Sicherheit im Straßenverkehr So kontrolliert die Polizei den Mindestabstand zu Radfahrern

17. Oktober 2023, 10:08 Uhr

Wo geparkt werden darf, ist klar geregelt und es kann eindeutig überprüft werden, wo ein Verstoß vorliegt. Blitzer können auch feststellen, wenn Autofahrer das Tempolimit überschreiten. Schwieriger sieht es aus, wenn es darum geht, ob Autofahrer beim Überholen von Radfahrern den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand von anderthalb Metern einhalten. Wie wird das von der Polizei kontrolliert?

MDR AKTUELL Mitarbeiterin Kathleen Retzar
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Für Radfahrer ist es Alltag: Wer auf der Straße unterwegs ist, wird von Autofahrern häufig zu eng überholt. Das kann im schlimmsten Fall zu einem Sturz führen. Gefährlich wird es auch, wenn ein Autofahrer nicht mehr rechtzeitig reagieren kann, wenn ein Radfahrer gestürzt ist – zum Beispiel von alleine oder, weil unachtsam eine Autotür geöffnet wurde.

Ende April 2020 trat eine Novelle der Straßenverkehrsordnung in Kraft, wonach Radfahrer in der Stadt mit einem Abstand von mindestens 1,5 Metern überholt werden müssen, außerorts sind es mindestens zwei Meter. Wer den Abstand nicht einhält, kann theoretisch mit einem Verwarngeld von 30 Euro belangt werden. Kommt es zu einer Gefährdung, werden 80 Euro fällig, bei einem Unfall sind es 100 Euro. Nachzulesen ist das im Bußgeldkatalog, Paragraf 5, Absatz 4 der Straßenverkehrs-Ordnung. Aber wie sieht das in der Praxis aus?

Leipzig: Keine Dokumentation von Verwarngeldern

Die Polizeidirektion Leipzig kontrolliert die Mindestabstände beim Überholen von Radfahrern nicht explizit. Auf Anfrage von MDR AKTUELL heißt es: "Derzeit sind die Kontrollen kaum gerichtsfest zu gewährleisten, da es bis heute an festen Markierungen oder Fixpunkten auf der Fahrbahn mangelt." Valide Kontrollen könnten daher nicht durchgeführt werden. Die Beamten würden nach eigenem Ermessen entweder mündlich verwarnen oder ein Verwarngeld aussprechen. Da Verwarngelder aber nicht dokumentiert werden müssten, lägen keine Daten dazu vor, wie viele ausgesprochen worden seien.

Im November plant die Direktion jedoch einen Aktionstag speziell zu dieser Thematik. Dann soll ein System zur Abstandsmessung getestet werden. Ziel sei es weiterhin, ein "Seitenabstandsmesssystem auch in der Polizeidirektion Leipzig rechtssicher zu manifestieren", erklärte die Polizeidirektion. Das habe für die Behörde "einen hohen Stellenwert". Ein Großteil der Fahrzeugführer habe die Thematik erreicht, man stelle aber auch fest, "dass der gesetzlich vorgeschriebene Seitenabstand nicht von jedem Verkehrsteilnehmer richtig eingeschätzt und beachtet wird". Sobald ein Abstandsmesssystem etabliert sei, würden dahingehend verstärkt Verkehrskontrollen stattfinden. 

Kontrollen auf Magdeburger Sternbrücke

Das Polizeirevier in Magdeburg erklärte auf Anfrage, dass Abstandkontrollen bisher nicht generell, aber in Verbindung mit Aktionstagen durchgeführt worden seien. Viele Bürgerhinweise habe es zu der Situation auf der Sternbrücke gegeben. Dort mussten sich der motorisierte Verkehr und Radfahrer die schmale Fahrbahn in den vergangenen Monaten teilen, da die Strombrücke gerade saniert wird. Polizisten hätten dort verstärkt Präsenz gezeigt, erklärte die Polizei. Mittlerweile sei die Lage entschärft, da die Stadt den Gehweg für den Radverkehr freigegeben habe. Aber auch das Revier Magdeburg konnte auf Anfrage nicht mitteilen, wie viele Verwarngelder seit der Novelle der StVO ausgesprochen wurden.

Eine konkrete Statistik darüber, wie viele Fahrradunfälle wegen eines zu geringem Überholabstands passieren, gibt es dem Revier zufolge nicht. Diese würden unter "sonstige Fehler beim Überholen" oder "Fehler beim Wiedereinordnen nach Überholen" eingeordnet. Im Jahr 2020 und 2021 waren das jeweils zwei Unfälle, 2022 waren es fünf. In diesem Jahr zählte die Polizei Magdeburg bislang drei Unfälle beim Überholen von Radfahrern.

Polizei Thüringen: Autofahrer müssen sich selbst informieren

Die Landespolizeidirektion Thüringen in Erfurt teilte auf Anfrage lediglich mit, die Abstandskontrollen würden im Rahmen der allgemeinen Verkehrskontrolle durchgeführt. Eine Statistik dazu werde jedoch nicht geführt, dementsprechend gebe es auch keine Zahlen zu den Verwarngeldern. Auf die Frage, ob die Autofahrer über die Abstandsregeln ausreichend Bescheid wüssten, erklärte die Landesdirektion, diese Verantwortung liege bei den Autofahrern selbst. Sie müssten sich über Neuerungen der Straßenverkehrsordnung informieren.

Ausnahmeregelung im stehenden Verkehr Der Paragraf 5, Absatz 8 der StVO erlaubt es Radfahrern, an einer Ampel an stehenden Autos langsam am rechten Fahrbahnrand vorbeizufahren – aber nur, wenn ausreichend Platz ist. Hierbei entfällt die Mindestabstandsregelung. Radfahrer können dort halten, wo genügend Platz ist: idealerweise vor oder hinter einem Fahrzeug. Nach Angaben der Polizeidirektion Leipzig gilt beim Anfahren dann wieder der Mindestabstand. Das bedeutet, dass etwa ein Autofahrer warten und einen neben ihm haltenden Radfahrer vorfahren lassen muss. Die Polizeidirektion verweist hier auch auf das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.

In Hannover und Hamburg kontrolliert die Polizei bereits

Dass es auch anders geht, zeigen andere Städte. In Hannover kontrolliert die Polizei bereits Überholmanöver. Die Beamten arbeiten mit Markierungen auf der Straße und einer Videokamera und können so feststellen, ob der Abstand zwischen Außenspiegel und Fahrradlenker zu gering war. Beamte, die ein Stück weiter auf der Straße stehen, ziehen die Verkehrsteilnehmer heraus, die dann belehrt werden und das Verwarngeld zahlen müssen. Bei einer der ersten Aktionen im Juli 2021 wurden 17 von 33 Radfahrern zu eng überholt und die Verwarngelder dementsprechend erteilt. Seitdem wurden die Kontrollen fortgeführt, unter anderem im Juli 2023, wobei wieder Dutzende zu enge Überholvorgänge erkannt und geahndet wurden.

Neben Hannover haben auch andere Städte die Wichtigkeit erkannt und kontrollieren die Mindestabstände zu Radfahrern, etwa in Hamm in Nordrhein-Westfalen. Dort werden mit Hilfe einer Schablone Markierungen aufgesprüht und knappe Überholmanöver fotografiert. So lässt sich leicht feststellen, ob genügend Abstand gehalten wurde. In Hamburg sind Fahrradstaffeln der Polizei unterwegs und achten auf die Überholabstände, zudem führen sie Schwerpunktkontrollen durch.

ADFC Leipzig: Bessere Beschilderung und mehr Kampagnen

Der Vorstandsvorsitzender des ADFC in Leipzig, Robert Strehler, hat einerseits Verständnis für die Autofahrer. Viele müssten sich umgewöhnen, weil früher Radwege schmaler gewesen seien, und nun akzeptieren, dass durch inzwischen breitere Radwege weniger Platz für den motorisierten Verkehr vorhanden sei. "Es entstehen auch immer wieder Gefahrensituationen, weil Autofahrer bei Engstellen trotz Gegenverkehr mit viel zu geringem Abstand überholen", sagte Strehler MDR AKTUELL. Es müsse allen Fahrzeugführern klar sein, dass man nur dann überholen könne, wenn auch der Mindestabstand beim Vorbeifahren eingehalten werden könne.

"Natürlich wünschen wir uns als ADFC, dass Radfahrende ausreichend geschützt sind", sagt Strehler. Man wisse aber auch, dass flächendeckende Kontrollen nicht möglich seien. Die Polizei könne nicht in jeder Verkehrssituation dabei sein. Als Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit sieht Strehler eine bessere Beschilderung, Ausbildung in den Fahrschulen sowie generelle Kampagnen, um die Verkehrsteilnehmer zu sensibilisieren: "Das müssen wir erst lernen, das geht nicht einfach von heute auf morgen."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 15. Oktober 2023 | 08:00 Uhr

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