MDRfragt Mehrheit unzufrieden mit Bildungssystem – schon vor Schulbeginn
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20. September 2024, 03:00 Uhr
Lehrplan, Digitalisierung, Personal: In vielen Punkten rund um das Thema Schule ist noch deutlich Luft nach oben. Das ist die mehrheitliche Meinung im aktuellen MDRfragt-Stimmungsbild mit knapp 23.000 Teilnehmenden aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Darin wird auch deutlich: Für die allermeisten Befragten müsste das Bildungsprogramm bereits vor dem eigentlichen Schulbeginn ansetzen.
- Mehr als 85 Prozent sind mit den Lehrprogrammen an Schulen unzufrieden.
- Fachkräftemangel wird als Ursache vieler Probleme an Kitas und Schulen gesehen.
- 6 von 10 Befragten mit täglichem Bezug zu Schulen schätzen den Stand der Digitalisierung an Schulen als eher schlecht ein.
Das letzte Kita-Jahr zur Pflicht zu machen, ist seit Jahren Thema politischer und gesellschaftlicher Debatten. Der Deutsche Lehrerverband, sowie Politikerinnen und Politiker der CDU, darunter auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, haben sich wiederholt dafür ausgesprochen. So könnten bestimmte Grundlagen vor dem Beginn der Schullaufbahn gelegt werden, insbesondere im Hinblick auf die deutsche Sprache.
Laut der aktuellen Befragung unterstützen 88 Prozent der befragten MDRfragt-Mitglieder die Einführung eines verpflichtenden Kitabesuchs von mindestens einem Jahr vor dem Schulbeginn.
Dirk (53) aus dem Landkreis Wittenberg gehört zu den Befürwortern und meint: "Das letzte Kindergartenjahr ist wie eine Vorschule, in der Kinder schon die wichtigsten Dinge lernen, die sie in der Schule brauchen. Es geht nicht nur um Aufpassen und Stillsitzen, sondern auch um den Umgang untereinander und um Verkehrserziehung!"
Auch Heike (58) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge findet, Kinder sollten im letzten Kita-Jahr nicht nur auf den Unterricht vorbereitet werden, sondern auch mit- und voneinander lernen: "Kinder sollten im Vorschulalter unbedingt mit Gleichaltrigen zusammen sein und sich so gegenseitig voranbringen."
Gegenstimmen argumentieren größtenteils mit den knappen und teuren Kita-Plätzen sowie dem Recht auf freie Entscheidung seitens der Eltern.
8 von 10 Befragten finden, Schulen bereiten unzureichend auf das Leben vor
Laut der Befragung finden 86 Prozent der Befragten, dass die Schule keine ordentliche Ausbildung für das Leben bietet. Sie kritisieren veraltete Lehrpläne, Systeme und Strukturen. Das sehen auch einige der befragten Lehrkräfte aus der MDRfragt-Gemeinschaft so und machen in ihren Kommentaren deutlich, was aus ihrer Sicht besser laufen sollte.
Annika (39), Lehrerin aus dem Landkreis Zwickau, kritisiert beispielsweise: "Wir schauen zu sehr auf das pure Pauken von Lehrinhalten. Alles, was als Herausforderung nebenbei zu leisten ist, wird zu wenig wahrgenommen. Das beeinflusst das Lernen zu deutlich. Für mich ist die 'Sortierung' durch Noten und Bildungsgangentscheidungen viel zu früh."
Auch Lehrerin Katharina (37) aus Halle bemängelt "veraltete Strukturen, wenig Gestaltungsspielräume und Offenheit für neue Wege. Inhalte gehen zum großen Teil an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler vorbei".
Lebenswichtige Themen wie gesunde Ernährung, Achtsamkeitsübungen und Hauswirtschaft kämen laut Lehrerin Dagmar (62) aus dem Kyffhäuserkreis in der Schule viel zu kurz: „Es fehlt an praktischen, lebensnahen Themen wie gesunde Ernährung, Kochen mit frischen Zutaten, Entspannungstechniken und Hauswirtschaft.“
Fachkräftemangel als zentrales Problem
Ein großes Problem, das aus vielen Kommentaren hervorgeht, ist der Fachkräftemangel. Dieser betrifft sowohl Erzieherinnen und Erzieher in Kitas und den Horten, als auch Digitalisierungsbeauftragte und Lehrkräfte an Schulen.
Stephan (46) aus Magdeburg, berichtet von der Einschulung seines Kindes: "Alle Aktionen der Schule wurden aufgrund Personalmangel abgesagt. Das Kind war sehr enttäuscht ...".
Auch Sandra (32) aus Leipzig ist enttäuscht, was sie beim diesjährigen Schulstart erlebt hat: "Nicht genügend Lehrer und keine Hort-Erzieher, unsere Grundschule platzt aus allen Nähten, das macht natürlich Angst. Gerade die 1. Klasse ist so wichtig – mit Lesen und Schreiben lernen."
Immer wieder zu lesen in den Kommentaren: das Problem, wenn Unterrichtsstunden in Größenordnungen ausfallen – in allen Schulformen und Klassenstufen. "Zu viele Ausfälle, die nie aufgeholt werden (können)", findet auch Samantha (29) aus dem Landkreis Nordhausen besorgniserregend.
Stand der Digitalisierung an Schulen wird mehrheitlich schlecht bewertet
Durch den DigitalPakt-Schule werden seit 2019 Mittel aus dem Bundeshaushalt für die digitale Transformation von Schulen bereitgestellt. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden die Mittel bereits drei Mal erhöht. Insgesamt stehen Schulen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen seitdem über 675 Millionen Euro zur Verfügung, um die Anschaffung digitaler Infrastruktur, wie z.B. für Whiteboards, Tablets oder Computer, zu beantragen.
Den Stand der Digitalisierung an Schulen haben 14.528 Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer eingeschätzt, die selbst einen täglichen Bezug zur Schule haben, also Eltern, Großeltern, Pflegeeltern, im Bildungswesen Arbeitende, Schülerinnen und Schüler oder Geschwister von Schulkindern. Die Mehrheit (58 Prozent) von ihnen ist mit dem digitalen Stand der ihnen nahestehenden Schule überwiegend (58 Prozent) unzufrieden.
Die häufigsten Kritikpunkte der Befragten zum Stand der Digitalisierung sind:
- unzureichend ausgebildete Lehrkräfte/ Fachkräfte, um eine digitale Transformation an Schulen voranzubringen
- fehlende Tablets oder Computer für die Schülerinnen und Schüler
- sowie schlechtes oder sogar fehlendes WLAN.
Reiner (78) berichtet aus seiner Erfahrung von "leider nur WLAN-Zugang für 100 Accounts, bei 80 Lehrkräften und 550 Schülern." Zudem gäbe es "keine professionelle Betreuung der IT, sondern eine Lehrkraft. Und die knapst dafür noch Stunden ab".
Allerdings bewerten auch 30 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer den digitalen Stand an ihrer Schule als „gut“.
Und auch Stimmen, die Probleme der Digitalisierung jenseits der digitalen Infrastruktur aufzeigen, werden deutlich. So berichtet Lehrer Jan (27) aus dem Harz: "Die Ausstattung ist gut und wird auch immer besser, aber Hardware ist nicht alles. Es mangelt an Software und an Qualifikationen, um diese nutzen zu können."
Über diese Befragung
MDRfragt startete die Befragung „Wie fit ist unser Schulsystem?“ gemeinsam mit MDR JUMP („Die MDR JUMP Zuckertüte“).
Jedes Jahr verteilt MDR JUMP eine kleine, aber feine und leckere Zuckertüte an ganz viele Schulanfänger im Sendegebiet. Auf einem Flyer in der Zuckertüte konnten Eltern einen QR-Code scannen und sich für MDRfragt und die Befragung anmelden. Alle bereits angemeldeten MDRfragt-Mitglieder wurden ebenfalls wie gewohnt per E-Mail eingeladen. Die Befragung lief ausnahmsweise recht lang, vom 02. August bis zum 31. August.
22.953 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben an der Befragung teilgenommen.
Darunter sind fast 2.000 Menschen aus dem Schulsystem: 1.060 Lehrer, 175 Erzieher, 136 Schulleiter. Außerdem 3.258 Eltern mit Schulkind, davon 259 Eltern von Schulanfängern.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 22.953 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.
MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
Dieses Thema im Programm: MDR JUMP | MDR JUMP - Die Themen des Tages | 20. September 2024 | 19:00 Uhr