Chemieindustrie in Ostdeutschland Ostdeutsche Chemie in Not: Verband fordert schnelle Hilfen vom Staat
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16. Dezember 2024, 12:41 Uhr
Ostdeutschlands Chemieindustrie steckt in der Krise. In Leuna werden Stellen abgebaut. In Schkopau stehen ganze Werke von Dow Chemical auf dem Prüfstand. Und in Bitterfeld-Wolfen ist die Stimmung auch nicht gut. Der Grund sind die im internationalen Vergleich noch immer hohen Preise für Gas und Strom. Die ostdeutsche Chemie sieht sich teilweise sogar in ihrer Existenz bedroht und bittet die Politik um Hilfe.
- Chemiebranche liegt auf der Intensivstation.
- Drängen auf Industriestrompreis von vier Cent je Kilowattstunde wird lauter.
- Aussicht auf neue Förderungen erst nach der Bundestagswahl.
Niemand in Ostdeutschland benötigt so viel Erdgas wie Carsten Franzke. Der Manager der Stickstoffwerke Piesteritz macht daraus Ammoniak, Harnstoff, Düngemittel. Sein Jahr begann gut, die Produktion lief. Doch seit Spätsommer steigen die Gaspreise wieder. Und Franzke ist erneut an dem Punkt, an dem er überlegt, ob er seine Produktion nochmal drosseln muss.
Der Manager sagt, der ganzen Chemieindustrie gehe es schlecht: "Wir liegen gerade als Branche auf der Intensivstation. Wir liegen im Bett und können kaum noch atmen. Um uns herum ist alles damit betraut zu gucken: Welche Dokumentation schaffe ich? Welche Stoffe setze ich ein? Sind die denn wirklich grün? Ist das denn alles nachhaltig, was hier läuft? Tja, und ich kriege immer weniger Luft."
Chemieproduktion um zwölf Prozent gesunken
Vergangenes Jahr ist die deutsche Chemieproduktion nach Branchenangaben um zwölf Prozent gesunken. Die erhoffte Erholung fällt erstmal aus. Leuna entlässt Mitarbeiter, Dow stellt Werke infrage, Investitionen entfallen. Nora Schmidt-Kesseler fordert Hilfe aus der Politik. Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Nordost-Chemie sagt: Netzentgelte und Gasumlage müssten für die Betriebe sinken.
Außerdem fordert sie endlich einen Industriestrompreis von 4 Cent je Kilowattstunde. Dann könnten die Firmen wieder wettbewerbsfähig produzieren: "Wir brauchen einen Schulterschluss der Politik. Und parteipolitisches Kalkül kann jetzt nicht das Gebot der Stunde sein. Es ist wirklich so, dass das Haus brennt. Und das Fundament wackelt. Deswegen appelliere ich an die Politik, sich zusammenzutun und diese Sofortmaßnahmen jetzt in Angriff zu nehmen."
Parteipolitisches Kalkül kann jetzt nicht das Gebot der Stunde sein. Es ist wirklich so, dass das Haus brennt. Und das Fundament wackelt.
Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Schulze sieht Handlungsbedarf
Doch es ist unwahrscheinlich, dass die Forderungen vor der Bundestagswahl erhört werden. Die Kassen sind leer, für neue Staatsschulden fehlt der Konsens. Es bräuchte aber Milliarden, um die gewünschten Hilfen zu finanzieren. Das weiß auch Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze. Der CDU-Politiker hat sich die Sorgen der Branche auf einem Chemiegipfel angehört.
Handlungsbedarf sieht auch er: "Wir sind durch die aktuelle Situation nicht attraktiv für Neuinvestitionen. Wenn wir die chemische Industrie in Deutschland halten wollen, und das gilt auch für Leverkusen, für Ludwigshafen, und das gilt auch für uns, dann heißt das, dass wir uns das etwas kosten lassen müssen. Das ist tatsächlich der Fall und das muss auch im nächsten Haushalt abgebildet werden."
Bitterfeld-Wolfens Bürgermeister fürchtet um Haushalt
Der Bund soll geben, damit die Industrie leben kann. So ähnlich sieht das auch Armin Schenk. Denn der Bürgermeister von Bitterfeld-Wolfen fürchtet um seinen eigenen Haushalt. Sein Stadtsäckel füllt sich, wenn es den Firmen ringsherum gut geht: "Das ist ein wesentlicher Punkt in der Stadt Bitterfeld-Wolfen. Wir haben über 30 Millionen Euro Gewerbesteuern. Die werden von der Wirtschaft gespeist und natürlich auch aus Chemie und Pharma. Und wenn das wegbricht, hat das natürlich Folgen. Ich kann da nur die Europäische Union und den Bund [auffordern], die Weichen richtig zu stellen, damit hier bei uns keine Deindustrialisierung stattfindet."
Carsten Franzke von den Stickstoffwerken Piesteritz resümiert, eigentlich wolle die Industrie doch umbauen. Man wolle in grünen Wasserstoff investieren, nachhaltiger werden. Doch wenn die Betriebe kaputtgingen, falle auch die grüne Revolution aus: "Die Grundfrage, die ich eigentlich immer stelle, denn wir reden ja schon Jahre: Ist die Produktion in Deutschland noch gewollt?“
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 16. Dezember 2024 | 06:16 Uhr