Politische Mikro-Influencer Selfies für den Wahlkampf
Hauptinhalt
22. September 2021, 08:26 Uhr
Sie sind durch soziale Medien bekannt geworden, erscheinen authentisch, nahbar und kommunizieren mit ihren Followern auf Augenhöhe: sogenannte Influencer. Marketing-Experten haben längst erkannt, dass Influencer ein großes Einflusspotenzial besitzen und sich mit ihrer Hilfe gut Produkte verkaufen lassen. Doch nutzen Parteien sie im Bundestagswahlkampf?
- Sogenannte Mikro-Influencer haben in den sozialen Netzwerken großes Einflusspotenzial, weil sie nahbarer sind als die großen.
- Lokale Influencer sind für politische Landes- und Kommunalverbände von Vorteil.
- Mikro-Influencer wirken authentischer, wenn sie niemanden nach dem Mund reden.
Eine junge attraktive Frau steht lächelnd, mit Cap und Sonnenbrille auf dem Kopf, vor dem Aussichtsturm "Josephskreuz" im Harz. Ein typisches Ausflugs-Foto auf Instagram, das zwischen anderen Fotos von Freunden und Bekannten kaum auffällt. Doch Lilli Fischer ist CDU-Mitglied und will mit diesem Foto ihre Followern in sozialen Netzwerken nicht nur am schönen Harz-Ausflug teilhaben lassen. Sie will politischen Inhalt vermitteln, nämlich eine CDU-Initiative für den Schutz der Wälder.
"Ich nutze meine eigene Reichweite dafür, andere für die CDU zu begeistern", sagt die 21-Jährige, die für die CDU im Erfurter Stadtrat sitzt und als Social-Media-Redakteurin für den Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt sowie den Landesverband arbeitet. Und das gelingt ihr anscheinend recht gut: Wenn sie auf Instagram ihre Follower dazu auffordere auf ihre Stories zu antworten, beispielweise mit einer Frage, dann reagierten schon mal 500 Menschen. Vor kurzem hätten ihr außerdem zwei oder drei junge Leute geschrieben, dass sie wegen ihr in die JU eingetreten seien, der Jugendorganisation der CDU. "Das freut mich natürlich voll, wenn ich mit meiner Begeisterung für die politische Arbeit andere anstecke."
Lilli Fischer ist auf mehreren Kanälen aktiv. Auf Instagram erreicht sie mehr als 3.000, auf Facebook 2.500 und auf Twitter gut 6.000 Menschen.
Großes Einflusspotenzial von "Mikro-Influencern"
"Wenn wir von Influencern sprechen, denken wir immer an solche, die möglichst viele Abonnenten oder Follower und damit große Reichweiten besitzen. Aber auch weniger reichweitenstarke Influencer haben großes Einflusspotenzial", sagt Kommunikationswissenschaftlerin Halina Bause von der Universität Düsseldorf. Sie forscht gerade zum Thema politische Influencer auf YouTube. Der Erfolg von Influencern werde stärker an der Interaktion mit dem Publikum festgemacht als an der Publikumsgröße. "Je kleiner die Community, desto höher die Chance, tatsächlich auf Kommentare eingehen zu können", so Bause.
Der qualitative Einfluss von Mikro-Influencern könne daher sogar als noch größer beurteilt werden als von Influencern mit großen Reichweiten, erklärt auch Politikwissenschaftlerin Karoline Helbig vom Weizenbaum Institut in Berlin. Influencer bauten zu ihren Followern eine Beziehung auf, die als Freundschaft wahrgenommen werde – die Wissenschaft spricht Helbig zufolge won einer parasozialen Beziehung. "Da Mikro-Influencer noch intensiver mit ihren Followern interagieren als Influencer mit sehr großen Reichweiten, können sie noch engere Beziehungen aufbauen. Der qualitative Einfluss ist damit größer."
Der Erfolg von Influencern im Allgemeinen liege darin, dass sie sehr nahbar wirkten und dem eigenen Freundes- oder Bekanntenkreis zugehörig, also besonders ähnlich zu eigenen Einstellungen und Interessen. Die Kommunikation erscheine auf Augenhöhe und glaubhaft, so Kommunikationswissenschaftlerin Bause.
Helbig: Regionale Parteiverbände profitieren von lokalen Influencern
Laut Karoline Helbig bringen lokale Influencer wie Lilli Fischer für Landes- und Kommunalverbände noch einen weiteren Vorteil: "Sie können Inhalte aus der Region produzieren und daher vor allem potentielle Wähler in der Region erreichen." Gerade für lokale Parteiverbände erscheine es daher sinnvoll auf lokale Influencer zu setzen.
Das hatte laut einer Umfrage unter den sechs größten Landesverbänden in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nur der Landesverband der Grünen in Sachsen-Anhalt geplant. Der Verband hatte mit zwei Influencern aus Sachsen-Anhalt Gespräche geführt, die im Rahmen zweier Veranstaltungen in den Wahlkampf eingebunden werden sollten. „Wir geben im Rahmen dieser Aktionen keine gezielten Inhalte oder dergleichen vor, sondern bemühen uns um authentische und ehrliche Kommunikation nach außen. Eine eventuell anfallende Aufwandsentschädigung würden wir aus unserem Digitalbudget bereitstellen“, so die Grünen in Sachsen-Anhalt vor einigen Wochen. Doch aus der Zusammenarbeit wurde nichts, wie eine Nachfrage von MDR AKTUELL ergab.
Persönliches geht auf Social Media vor Inhalt
Auch Lisa Lehmann von der AfD fühlt sich mit ihrer Heimat – dem Harz – verbunden und lässt das ihre rund 3.900 Abonnenten auf Instagram wissen. Sie ist Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten Oliver Kirchner in Sachsen-Anhalt und arbeitet beim YouTube-Kanal der Jungen Alternativen als Reporterin. Lisa Lehmann ist vor allem auf Instagram aktiv, wo sie mit ihren Stories bis zu 2.000 Menschen erreiche. Selbst würde sie sich allerdings nicht als politische Influencerin bezeichnen.
"Mit meinem persönlichen Account will ich mit Vorurteilen aufräumen, die man so über AfD-Mitglieder hat", sagt sie. "Ich will zeigen, wie junge Leute ticken, die sich mit AfD-Positionen identifizieren." In ihren Posts setzt sie daher weniger auf AfD-Logos und bekannte Parteifunktionäre, sondern mehr auf Fotos, die sie selbst perfekt in Szene setzen. Hin und wieder taucht sie in ihrer Rolle als Reporterin auf sowie mit anderen Mitgliedern der Jungen Alternative. Sie vermittelt vor allem in ihren Stories politische Inhalte und ruft ihre Abonnenten zur Diskussion auf. "Es geht mir aber nicht nur um das AfD-Programm. Ich will eine persönliche Komponente mit reinbringen."
Mikro-Influencer: "Ich scheue nie die Konfrontation"
Ganz anders präsentiert sich Christian Storch, der für den Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Grüne) arbeitet.
Er will in den sozialen Netzwerken einerseits mit fachlicher Kompetenz punkten und andererseits einen authentischen Blick hinter die Kulissen seiner parlamentarischen Arbeit gewähren. Und er sucht den politischen Streit auf Twitter. Dort folgen dem 32-jährigen Thüringer mehr als 9.000 Menschen. "Ich scheue nie die Konfrontation", sagt er. "Ich spitze zu, ja und bin auch hart in der Sache. Aber bei mir werden Sie nichts lesen, was unter die Gürtellinie geht."
Storch sieht sich vor allem als Influencer bei den Themen Mobilität und Klimaschutz. Auf seinem eigenen Blog veröffentlicht er außerdem regelmäßig Artikel zu diesen Themen. Dass er mit seinen Aktivitäten in den sozialen Netzwerken Menschen dazu bringen könnte, die Grünen zu wählen, bezweifelt er. "Ich mobilisiere eher die eigenen Leute oder solche, die sich für ähnliche Themen interessieren."
Frei Schnauze statt von der Partei geplant
Alle machen sie ihr eigenes Ding in den sozialen Netzwerken. Keiner der genannten Influencer wurde bereits durch die eigene Partei instrumentalisiert – bzw. für ihre Arbeit auf den eigenen Social-Media-Kanälen bezahlt. "Influencer bleiben authentischer, wenn sie niemanden nach dem Mund reden", sagt Politikwissenschaftlerin Karoline Helbig.
Wenn die CDU-Stadträtin Lilli Fischer auf CDU-Veranstaltungen eingeladen werde, dann berichte sie aus freien Stücken darüber, und auch nur wenn sie dazu Lust hat. Sie findet: "Ein persönlicher Account sollte auch persönlich bleiben." Sie schreibe auf ihren eigenen Kanälen frei Schnauze – ganz anders als in ihrer Funktion als Social-Media-Redakteurin für Mario Voigt oder den Landesverband, in der sie einen professionellen Content-Plan erstellt. Der Landesverband der CDU in Thüringen bestätigt: Bezahlte Influencer würden nicht in den Bundestagswahlkampf eingebunden. "Für uns sind unsere Mitglieder die natürlichen Influencer in den sozialen Netzwerken."
Soziale Netzwerke wahlentscheidend?
In Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl findet auch Christian Storch: "Die eigenen Mitglieder sind die überzeugendsten Influencer für jede Partei. Ich glaube allerdings nicht, dass die Wahl in den sozialen Netzwerken entschieden wird."
Dennoch meint Kommunikationswissenschaftlerin Halina Bause: "Influencer können gerade solche Zielgruppen ansprechen, die Parteien nur schwer erreichen: Junge Wähler, die sich vielleicht noch gar nicht für Politik interessieren, aber sehr intensiv in den sozialen Netzwerken unterwegs sind."
Bei ihnen kommt eine Lilli Fischer mit Freizeitoutfit und unverkrampftem Lächeln womöglich besser an, als ein Spitzenpolitiker wie Mario Voigt, der selbst beim Bratwurstessen noch professionell wirkt.
Quelle: MDR
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 20. September 2021 | 16:15 Uhr