Endlager in Sachsen-Anhalt: "Wenn es so kommt, müssen wir vorbereitet sein"

08. Januar 2025, 09:39 Uhr

Deutschland braucht ein Endlager für seinen hoch radioaktiven Atommüll. Derzeit steht das Material in 16 Zwischenlagern rum. Eine dauerhafte Lösung ist das nicht. Tief im Boden soll der strahlende Müll für eine Million Jahre gelagert werden. Die Böden in Sachsen-Anhalt eignen sich für so ein Endlager. Anwohner sind alarmiert, Politiker müssen schwere Entscheidungen fällen.

MDR SACHSEN-ANHALT-Autor Hannes Leonard steht im Profil vor einer Wand
Bildrechte: MDR/Hannes Leonard

"Das wäre gruselig", sagt Christel Rosenbaum und schaut nachdenklich auf ein abgeerntetes Feld nahe Beetzendorf, ihrem Heimatort im Altmarkkreis Salzwedel. Am Rand begrenzt eine Reihe aus kahlen Bäumen und Sträuchern den Acker, mittendurch führt ein asphaltierter Landwirtschaftsweg. Krähen kreisen an diesem diesigen Dezembernachmittag träge über der ansonsten ruhigen Landschaft.

"Dann wäre hier mehr oder weniger alles platt. Alles, was hier an Idylle ist, wäre weg." Rosenbaum macht eine Pause, schaut sich um. Eine Entwicklung des Tourismus wäre nicht möglich, meint Rosenbaum. "Hier bräuchte es dann große Zufahrtswege für die vielen schweren Lkws. Sicherlich wäre es schön, wenn wir wieder einen Bahnanschluss bekommen würden. Aber das, was die Altmark ausmacht, wäre hier nicht mehr zu finden."

Eine "Dorfjacke" in der Altmark

Die Allgemeinmedizinerin ist Ende der 1980er-Jahre nach Beetzendorf gekommen. Schnell hat sie die Leitung des sogenannten "Ambulatoriums" übernommen. Ein Traum ist für sie in Erfüllung  gegangen, denn seit ihrer Studienzeit in Magdeburg wollte sie gern wieder in die Altmark zurück. "Eine Dorfjacke", nennt sich Rosenbaum im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

Heute sitzt die 67-Jährige noch im Gemeinderat, singt inzwischen nur noch in einem Chor und engagiert sich in der Bürgerinitiative "Gesunde Region Beetzendorf". "Unsere Region hier ist ja noch nicht einmal kategorisiert, da ist also noch alles möglich", ist sich Rosenbaum sicher. "Deshalb haben wir gesagt, wir begleiten diesen Prozess."

Standort für Atommüll-Endlager gesucht

Rosenbaum meint die Suche nach einem Platz für ein Atommüll-Endlager. Irgendwo muss der hoch radioaktive Abfall der deutschen Atomkraftwerke ja hin. Mit großer Mehrheit hat der Deutsche Bundestag 2013 die Suche nach einem Endlager neu aufgerollt. In ganz Deutschland wird seitdem nach geeigneten Standorten gesucht. Für eine Million Jahre soll der Müll sicher unter der Erde verwahrt werden – so der Plan.

So läuft die Suche nach einem Endlager für den Atommüll ab

Bei der Endlagersuche geht es um einen Ort in der Tiefe zur dauerhaften Lagerung von 27.000 Kubikmetern hoch radioaktiven Mülls aus mehr als 60 Jahren Atomkraft in Deutschland. Es soll ein Ort gefunden werden, der für eine Million Jahre sicher ist, da er viele hunderttausende Jahre strahlt. "Das können Salzgesteine sein, Ton- oder kristallines Gestein wie Granit", erläutert Atommüll-Experte Jan Warode vom Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat im Jahr 2020 in einem Bericht 90 Gebiete ausgewiesen, bei denen eine weitere Prüfung lohnen könnte, insgesamt rund 54 Prozent der Fläche Deutschlands. Nach einer Aktualisierung im November 2024 sind nur noch rund 44 Prozent des Bundesgebietes weiter im Rennen um den Endlagerstandort.

Diese Gebiete sollen auf wenige Standortregionen eingeengt werden, welche die Gesellschaft nach eigenen Angaben Ende 2027 für eine oberirdische Erkundung vorschlagen will. Die Entscheidung über jene Standortregionen, die oberirdisch erkundet werden sollen, trifft der Bundestag.

Aktuell wird der Atommüll in 16 oberirdischen Zwischenlagern in verschiedenen Bundesländern aufbewahrt. Das Bundesumweltministerium geht davon aus, dass bis 2050 ein entsprechendes Endlager gefunden sein wird.

Gemeinsam mit einer Handvoll Gleichgesinnter besucht Rosenbaum seitdem Informationsveranstaltungen, organisiert Ausstellungen oder geht in Schulen, um mit Jugendlichen über die Endlagersuche für den strahlenden Abfall zu sprechen. "Dabei gilt für uns: Wenn es dann das sicherste Lager wäre, dann müssen wir bereit sein. Aber auch nur dann." Rosenbaum will Gewissheit darüber, dass die Suche ordentlich abläuft und den Prozess kritisch begleiten. "Ich mache es für die Kinder und Enkelkinder, weil es ja ein so langwieriger Prozess ist. Die wird es letztlich betreffen", erklärt sie.

Ich mache es für die Kinder und Enkelkinder, weil es ja ein so langwieriger Prozess ist. Die wird es letztlich betreffen.

Christel Rosenbaum

Unter die Erde mit dem Müll

Die Suche nach einem Standort für ein atomares Endlager gilt als eines der anspruchsvollsten Umweltprojekte Deutschlands. Vielen sind noch die massiven Proteste im Kopf, die die Entscheidung des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) 1977 ausgelöst hatte, in Gorleben im Wendland ein nationales Endlager für hoch radioaktiven Atommüll und eine Wiederaufbereitungsanlage zu errichten.

Inzwischen hat sich aber auch die Einsicht durchgesetzt, dass der strahlende Rest der vermeintlich billigen Energieerzeugung irgendwo sicher verwahrt werden muss. "Aus unserer Sicht ist es unumgänglich, eine Lagerung des Atommülls in tiefen geologischen Schichten vorzunehmen. Angesichts des Gefahrenpotentials und der Unwägbarkeiten über eine Million Jahre täuscht jedoch die Formulierung 'sicheres Endlager'. Vielmehr wird ein Ort mit dem vergleichsweise geringsten Risiko gesucht", sagt Jan Warode vom Bund Umwelt und Naturschutz (BUND). Auch wenn es eine schlechte Option sei, gebe es keine bessere.

Beeindruckende Dimensionen

"Gerade für den langen Zeitraum, die der Müll verwahrt werden muss", sagt Atommüll-Experte Warode vom BUND, "braucht es eine tiefen-geologische Lagerung. Das ist der einzige Weg, mit diesem Atommüll verantwortungsvoll umzugehen. Um so einen Standort zu finden, ist eine wissenschaftsbasierte Suche mit umfangreicher Beteiligung notwendig. Vor allem hinsichtlich Beteiligung und Transparenz muss das aktuell laufende Suchverfahren noch deutlich nachgebessert werden." Schließlich sind die konkreten Dimensionen solcher Projekte durchaus beeindruckend.

So ist der Boden in Sachsen-Anhalt für ein Endlager geeignet Der Boden unter Sachsen-Anhalt eigent sich gut, um ein Atommüll-Endlager aufzunehmen. Gut 12.000 Quadratkilometer und damit mehr als die Hälfte der Landesfläche hat in einer ersten Betrachtung 2020 günstige geologische Eigenschaften aufgewiesen. So gibt es im Norden Tongestein, auch eine Reihe von Gebieten mit Steinsalz werden genannt sowie im Südosten des Landes kristallines Wirtsgestein. Ausgeschlossen wurde unter anderem das Endlager Morsleben im Landkreis Börde.

"Hochradioaktiven Müll, der in rund 1.900 Castor-Behälter passt", wird das zukünftige Endlager aufnehmen müssen. Hinzu kann weiterer schwach- und mittelradioaktiver Abfall kommen, wenn sich der Standort auch dafür als geeignet erweist. Weil die Castoren durch die Strahlung heiß werden können, müssen sie mit Abstand gelagert werden. "Untertage wird es Flächen zwischen drei und zehn Quadratkilometern brauchen", erläutert Warode, "immer abhängig vom jeweiligen Gestein".

Suche nach einem Atommüll-Endlager: Schweiz schon viel weiter

Entsprechend wären auch die Dimensionen über Tage, weiß auch Dieter Schaltegger. Er ist Gemeindepräsident von Stadel, einer Schweizer Gemeinde mit rund 2.400 Einwohnern in der Nähe von Zürich. Unter Stadel soll das eidgenössische Endlager für Atommüll entstehen. "Der Zugang zum Schacht mit Lüftung und Arbeitsgebäuden wird auf einem Gebiet von 14 Hektar sein", erklärt Schaltegger. "Im Untergrund ist eine Fläche von 23 Quadratkilometern geplant."

Regierungsrat Martin Neukom, links, spricht mit Stefan Arnold, Gemeindepraeisent Weiach, und Dieter Schaltegger, Gemeindepraesident Stadel, an einer Informationsveranstaltung über das Atomendlager in der Standortregion Noerdlich Laegern am Dienstag, 13. September 2022 in Stadel.
Dieter Schaltegger (weißes Hemd), Gemeindepraesident Stadel, bei einer Informationsveranstaltung über das Atomendlager in der Standortregion Noerdlich Laegern im September 2022 in Stadel. Bildrechte: picture alliance/KEYSTONE | ENNIO LEANZA

Die Eidgenossen sind uns damit deutlich voraus. Im November hat die Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) die erste Erlaubnis für die Errichtung des Endlagers beantragt. "Wir haben gelernt, damit zu leben", beschreibt Schaltegger die heutige Situation im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Am Anfang waren wir als kleine Gemeinde in einer ländlichen Gegend davon vollkommen überfordert."

Duldung des Endlagers muss sich lohnen

Man habe dann den Prozess sehr kritisch begleitet. "Wir wollten verstehen, warum die Geologie hier in unserer Region am besten und am sichersten ist." Letztlich ist die mächtige Tonschicht im Untergrund dafür verantwortlich, dass die Wahl auf Stadel gefallen ist. "Nun müssen wir die Situation dulden", sagt Schaltegger.

Diese "Duldung" muss sich aber auch finanziell für Stadel lohnen, ist Schaltegger überzeugt. Derzeit wird über die sogenannte "Abgeltung" verhandelt, die die betroffenen Gemeinden bekommen sollen. Im Gespräch sind mehrere Hundert Millionen Schweizer Franken über viele Jahre. "Das Geld soll auch genutzt werden, damit man für die Bevölkerung etwas erbauen kann", erklärt Schaltegger, "zum Beispiel ein neues Schwimmbad oder eine Sportanlage". Die Steuerzahler wollen natürlich auch eine Kompensation für die Duldung des Tiefenlagers haben, ist sich Schaltegger sicher. "Irgendwann werden wir durch die 'Abgeltung' vielleicht die Steuern um ein paar Prozentpunkte senken können."

Lehren aus Morsleben

Erfahrungen mit einem atomaren Endlager gibt es auch in Sachsen-Anhalt. In Morsleben im Landkreis Börde sind schon über knapp 30 Jahre radioaktive Abfälle aus Forschungseinrichtungen und der DDR-Zeit eingelagert worden. 1971 wurde das Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll in dem ehemaligen Kali- und Steinsalzbergwerk eingerichtet. Gerichte haben die Einlagerung letztlich verboten, seit 1998 ist damit Schluss. Fast 37.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle lagern dort in rund 480 Metern Tiefe.

In der Rettungsleitstelle Haldensleben löst Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang im Beisein von Landrat Martin Stichnoth (l.) um 11.00 Uhr den Probealarm für den Landkreis Börde aus.
Landrat Martin Stichnoth (links): Das Endlager Morsleben ist ein wichtiger Wirtschaftssfaktor. (Archvibild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Heiko Rebsch

Aktuell sind dort rund 180 Arbeitnehmer beschäftigt, teilt Börde-Landrat Martin Stichnoth (CDU) auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT mit. Sie führen "Stabilisierungsmaßnahmen am Bergwerk durch", "erproben neue Techniken zur Endlagerung" oder bereiten die "Stilllegung des Endlagers" vor, ist auf der Website zu lesen. Das Endlager Morsleben ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, versichert Landrat Stichnoth.

Große Auswirkungen für Region

Auch die Region um Morsleben hat eine finanzielle Kompensation für die Duldung des Endlagers bekommen. Mit dem "Zukunftsfond Morsleben" werden Projekte finanziert, die die Region "voranbringen". Der Bund hat dafür insgesamt 1,6 Millionen Euro bereitgestellt. Knapp 30 Projekte sind davon bereits bezahlt. Darunter ein "Gesundheits- und Erlebnispfad" in der Gemeinde Ingersleben (50.000 Euro), die Sanierung des Dorfgemeinschaftshauses in Bottmersdorf (15.000 Euro) oder Flügel für die Bockwindmühle Colbitz (16.000 Euro).

Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM).
Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben wartet auf seine Stilllegung. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Ronny Hartmann

Mit einem zukünftigen Endlager "wird auch ein großer Industriekomplex in eine Region kommen", ist sich der BUND-Experte Warode sicher, "den werden die Menschen vor Ort ganz konkret zu spüren bekommen." Die angelieferten Castor-Behälter müssten zwischengelagert und umgepackt werden. "Dabei können Strahlenbelastungen entstehen. Dann müssen sie über einen Schacht oder eine Rampe unter Tage gebracht werden." Die Anlage werde über vierzig Jahre das Bild einer Region prägen.

"Die Ruhe wäre dahin", ist sich die ehemalige Ärztin Rosenbaum aus Beetzendorf in der Altmark sicher und schaut in den Dezemberhimmel. "Dabei sind mir die finanziellen Angebote zuwider. Wenn es der sicherste Ort für den Atommüll ist, brauche ich auch kein Geld und keine Kompensation. Dann kommt aber auch die Jugend nicht mehr zurück."

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MDR (Hannes Leonard), dpa | Erstmals veröffentlicht am 05.01.2025

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