Ein Mann sitzt vor einem Glücksspielautomaten.
Laut Studien zeigen Hundertausende Menschen in Deutschland ein krankhaftes Glücksspielverhalten. Vor allem Online-Glücksspiele führen schnell in die Spielsucht. Bildrechte: picture alliance / Arne Dedert/dpa | Arne Dedert

Online-Glücksspiele Spielsucht: "Ich habe auf den einen großen Gewinn gehofft"

07. April 2023, 10:14 Uhr

Markus Schröder* lenkt sich mit Online-Glücksspielen von beruflichen Schwierigkeiten und der Corona-Pandemie ab. Die Sucht entwickelt sich nach und nach. Am Ende steht der finanzielle Abgrund, schwer enttäuschte Angehörige und große Scham. Anderen Betroffenen rät er im Interview, so schnell wie möglich Hilfe zu suchen.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Alexander Laboda
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MDR AKTUELL: Herr Schröder, Sie stehen mitten im Leben, haben Familie und einen Freundeskreis, sind beruflich gesetzt, pflegen Hobbys. Wie und warum haben Sie trotzdem ein Problem mit Glücksspielen bekommen?

Markus Schröder*: Es hat 2015 angefangen. Es lief mit dem Job nicht so wie gewünscht. Ich hing etwas in den Seilen. Übers Internet bin ich mehr zufällig auf Glücksspielseiten gekommen und dachte mir, 10 oder 20 Euro kannst Du ja mal einsetzen. Auf dem Niveau lief es dann zwei, drei Jahre. Das waren damals bereits relativ hohe Verluste, hätte man das nachgerechnet. Rational weiß man auch, dass die Bank immer gewinnt. Aber ich habe immer auf den einen großen Gewinn gehofft oder sogar spekuliert.

Das hat mir so einen richtigen Kick gegeben.

Markus Schröder* Abhängiger von Glücksspielen

Wann wurden die Einsätze größer?

Es gab einen Tag im Jahr 2019, an den erinnere ich mich genau. Es war kurz vor Feierabend und ich habe noch eine Glücksspielseite aufgerufen. Dort hatte ich eine solche Glückssträhne, dass ich zwischendurch dachte, dass Spiel sei kaputt. Von kurz vor 18 Uhr bis abends um 22 Uhr habe ich so gut wie jedes Spiel gewonnen. Ich hatte mit kleinen Beträgen von ein, zwei Euro angefangen. Aber nach ungefähr eineinhalb Stunden habe ich erhöht auf etwa zehn Euro pro Spiel. Zwischendurch rief ich zu Hause an und schob einen Arbeitstermin vor. Später ließ ich auch das Training mit meiner Sportmannschaft ausfallen. Am späten Abend hatte ich 8.500 Euro gewonnen. Das Geld habe ich mir auszahlen lassen. Das hat mir so einen richtigen Kick gegeben. Ich habe gedacht, dass man bei diesen Spielen also doch größere Summen gewinnen kann.

Und von da an haben Sie öfter gespielt?

Die nächsten Tage und Wochen habe ich immer wieder versucht, so einen Gewinn zu erreichen. Aber der Effekt kam nie wieder. Als nächstes kam dann Corona. Während der Pandemiezeit wurde mein Verhalten suchtartig. Ich habe regelmäßig mehrere Stunden am Tag gespielt und die Arbeit zur Seite geschoben. Die Einsätze wurden größer und größer.

Wie gefährlich sind Glücksspiele? Laut der repräsentativen Studie "Glücksspiel-Survey 2021" mit mehr als 12.000 Befragten zwischen 18 und 70 Jahren weisen 2,3 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine Glücksspielstörung auf. Bezogen auf die volljährige Bevölkerung von rund 69 Millionen Menschen ergibt das rechnerisch eine Zahl von über 1,5 Millionen Männern und Frauen mit einem krankhaften Glücksspielverhalten.

Als riskante Glücksspiele gelten laut der Studie Automaten- und Kasinospiele sowie Sportwetten. Weniger als die Hälfte aller Spielerinnen und Spieler zeigt hierbei ein unproblematisches Verhalten. Rund 29 Prozent der Teilnehmer dieser Spielformen neigt mindestens zu riskantem Spiel. Fast jeder Vierte (23,3 Prozent) entwickelt eine leichte bis schwere Glücksspielstörung.

Das größte Risiko für pathologisches Glücksspielverhalten herrscht demnach bei Online-Kasinospielen. Nur bei etwa einem Drittel (32,1 Prozent) der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist das Spielen unproblematisch. Ein weiteres Drittel spielt riskant (33,2). Und ebenfalls ein gutes Drittel (34,4 Prozent) weist eine Glücksspielstörung auf.

Fachleute nennen mehrere Gründe dafür, warum speziell Online-Kasinospiele gefährlich sind. Die Spiele sind jederzeit verfügbar, ohne die eigene Wohnung zu verlassen. Unterwegs sind sie unauffällig auf dem Smartphone spielbar. Beim Spielen zu Hause lassen sich nebenbei leicht Alkohol und Drogen konsumieren. Die Bezahlung erfolgt digital beziehungsweise per Bankeinzug. Schließlich sind die Spielrunden sehr kurz und ein neuer Durchgang schnell begonnen. Quellen: Glücksspiel-Survey 2021, www.check-dein-spiel.de

Welche Auswirkungen hatte das auf Sie persönlich und Ihr Umfeld?

Ich musste viel Zeit aufwenden, um für das nötige Geld zu sorgen. Ich habe oft Beträge umgebucht, teilweise Kreditbeträge oder Krankenkassenbeiträge zurückgeholt. Das ging so weit, dass ich aufpassen musste, zu Hause rechtzeitig am Briefkasten zu sein, weil Mahnbescheide dabei waren. Beruflich bin ich Finanzberater, privat wurde ich zum Finanzjongleur. Ich musste ständig überlegen, wie ich wo das Geld hin und herschiebe, damit die Buchungen noch klappen. Das hat mich Tag und Nacht beschäftigt, trotzdem habe ich bis Weihnachten 2021 mit niemandem darüber gesprochen.

Haben Sie sich in der Folge selbst Hilfe gesucht oder kam ein Impuls von außen?

Ich bemerkte selbst, dass das suchtmäßige Züge angenommen hatte. Im Frühjahr vor einem Jahr machte ich im Internet einen Selbsttest. Da erschienen am Ende ein roter Button für chronisches oder pathologisches Glücksspielverhalten und der Rat, sich schnell Hilfe zu suchen. Im Mai war ich dann das erste Mal in einer Beratungsstelle. Leider habe ich mich nach zwei Terminen dort entschieden, das abzubrechen, weil ich dachte, ich bekomme das allein hin.

Andere Menschen müssen nun für meine Fehler finanziell einstehen

Markus Schröder* Abhängiger von Glücksspielen

Der erste Ausbruchsversuch schlug fehl?

Ja, und im Sommer und Herbst entwickelte sich die Glückspielsucht dann wieder hochgradig. Das finanzielle Chaos wurde immer größer. Ein Kreditvertrag wurde gekündigt. Das war alles sehr kompliziert. Schließlich ist die ganze Sache durch Gespräche in der Familie ans Licht gekommen. Meine Frau hat mich im Dezember direkt angesprochen und ich habe mich offenbart.

Wie war es, als das Lügenkonstrukt zusammenbrach?

Für mich war es psychisch eine Erleichterung, alles auf den Tisch zu packen. Es war ein riesiger Rucksack, den ich viele Jahre mit mir rumgeschleppt habe. Es gab Gespräche mit der Familie und engen Freunden. Natürlich waren die Enttäuschung und der Vertrauensverlust sehr groß. Und es ist eine große Scham. Andere Menschen müssen nun für meine Fehler finanziell einstehen.

Wie sind sie rausgekommen aus der Spielsucht?

Am gleichen Abend, als ich das Gespräch mit meiner Frau hatte, habe ich die Selbstsperre aktiviert. Ich kann jetzt bei keinem Anbieter mehr spielen. Für mich habe ich in dem Moment mit dem Glücksspiel abgeschlossen. Ich muss akzeptieren, dass mir das viele nicht glauben und mit Rückfällen rechnen. Aber ich will es nicht mehr. Sollte noch einmal etwas in der Richtung passieren, würde die Beziehung mit meiner Frau in die Brüche gehen. Das möchte ich definitiv nicht erleben.

Wie schützen Sie sich vor Rückfällen?

Ich bin in Einzel- und Gruppentherapie, um das Geschehene aufzuarbeiten und meinen Umgang zu finden. Ich bin außerdem finanziell unter sehr enger Kontrolle. Selbst wenn ich jetzt wollte, hätte ich gar nicht das Geld zum Spielen beziehungsweise könnte ich es nicht vertuschen.

Ich glaube, das kann jeden treffen.

Markus Schröder* Abhängiger von Glücksspielen

Wie blicken Sie heute auf die Zeit in der Abhängigkeit?

Ich kann nicht sagen, dass es für mich ein permanenter Kick war. Es war mehr eine Routine. Manche Tage habe ich 100 Euro eingesetzt und 300 Euro gewonnen. Da habe ich auf der Heimfahrt aus dem Büro gedacht, es ist doch super, dass ich das jetzt verdient habe. Dass ich vorher ein Vielfaches verloren hatte, ist in dem Moment kein Gedanke. Es ist erstaunlich, welche Windungen im Gehirn einen Menschen in diese Richtung bringen. Ich denke, ich bin kein dummer Mensch. Ich habe studiert und ein gutes Allgemeinwissen. Trotzdem war ich davor nicht gefeit. Ich glaube, das kann jeden treffen.

Bei Online-Glücksspielen gibt es Maßnahmen zum Spielerschutz, zum Beispiel Einzahlungslimits oder automatisierte Software, die auffälliges Spielverhalten erkennen soll. Hat bei Ihnen etwas davon funktioniert?

Bei dem Anbieter, bei dem ich die letzten zwei Jahre intensiv gespielt habe, kamen zwei Mal E-Mails, in denen Fürsorge geheuchelt wurde. Die Fragen darin habe ich so beantwortet, als ob alles in Ordnung sei. Belege für meine Angaben wurden nicht gefordert. Das gesetzliche Spiellimit von 1.000 Euro pro Monat habe ich in meiner Zeit regelmäßig überschritten, da griff keine Sperre. Ich habe aber auch bei Anbietern gespielt, die nicht auf der Whitelist der lizensierten Anbieter stehen und sich deshalb wahrscheinlich nicht an die Regeln halten. Für mich als Nutzer war das aber überhaupt nicht zu erkennen. Die Seite sah aus, wie andere Spielseiten auch. Momentan versuche ich auf juristischem Weg, einen Teil meiner Verluste von diesen illegalen Anbietern wieder zu bekommen.

Sind die Beratungs- und Hilfsangebote aus Ihrer Erfahrung heraus ausreichend?

Bei der ersten Kontaktaufnahme zur Beratungsstelle habe ich innerhalb von einer Woche einen Termin bekommen. Das hat also schnell geklappt. Ich finde aber nicht so gut, dass es in Magdeburg nur diese eine Anlaufstelle in Sachsen-Anhalt gibt. Das sollte ausgebaut werden. Auch in der Prävention müsste mehr getan werden. Es sollte stärker darauf hingewiesen werden, dass Glücksspiele starke Abhängigkeiten verursachen können. Demgegenüber ist es unfassbar, wie viel Werbung für Glücksspiele gemacht wird und wie klein die Warnhinweise dabei sind.

Was würden Sie anderen Menschen raten, die bemerken, dass sie ein problematisches Glücksspielverhalten entwickeln?

Am besten ist natürlich, gleich die Finger weg zu lassen von dem Zeug. Um zu erkennen, wie groß das Problem ist, hilft am Anfang ein Selbsttest. Ansonsten sollte man sich so schnell wie möglich Hilfe holen. Ich kann mir nach meiner Erfahrung nicht vorstellen, dass man da alleine wieder rauskommt.

Hilfe bei Glücksspiel-Sucht Wenn Sie selbst Probleme mit dem Spielen haben oder sich Sorgen um eine angehörige Person machen, wenden Sie sich an das Beratungstelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das Beratungsteam ist unter der Rufnummer 0800 1 37 27 00 kostenfrei und anonym erreichbar.
Sprechzeiten: montags bis donnerstags 10 bis 22 Uhr und freitags bis sonntags 10 bis 18 Uhr an 363 Tagen im Jahr (ausgenommen der 24.12. und der 31.12.).

* Name von der Redaktion geändert

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