Pflegeversicheung Lauterbach: Zahl Pflegebedürftiger steigt unerwartet schnell
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27. Mai 2024, 12:12 Uhr
Das Bundesgesundheitsministerium schlägt Alarm: Die Zahl neuer Pflegefälle lag im vergangenen Jahr deutlich höher als erwartet. Damit drohen sich die Finanzprobleme zu verschärfen. Zugleich sind viele Pflegepatienten auf staatliche Hilfe angewiesen. Diese soll nach dem Willen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht mehr vom Sozialamt, sondern von der Pflegeversicherung ausgezahlt werden.
Die Pflegefallzahlen in Deutschland sind unerwartet schnell gestiegen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland", im vergangenen Jahr seien bundesweit 361.000 neue Pflegepatienten dazugekommen, rund 50.000 mehr als demografisch erwartet. Damit stiegen auch die Pflegeausgaben. Mit dem aktuellen Beitragssystem allein sei das Leistungsniveau nicht zu erhalten.
Vermutung: Erstmals zwei Generationen gleichzeitig betroffen
Lauterbach räumte ein: "Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau." Mögliche Nachholeffekte durch die Corona-Pandemie erklärten das Plus in dieser Größenordnung nicht. Der SPD-Politiker vermutet einen "Sandwich-Effekt": Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kämen nun die ersten "Babyboomer" dazu, die auch Pflege benötigten. Es gebe also erstmals zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflegeleistungen angewiesen seien: Die Mitte der 1950er- bis in die 1960er-Jahre hinein geborenen Babyboomer und deren Eltern.
Lauterbach führt als Grund für die Entwicklung auch den medizinischen Fortschritt an. Es gebe viele Erkrankungen, die man früher nicht lange überlebt hätte. Die Gruppe derjenigen, "die schon in jungen Jahren pflegebedürftig sind, ist größer geworden".
Lauterbach: Pflegekasse soll Hilfe vom Sozialamt mit übernehmen
Damit wächst der Druck für eine Finanzreform im Pflegesystem. Bis Monatsende soll eine Arbeitsgruppe mehrerer Ministerien Vorschläge machen. Lauterbach regte an, die Sozialhilfe für Pflegebedürftige künftig von der Pflegekasse anstatt von den Sozialämtern auszahlen zu lassen. Seit Langem steht diese Regelung in der Kritik. Denn Viele Betroffene empfinden es als entwürdigend, am Ende ihres Lebens in der Pflege auf das Sozialamt angewiesen zu sein – und viele verzichten lieber.
Eine sogenannte Hilfe zur Pflege können Menschen beim Sozialamt beantragen, die die Kosten für den notwendigen Betreuungsaufwand nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können. Um künftig eine Finanzierung dieser Leistungen über die Pflegekasse zu ermöglichen, müssten allerdings die bei dann den Kommunen eingesparten Gelder an die Pflegeversicherung fließen.
GKV hatte schon vor Wochen vor Entwicklung gewarnt
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen GKV hatte schon Mitte April gewarnt, dass die Zahl der Pflegefälle um gut elf Prozent gestiegen sei. GKV-Vize Gernot Kiefer benannte zugleich drei damit verbundene Probleme:
- die Kosten für die Pflege stiegen so stark, dass es für sehr viele Pflegebedürftige nicht mehr zu bezahlen sei
- wenn die Politik weiter auf steigende Beiträge setze, überfordere das Arbeitgeber und Beschäftigte
- es brauche noch mehr Personal in die Pflege.
Bundesweit waren Ende 2021 in Deutschland 4,9 Millionen Pflegefälle registriert. Bis 2035 wird ein Anstieg auf etwa 5,7 Millionen erwartet, bis 2055 auf rund sieben Millionen – und dann eine Stabilisierung.
KNA/dpa(ans)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 27. Mai 2024 | 09:00 Uhr