
Koalitionsvertrag im Check | Teil 2 "Gute Kitas": Was ist daraus geworden?
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23. September 2021, 11:10 Uhr
In der Familienpolitik hat Schwarz-Rot nicht gekleckert. Es gab in zwei Stufen mehr Kindergeld und einen höheren Kinderzuschlag für Einkommensschwache. Milliarden sollten auch in "gute" Kitas und Schulen fließen. Kamen sie an?
Inhalt des Artikels:
In den vergangenen vier Jahren hat die Koalition aus Union und SPD in der Familien- und Bildungspolitk einiges geschafft. Neben eher sozialpolitischen Aufgaben und Ausgaben für Familien und Kinder hatte sie sich besonders im Bereich frühkindlicher und schulischer Bildung etwas vorgenommen. Noch einmal wie ein Programm hatte dazu im schwarz-roten Koalitionsvertrag gestanden:
Wir werden alle Familien finanziell entlasten, die Kinderbetreuung verbessern.
Kernpunkt der Familienpolitik: Bessere Kinderbetreuung
Auch einen "Nationalen Bildungsrat" wollte die Koalition schaffen und einen Ganztagsanspruch für Grundschüler. Zudem stand der Digitalpakt Schule mit fünf Milliarden Euro in fünf Jahren im Koalitionsvertrag. Das auch als Etatposten größte Projekt in der Familienpolitik wurde aber die Verbesserung der Kinderbetreuung vor der Schule, nun verstärkt auch als "frühkindliche Bildung" qualifiziert.
Wir wollen bestmögliche Betreuung für unsere Kinder und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu unterstützen wir Länder und Kommunen weiterhin beim Ausbau des Angebots und bei der Steigerung der Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen und dem Angebot an Kindertagespflege sowie zusätzlich bei der Entlastung von Eltern bei den Gebühren.
Daraus wurde das von der SPD forcierte und von deren Familienministerin Franziska Giffey so genannte "Gute-Kita-Gesetz". Im Vertrag hieß es, dass "wir jährlich laufende Mittel zur Verfügung stellen (2019 0,5 Milliarden, 2020 eine Milliarde, 2021 zwei Milliarden)" – und "die Länderkompetenzen wahren".
Statt 3,5 Milliarden wurden es dann fast 5,5 Milliarden Euro, die der Bund locker machte, verteilt auf vier Jahre und 16 Bundesländer: 493 Millionen für 2019, danach 993 Millionen Euro für 2020 und jeweils 1.993 Millionen für 2021 und 2022.
Das "Gute-Kita-Gesetz": Die Ziele der Koalition
Damit gelang es, das komplexe und aufwändige Gesetzgebungsverfahren in erstaunlich kurzer Zeit noch im ersten Jahr der Koalition durchzubringen und das KiQuTG Anfang 2019 in Kraft zu setzen: Das "Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Verbesserung der Teilhabe in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (KiTa-Qualitäts- und -Teilhabeverbesserungsgesetz)".
In der Begründung des Gesetzes wurden vier wesentliche Ziele formuliert:
- gleichwertiger Zugang zu hoher Qualität in der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung für alle Kinder in Deutschland
- Abbau von Unterschieden zwischen den Ländern, um zu gleichwertigen Lebensverhältnissen für Kinder in Deutschland zu kommen
- bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit bundesweit gleichwertigen Rahmenbedingungen auch für die Eltern
- Verbesserung der Teilhabe an der Kindertagesbetreuung auch durch eine Entlastung der Eltern von Kita-Beiträgen
Die Umsetzung in den Ländern
Zur Vorgeschichte gehört vor allem der bundesweite Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, ebenfalls von einer schwarz-roten Koalition im Bund schon 2008 beschlossen und seit 2013 in Kraft.
Damit einher ging ein gewaltiger Aufbau an Kindergarten- und Krippenplätzen, letzteres vor allem im Westen. Was erreicht wurde, zeigt der gestiegene Anteil von Kindern unter drei Jahren in Tagesbetreuung und erwerbstätigen Müttern von Kindern unter drei in allen Bundesländern, besonders aber im Westen.
Vier Jahre später dann war auch von "Kinder-Verwahranstalten" wieder lauter die Rede, dass doch nicht immer nur neue Plätze geschaffen werden könnten, ohne zu schauen, was in Kitas passiert. Auch erziehungswissenschaftliche Diskurse fanden zunehmend Eingang in Bildungspolitik und damit auch der Begriff "Qualität".
Dass die damalige Ministerin Giffey das politische Produkt als das "Gute-Kita-Gesetz" verkaufte, wurde viel kritisiert, weil das den Namen eines Gesetzes mit Reklame verband. Allerdings brannte diese politische Reklame dem Gesetz den Willen des Gesetzgebers – Qualität zu fördern – förmlich auf, was ihn trotz seiner abweichenden Umsetzung bis heute davor bewahrt hat, vergessen zu werden.
Eine strukturelle Bedingungen für Qualität: Personal
Woran sich "Qualität" bei Kinderbetreuung tatsächlich festmachen ließe, ist Gegenstand potenziell grenzenloser Debatten. Vereinfacht gesagt: Viel liegt am Personal und daran, wie viel Zeit die Erzieherinnen und Erzieher für wie viele Kinder haben. So hatte etwa die Leipziger Erziehungswissenschaftlerin Susanne Viernickel bereits 2010 neben dem Personalschlüssel die Fachkraft-Kind-Relation, die Größe der Kindergruppen und die Qualifikation des Personals als das "eiserne Dreieck der Strukturqualität" bezeichnet. So gesehen, kann es ein Mehr an wie auch immer verstandener Qualität ohne mehr qualifiziertes Personal nicht geben.
Darauf stützt sich letzlich auch die 2020 von der Bertelsmann-Stiftung in einer Studie geäußerte Kritik an großen Unterschieden in den deutschen Kitas gerade beim Personal, zwischen Ost und West und Regionen, daran dass in Kindergärten im Osten sich eine Fachkraft meist um deutlich mehr als zehn Kinder zu kümmern hat und in den meisten westlichen Ländern um deutlich weniger als zehn.
Da die Sache im deutschen Föderalismus aber in der Hoheit der Länder liegt, versuchte es die schwarz-rote Koalition dieses Mal über Verträge mit ihnen und überließ es ihnen fast ganz, wofür sie die Mittel nutzen. Zehn Handlungsfelder waren definiert, die so ziemlich alles denkbare ermöglichten, von Sprachförderung über Fachkräfte-Ausbildung bis zur Schaffung von weiteren Kita-Plätzen oder der Beitragsentlastung der Eltern. Vom "Geld-für-alles-Gesetz" war da die Rede.
"Geld-für-alles-Gesetz" macht vieles möglich
Was die Länder daraus gemacht haben, zeigt diese Karte. Und wie sie ihre Schwerpunkte finanziell setzten, geht im Detail vor allem aus den Anhängen der jeweiligen Bund/Länder-Verträge hervor, die ebenfalls dort zu finden sind.
Dass sie vom Ziel qualitativer Angleichungen abweichen, wurde nicht erst Ende 2019 schon kritisiert, als mit den Verträgen fest stand, was die Länder mit dem Geld machen würden. "Schummelbezeichnung" kam von der FDP aus der Opposition. Doch in ähnliche Richtungen ging auch Experten-Kritik etwa vom Paritätischen Gesamtverband, wie auch schon bei den Anhörungen im Bundestag 2018, als es die Grünen noch mit einem alternativen Gesetzentwurf versucht hatten.
Das aufälligste Beispiel für diese Abweichungen bietet Mecklenburg-Vorpommern. In dem Vertrag, den die frühere Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig dann als Ministerpräsidentin im Nordosten mit ihrer SPD-Parteifreundin Franziska Giffey unterschrieb, gewährte der Bund die Mittel ausschließlich zur Entlastung der Eltern von Kita-Beiträgen. Nichts ging hier also in mehr pädagogische Qualität im engeren Sinn, womit Mecklenburg-Vorpommern bundesweit aber allein geblieben ist.
Die Ergebnisse
Zumindest angeschoben ist der Anspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler der Schuljahrgänge ab 2026. Dabei steckte er bis kurz vor der Bundestagswahl noch im Vermittlungsausschuss fest, weil den Ländern die vom Bund zugesagte Finanzierung nicht reichte. Nach dem erst Anfang September gefundenen Kompromiss soll er sich nun aber mit bis zu 3,5 Milliarden Euro am Platz-Ausbau beteiligen und später dann auch stärker an den laufenden Betriebskosten. Damit dürfte dieses Vorhaben der schwarz-roten Koalition für den Bund langfristig eines der teuersten in diesem Bereich werden.
Der Nationale Bildungsrat scheiterte am föderalen Kompetenzgerangel in der Bildung. Experten sowie Vertreter von Bund und Ländern sollten ebenfalls zur Vereinheitlichung von Verhältnissen beitragen, etwa zur bundesweiten Angleichung des Abiturs. Doch es ging hier nicht um viel Geld und die Kultusminister begnügten sich nach der Absage von Baden-Württemberg und Bayern Ende 2019 schließlich doch mit einer eher unverbindlichen Expertenkommission ohne den Bund.
In einem ähnlich gelagerten Gekabbel zwischen Bund und Ländern hing länger auch der Digitalpakt Schule fest, ebenfalls ein Vorhaben des Koalitionsvertrags, das durch die Schulschließungen in der Corononavirus-Pandemie noch wichtiger wurde. In ähnlicher Größenordnung wie beim "Gute-Kita-Gesetz" fließt hier viel Geld, allerdings – wie sich etwa in Thüringen zeigt – erheblicher langsamer.
Beim "Gute-Kita-Gesetz" sieht die Bilanz besser aus. Das Geld ist flott verteilt worden, und wofür es verwendet wird, ist in einer bisher seltenen Transparenz dokumentiert – etwa im kurzen Bericht vom Sommer 2020 noch unter Ministerin Giffey, basierend auf einem umfangreichen wissenschaftlichen Monitoring.
Zudem gibt es im Gesetz vereinbarte Evaluationen, ob und wie die Ziele erreicht werden. Am 22. September – vier Tage vor der Bundestagswahl – wurde der erste Bericht im Bundeskabinett behandelt. Er sollte danach dann auch dem Bundestag zugeleitet werden. Daraus Schlüsse zu ziehen, wird allerdings dem neu gewählten Parlament zukommen. Ein weiterer Evaluierungsbericht ist für 2023 geplant.
Das "Gute-Kita-Gesetz" ist ein Anfang
Bereits jetzt aber lässt sich sagen: Seinem Namen wird das "Gute-Kita-Gesetz" bestenfalls zur Hälfte gerecht. Denn – wie auch immer man "Qualität" auffasst – ein Großteil der Mittel floss und fließt in Dinge, die damit ohne Spitzfindigkeiten kaum zu verbinden sind. So ist es Union und SPD bei Wahrung der Länderkompetenzen kaum gelungen, bessere Strukturbedingungen für Qualität durchzusetzen.
Zwar mag etwa in Mecklenburg-Vorpommern mit der Beitragsentlastung die Betreuungsquote in bestimmten sozialen Gruppen erhöht worden sein und damit auch die Teilhabe von Kindern an Bildungschancen. Trotzdem ist das ist eher Sozialpolitik. Für mehr pädagogische Qualität oder gleichwertigere Verhältnisse bei der Kinderbetreuung in Deutschland wäre aber vor allem eine Angleichung durch bessere Personalschlüssel ein zählbarer Schritt und eine Voraussetzung.
Denn Unterschiede etwa zwischen Ost und West sowie zwischen einzelnen Regionen scheinen sich eher noch auszuwachsen, wenn die Mittel anteilig gleich über Länder mit unterschiedlichen Bedingungen verteilt werden und es ihnen auch derart frei überlassen bleibt, wie sie die Mittel des Bundes überhaupt einsetzen.
So mag das Versprechen "guter Kitas" in ganz Deutschland für ein Bundesgesetz etwas zu vollmundig gewesen sein. Es wurden damit jedoch Prozesse angestoßen, von denen im besten Fall zu hoffen wäre, dass sie nicht mehr aufzuhalten sind.
Mit dem "Gute-Kita-Gesetz" ist ein Anfang gemacht, vor allem aber auch ein Anspruch in die Welt gesetzt, den künftige Politiker in Bund und Ländern nicht mehr einfach umgehen können. Eine Fortsetzung würde den Kitas gut tun.
Quelle: MDR, ksc