Björn Höcke
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Björn Höcke im Mai 2021 bei einer Kundgebung die verbotene Parole "Alles für Deutschland" der Sturmabteilung (SA) der NSDAP verwendet hatte. Bildrechte: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ronny Hartmann

Analyse "Sie sind ein Mann, der weiß, was er sagt": Höcke wegen NS-Spruch verurteilt

15. Mai 2024, 08:13 Uhr

Das Landgericht Halle hat den Thüringer AfD-Chef wegen der Verwendung von NS-Vokabular zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Prozess wurde erneut deutlich, auf welche kommunikativen Strategien extrem rechte Politiker setzen. Unser Reporter Bastian Wierzioch hat den Prozess verfolgt und ordnet das Urteil ein.

Höckes Selbstverharmlosung

Während der vier Verhandlungstage in Halle wurde erneut deutlich, auf welche kommunikativen Strategien extrem rechte Akteure setzen. "Ich bin tatsächlich völlig unschuldig und bitte um Freispruch", beteuerte Höcke auch am letzten Prozesstag. Angeblich habe er nicht gewusst, dass es sich bei der Parole um NS-Vokabular handele.

Das Gericht muss sich alles anhören, aber muss nicht alles glauben. Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt.

Richter Jan Stengel

Dazu sagte der Vorsitzende Richter Jan Stengel bei der Urteilsbegründung: "Das Gericht muss sich alles anhören, aber muss nicht alles glauben. Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt." Angesprochen auf seine langjährige Tätigkeit als Geschichtslehrer, antwortete Höcke: "Nein, der Geschichtslehrer muss das nicht wissen."

Auch Staatsanwalt Benedikt Berenzen warf Höcke vor, mit Reden wie in Merseburg zu versuchen, NS-Vokabular aus der Tabuzone zu holen. Der Thüringer AfD-Landesverband wird vom Verfassungsschutz seit 2021 als eine "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft.

Höcke stellte sich während des gesamten Prozesses durchgehend als Opfer dar. Er habe das "Gefühl, ein politisch Verfolgter" zu sein. Von den etablierten Medien werde er "gemobbt" und immer wieder "offen in Nähe des Nazi-Regimes" gerückt. Dabei habe er mit "Nationalsozialismus nichts, aber auch gar nichts am Hut". Die "braune Diktatur" lehne er aus tiefstem Herzen ab. Die Strafanzeige wegen der Rede in Merseburg sei gestellt worden, um ihn zu "verunsichern". "Das hemmt die Rednerfähigkeit, nimmt Authentizität."

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Misstrauen schüren

Mehrfach bezeichneten Höckes Anwälte das Strafverfahren in Halle als "politisch motiviert". Höcke selbst unterstellte Staatsanwalt Berenzen sogar in der "Diktion eines politischen Aktivisten" plädiert zu haben. Zu dieser Strategie - Misstrauen gegen Staat und Justiz zu schüren - passte auch ein Antrag der Verteidiger am ersten Prozesstag.

Sie forderten, vom gesamten Prozess eine digitale Tonaufnahme anzufertigen. Begründung: Man befürchte, ein "faires Verfahren" sei "nicht gewährleistet". Staatsanwalt Berenzen sprach in diesem Zusammenhang von einem "Torpedieren" der Verhandlung und einem "ungeheuerlichen Vorgang". Der Antrag wurde abgelehnt.

Staatsanwaltschaft bezog sich mehrfach auf Interview-Buch

Die Staatsanwaltschaft bezog sich während des Prozesses auch mehrfach auf ein Interview-Buch Höckes aus dem Jahr 2018. Darin forderte der AfD-Politiker, die "Grenze des Sagbaren immer wieder mit kleinen Vorstößen" zu verschieben. Für den Staatsanwalt ist die Merseburger Rede hierfür ein Beispiel.

Auch weitere von Höcke in der Vergangenheit verwendete Begriffe wie "Volksverderber" oder "Tatelite" oder "historische Wendezeit" seien "Sentenzen, die in auffälliger Weise Vokabular bedienen, die Kenntnisse über NS-Vokabular" nahelegten. Höcke verfüge augenscheinlich über einen "fundierten NS-Wortschatz".

In seinem Buch fordert Höcke, den "Kampf gegen Sprechverbote offensiv" zu führen. Dahinter steht die extrem rechte Strategie einer "Diskursverschiebung", wonach es zunächst im "vorpolitischen Raum" darauf ankommt, das Meinungsklima in der Gesellschaft möglichst weit nach rechts zu verschieben.

Gleichzeitig beklagen extrem rechte Akteure immer wieder angebliche "Denk"- oder "Sprachverbote" in Deutschland. Richter Stengel sagte bei der Urteilsbegründung, der "Deckmantel der Meinungsfreiheit" sei in diesem Verfahren "stark strapaziert worden".

Weitere Anklage in Halle

Voraussichtlich wird Höcke zeitnah erneut in Halle vor Gericht stehen, weil er im Dezember 2023 in Gera die SA-Parole erneut verwendet haben soll. Damals sprach er vor rund 350 Zuhörern über den Prozess in Halle und ließ sein Publikum den Slogan "Alles für …" im Chor vollenden. Dieser Fall sollte ursprünglich auf Antrag der Staatsanwaltschaft Gera in Halle mitverhandelt werden, wozu es schließlich nicht gekommen war.

In Halle wurde Höcke von insgesamt drei Rechtsanwälten vertreten. Dem Gericht zufolge waren darüber hinaus in den Wochen vor dem Prozess noch weitere Verteidiger beauftragt worden. In diesem Zusammenhang sprach der Richter am ersten Prozesstag von einem "Verteidiger-Karussell". Unklar ist, wer das Karussell bezahlt. MDR-Anfragen dazu ließen sowohl Höcke als auch Torben Braga, der Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, unbeantwortet.

MDR(jn)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 14. Mai 2024 | 20:00 Uhr

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