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Interview Mobilitätsexpertin: Parkplatzsuche durch Künstliche Intelligenz – für weniger CO2-Ausstoß

21. Juli 2024, 05:00 Uhr

Per App den passenden Parkplatz finden oder Ampeln stärker auf Fahrräder statt Autos ausrichten: Mobilitätsexpertin Katja Diehl erklärt im MDR-Interview, wie Künstliche Intelligenz helfen kann, den CO2-Ausstoß im Verkehr zu senken – und welche Risiken sie bei der neuen Technologie sieht.

MDR AKTUELL Mitarbeiterin Rebecca Nordin Mencke
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MDR AKTUELL: Wie kann künstliche Intelligenz zu einer Mobilität von morgen beitragen?

Katja Diehl: Bei künstlicher Intelligenz ist mir als Erstes wichtig, dass sie auch menschliche Vernunft enthält. Wir wissen ja, dass KI auch immer das Problem hat, Verzerrungen zu wiederholen. Aus meiner Sicht gibt es aber eine große Chance, mithilfe von Daten bessere Mobilität von morgen zu gestalten. Wenn wir genau wissen, was bewegt sich eigentlich wo und warum – dann kann man auch Dinge zusammenfassen, dass Waren zum Beispiel mit Personen befördert werden.

Momentan haben wir noch das Problem, dass die Daten verstreut sind: bei Verkehrs- und Automobilunternehmen oder bei Handy-Anbietern. Wenn man das zusammenführt, kann man auch auswerten, wo sich Menschen bewegen, warum sie sich bewegen und ob es da einen Bedarf an alternativer Mobilität zum Auto gibt. Da sehe ich große Chancen, durch die Daten auch erstmal eine Status-Quo-Situation zu erheben.

Wie würde diese Mobilität von morgen nach Ihrer Vision aussehen?

Mobilitätsexpertin Katja Diehl
Mobilitätsexpertin Katja Diehl Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ein großes Thema aktuell ist ja das autonome Fahren. Ich denke da nicht unbedingt, dass das künftig so etwas sein wird wie heutige Autos, sondern eher ein Fahrzeug, das sich mit 20 bis 25 km/h fortbewegt. Wenn ich dann am nächsten Morgen ein Auto brauche, kann es sich vielleicht über Nacht schon zu mir bewegen und wir können anfangen, Autos auch zu teilen. Dazu braucht es natürlich die Möglichkeit, so etwas zu bestellen. Das kann zum Beispiel die Künstliche Intelligenz organisieren.

Zur Person: Katja Diehl Die gelernte Journalistin und Kommunikationsexpertin Katja Diehl beschäftigt sich unter anderem in ihrem Podcast "she drives mobility" mit Konzepten für nachhaltige Mobilität. Nach ihrem Bestseller "Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt" von 2022 veröffentlichte sie dieses Jahr "Raus aus der AUTOkratie. Rein in die Mobilität von morgen".

Kann KI also Angebote wie On-Demand-Verkehr und Car-Sharing noch intelligenter organisieren?

Ich glaube tatsächlich, dass viele Dinge, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, schon ganz gut waren. Der Rufbus ist natürlich etwas aus der Zeit gefallen. Aber wenn ein Softwareunternehmen mit einem Taxiunternehmen im ländlichen Raum und dann noch ein Verkehrsunternehmen zusammenarbeiten, können beispielsweise auch Taxis flexibel eingesetzt werden: Wenn sie keinen Fahrtauftrag haben, werden sie zum kleinen Bus, können angefordert werden. Und die Haltestellen müssen auch nicht mehr physisch gebaut werden, sondern sind virtuelle Haltepunkte.

Wo kommt denn KI schon heute umweltfreundlichen Mobilitätsformen zugute?

Auch wenn ich es nicht so gerne mag: Google Maps. Denn das ist natürlich eine echte Datensammelaktion. Da hätte ich mir gerne ein europäisches System gewünscht, das das macht. Aber bei Google Maps kann man ja aktuell auch spritsparende Wege eingeben: Man kann bestimmte Dinge priorisieren, dass es etwa nicht so schnell sein muss, sondern dass ich Sprit spare. Und da hilft so ein System, den richtigen Weg einzuschlagen.

Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass KI die "AUTOkratie" eher verstärkt als abschafft – also Autos eher noch stärker in den Vordergrund rückt?

Ein guter Freund von mir, Raul Krauthausen, der wegen der Glasknochenkrankheit im Rollstuhl sitzt, sagt: "Wenn ihr die Stadt von heute smart macht, bleibt sie für mich dumm – weil sie Menschen wie mich nicht mitdenkt."

Das ist genau der Appell, den ich habe: Wir müssen unbedingt alle mitdenken, wenn wir jetzt auf KI umstellen: Kinder, Seniorinnen, Behinderte. Das sind alles Menschen, die gerade in ihrer Mobilität zum Teil auch eingeschränkt werden, die nicht selbstbestimmt unterwegs sind. Wenn wir das nicht machen, sehe ich eine große Gefahr, dass es nochmal schlechter werden kann für diese Gruppen.

Wie muss KI denn gesteuert werden, um das zu erreichen?

Ich denke da an die Tische der Macht. Das ist auch etwas, das ich in meinen Büchern thematisiere. Es muss einfach gewährleistet sein, dass ein Spiegel der Gesellschaft mitgestalten kann. Das fängt schon bei der Politik an, beim Bundestag: Da sind auch nicht alle Menschen vertreten, die in Deutschland leben.

Aber wenn wir die Mobilität gestalten, können wir auch mal Kinder fragen. Das wurde zum Beispiel in Frankfurt am Main gemacht: Was ist euch eigentlich wichtig für eure Mobilität? Dann bekommt man auch Antworten, auf die man reagieren kann und dann kann man auch eher kindgerecht denken.

Ein Thema mit Blick auf KI und Mobilität sind auch intelligente Ampeln, die Verkehrsflüsse besser steuern sollen. Wie hilfreich ist das aus Ihrer Sicht für die Mobilitätswende?

Da gibt es ein gutes Beispiel aus meiner Stadt Hamburg, wo wir mittlerweile eine Straße haben, die die sogenannte grüne Welle für Radfahrende macht. Die Ampeln sind auf die durchschnittliche Radgeschwindigkeit von 18 km/h eingestellt. Wenn du da mit dem Rad fährst, hast du immer Grün. Das ist also ein Belohnungssystem, dass man als radfahrende Person nicht ständig an roten Ampeln steht, sondern einfach durchfahren kann. Das bringt vielleicht auch die Autofahrenden zum Nachdenken: Bin ich mit einem Rad nicht vielleicht schneller?

Sollte KI also gezielt Fahrräder und Fußgänger priorisieren?

Aktuell haben wir die Situation, dass viele Menschen als Erstes ans Auto denken, wenn sie nach Mobilität gefragt werden. Das ist natürlich ein Problem, weil dadurch automatisch alles nachrangig behandelt wird, das nicht Auto ist. KI kann da helfen, denke ich, wenn wir Mobilität voranstellen und nicht unbedingt ein spezielles Verkehrsmittel. Dann lässt sich noch einmal gewichten: Was hat den niedrigsten CO2-Verbrauch, das wird auch noch einmal priorisiert. Und man kann darüber legen: Vision Zero, also möglichst wenig Verkehrstote zuzulassen.

Wo sehen Sie noch Potenziale, um mithilfe von KI den CO2-Ausstoß im Verkehr zu verringern?

Ein spannender Punkt ist, dass wir sehr viel verdrängen, weil wir das Auto so gewöhnt sind. Aktuell ist vor allen Dingen in urbanen Räumen 40 Prozent des Verkehrs Parksuchverkehr, also einfach die Suche nach der richtigen Parklücke. Das kann man doch anders denken. Wenn man zum Beispiel Gebiete vom Auto befreit – dass immer noch Menschen mit Behinderungen oder Lieferverkehre zugelassen sind, aber grundsätzlich das Auto auf einem Gemeinschaftsparkplatz abgestellt wird. Man kann sich dann vielleicht schon per App einen Parkplatz bestellen, der reserviert ist und die Sensoren erkennen dann, wenn das richtige Auto ankommt. So könnte der ganze Parksuchverkehr wegfallen. Das ist sicher ein großer Hebel, um auch weniger Abgase zu haben.

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuell vielversprechendsten Entwicklungen im Bereich Verkehr und KI?

Vielversprechend ist für mich, dass viele Städte, sie sich in Europa gerade verändern, Bürgermeisterinnen haben. Ich will gar nicht sagen, dass Frauen es besser machen, aber sie machen es vielleicht anders – gerade auch, weil sie Care-Arbeit haben. Das ist nun mal weiblich. Die Frauen sind mit Gepäck unterwegs, mit Kindern, mit pflegebedürftigen Angehörigen und haben dadurch ganz andere Bedarfe an Mobilität, vor allen Dingen auch an Mobilität ohne eigenes Auto. Wenn das zusammengeführt wird mit einer Technik, die ganz rationale Dinge entscheidet, dann kann aus meiner Sicht ein richtiger Entwicklungssprung erfolgen.

Dieses Thema im Programm: MDR um 4 | 17. Juli 2024 | 16:00 Uhr

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