splash! Festival 2017: eine hell erleuchtete Bühne in der Dämmerung mit Tausenden Menschen davor
Das Splash Festival ist im deutschen Hip Hop über die Jahre zu einer Institution geworden. Gestartet ist es in Chemnitz, heute findet es in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt statt. Bildrechte: IMAGO / STAR-MEDIA

Interview Splash: Wie das Hip Hop Festival in Chemnitz gestartet wurde

09. Juli 2024, 10:22 Uhr

Das Splash Festival findet jedes Jahr in Ferropolis bei Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt statt. Doch die Anfänge liegen in Sachsen. Einer, der das Splash von Beginn an verfolgt hat, ist Falk Schacht. Er schreibt seit über 25 Jahren über die Hip Hop-Szene, hat Dokumentationen gedreht und Podcasts über Rap und Hip Hop produziert. 1999 war er das erste Mal auf dem Splash, das in Chemnitz stattfand. Im Interview teilt er seine Erinnerungen. Mehr über das heute wichtigste Hip Hop-Festivals in Deutschland zeigt jetzt die Doku "Größer als Hip Hop" in der ARD Mediathek.

MDR-Volontär Philipp Baumgärtner
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

MDR KULTUR: Was waren deine ersten Berührungspunkte mit dem Splash-Festival?

Falk Schacht, Musikjournalist: Das war 1998. Ich habe Anzeigen gesehen und davon gehört. Hip Hop war damals eine Kultur, die sehr stark auf Netzwerkinformationen basierte. Es gab hier und da Magazine, aber die meisten Infos kamen aus deinem Freundeskreis. Und dann hieß es halt "Es gibt ein Festival in Chemnitz! Das Splash!" und ich dachte mir nur so "Ok, krass, in Chemnitz?"

Ich habe es leider nicht geschafft, hinzufahren, aber die Erzählungen von den Leuten, die da waren, waren sehr positiv. Und das hat mich dann überzeugt, im darauffolgenden Jahr hinzufahren.

Ein Mann mit kurzem braunem Haar und kariertem Hemd blickt seitlich nach oben.
Falk Schacht ist Hip-Hop-Journalist und beobachtet das Splash-Festival von Beginn an – als Journalist und Hip-Hop-Fan. Bildrechte: Sandra Müller

Das Splash vergrößerte sich in diesem einen Jahr schon erheblich. Während es 1998 im Kraftwerk in Chemnitz mit ca. 1.300 Menschen stattfand, waren es am Stausee Oberrabenstein 1999 bereits mehrere Tausend Gäste. Offensichtlich traf das Splash-Festival einen Nerv?

Es ist wichtig zu verstehen, dass das damals eine absolute Mangelsituation war. Also Hip Hop, Deutschrap, deutschsprachiger Hip Hop. Die deutsche Hip-Hop-Kultur war in den Neunzigern eine Mangelkultur. Das Internet gab es in der heutigen Form nicht.

Die deutsche Hip Hop-Kultur war in den Neunzigern eine Mangelkultur.

Falk Schacht, Hip-Hop-Journalist

Es gab nicht viele Informationen zu Veranstaltungen und man musste wirklich reisen, zu sporadisch veranstalteten Events, um andere Hip Hop-Fans zu treffen und Künstler zu sehen. Und jetzt tauchte da plötzlich dieses Festival auf. Die Idee eines Hip-Hop-Festivals war im Grunde schon revolutionär.

War das Splash in Deutschland das erste Hip Hop-Festival in dieser Größenordnung?

Es gab vorher die sogenannten Jams. (Anm. d. Red.: Jams sind Hip Hop-Partys, auf denen Rap, DJing, Graffiti und Breakdance vereint werden.) Die Jam-Kultur war schon eine Art Festival. Du hattest Jams, da sind teilweise auch bis zu 5.000 Menschen gekommen. Das Splash war dagegen kommerzieller gedacht – im Sinne von einer Veranstaltung.

Jams waren immer Einzelevents, und das Splash hat dann eine Regelmäßigkeit reingebracht. Und als es dann immer wiederholt wurde, bekam das eine gewisse Dringlichkeit. Dadurch bekommt es einen eigenen Charakter und eine eigene Geschichte: die Splash-Kultur. Du fährst da hin, zeltest da und triffst deine Freunde, es entwickelt sich eine Familie.

Eine Festivalbühne mit feierndem Publikum, die Bühne ist von Scheinwerfern angestrahlt, im Hintergrund Wald.
Das Splash-Festival entwickelte sich von Chemnitz aus schnell zu einer wichtigen Hip-Hop-Institution für ganz Deutschland. Bildrechte: IMAGO / Enters

Und ein Punkt ist noch ganz wichtig. Die Jams waren – ich übertreibe jetzt – immer im Beton. Und beim Splash war man dann plötzlich an einem See, in der Natur, man konnte schwimmen gehen. Das hat dieses Festival ausgezeichnet.

Hat das Splash damit zur richtigen Zeit eine gute Nische gefunden?

Ich würde nicht von einer Nische sprechen. Wir alle hatten das Bedürfnis, uns als Szene zu sehen und zu treffen. Das war alles "Do it yourself". Es hat sich niemand groß für Hip Hop interessiert und auch niemand damit Geld verdient.

Wir waren die komischen Freaks mit den Kartoffelsack-Hosen, wo Leute die Straßenseite gewechselt haben. Deswegen hat sich Hip Hop seine eigenen Labels, seine eigenen Medien und auch die eigenen Orte geschaffen. Und das Splash hat dann auch durch diese Regelmäßigkeit eine starke Marke gebildet als Treffpunkt.

Wir waren die komischen Freaks mit den Kartoffelsack-Hosen.

Falk Schacht, Hip-Hop-Journalist

Es gab dann noch das Hip Hop-Open in Stuttgart, was sich wenige Zeit später gegründet hat, weil die gesehen haben, dass das wirtschaftlich läuft. Aber das ist ein urbanes Festival und damit ganz was anderes als das Splash. Allein der Zeltplatz vom Splash ist legendär und die Storys, die da stattfinden, erzählen sich Menschen noch über Jahre.

Die Subkultur der 90er-Jahre ist gesprägt von Techno, auch von den Anfängen des Hip-Hops, aber besonders in Ostdeutschland von ganz viel Rechtsextremismus: In was für einem Jugendkultur-Umfeld ist dieses Festival und diese Szene aufgewachsen?

Ich kann jetzt nicht für Chemnitz sprechen, weil ich selbst kaum dort war. Aber ich kann eine Story zum Thema erzählen. Ich hab damals Beats gemacht und war mit einem Rapper in Neubrandenburg gebucht. Da kam jemand von der Location, ein Schwarzer – er hieß wie ich Falk – auf mich zu und hat mich in diesem Jugendzentrum rumgeführt, wo wir spielen sollten, und dann sitzen da ein Haufen Glatzen mit Springerstiefeln und Bomberjacken.

Eine Festivalbühne, die grün angestrahlt wird, davor eine große Menschenmenge, die die Musik feiert.
Heute kommen Zehntausende zum Splash. Zur Gründungszeit in den 90er-Jahren wurde Hip Hop hingegen häufig belächelt. Bildrechte: IMAGO / Hartmut Bösener

Ich war völlig perplex und habe ihn gefragt, wie das funktioniert. Er sagte, sie haben nur dieses eine Jugendzentrum in der Stadt und das müssen sie sich teilen, als neutrale Zone. Und um eine gewisse Uhrzeit macht er sich aus dem Staub, "weil sonst wird’s schwierig".

Das war an vielen Orten so. Jede Kultur hat versucht, so ein bisschen ihr Sammelbecken zu finden. Beim Hip Hop waren es vor allem linke Orte. Und natürlich haben Neonazis auch Hip-Hopper gejagt, weil die die falsche Gesinnung hatten.

Warum ist das heute wichtigste Hip Hop-Festival Deutschlands ausgerechnet in Chemnitz gestartet?

Eine Sache ist in den Neunzigern schon aufgefallen, und da kannst du jeden deutschen Rapper fragen: Das Publikum im Osten war zehnmal geiler als im Westen, da war immer extremer "Turn Up". Es war eine große Dankbarkeit, dass überhaupt was passiert.

Das Publikum im Osten war zehnmal geiler als im Westen.

Falk Schacht, Hip-Hop-Journalist

Ich glaube, dass im Westen ein höherer Sättigungsgrad vorhanden war. Man hat schon so viel erlebt, und im Osten scheint halt dieser Hunger sehr viel größer gewesen zu sein. Warum gerade Chemnitz der Ort wurde? Ganz platt gesagt: Weil sie es einfach gemacht haben.

Aber Chemnitz war in Sachen Hip Hop vorher nicht wirklich auf der Karte, oder?

Nein. Die Hip Hop-Hauptstädte der 90er-Jahre waren Heidelberg, Hamburg und Stuttgart. Später kamen Frankfurt und Berlin. Was aber auffiel war, dass es da in Chemnitz etwas gibt. Die Phlatline-DJs haben da ihr Label gegründet und sind durch Deutschland gefahren. Dann hattest du die "Juice" als Magazin und verrückterweise ab 1994 auch schon Fernsehsendungen, die sich mit Hip-Hop auseinandergesetzt haben.

Durch das Festival war Chemnitz dann auf der Landkarte.

Falk Schacht, Hip-Hop-Journalist

Und dann habe ich plötzlich diesen langen, schlaksigen DJ Ron gesehen, der gesagt hat "Wir kommen aus Chemnitz". Die hatten Ahnung von dem, was sie tun. Das war das erste, was ich wahrgenommen habe, und dann kam das Splash. Und durch das Festival war Chemnitz dann auf der Landkarte. Viele von uns sind das erste Mal in den Osten gefahren und waren geflasht davon, wie das aussah. Wie nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ist das Splash denn (noch) ein ostdeutsches Festival?

Es ist das wichtigste Hip Hop-Festival und es findet in Ostdeutschland statt. Damals gab es gefühlt schon noch diese Trennung, aber heute empfinde ich das nicht mehr so. Es ist ein gesamtdeutsches Festival, und die Leute kommen von überall her.

Das Festival ist international besetzt, aber auch das Interesse an deutschem Rap ist ja mittlerweile unglaublich groß. Hat das Splash da einen Anteil dran?

Deutschsprachiger Rap ist einfach stärker geworden und relevanter, das ist eine Tatsache. Und das Festival reagiert natürlich drauf – muss es ja auch. Früher war die Verehrung gegenüber den Urvätern und der schwarzen Kultur größer.

Eine Festivalbühne mit einem Rapper, davor feierndes Publikum.
Deutschrap ist heute sehr beliebt und zieht mit Acts wie Ufo361 die Massen an. Das war nicht immer so. Bildrechte: IMAGO / Hartmut Bösener

Anfang der 90er haben Rap-Crews auf Englisch gerappt. Und dann gab es zum Ende der 90er-Jahre hin einen Wandel. Trotzdem waren damals die Top 10 der Charts noch Englisch geprägt, das ist heute völlig anders. Wenn jetzt ein Zwölfjähriger anfängt, Musik zu machen, rappt er auf Deutsch.

Heute ist das Splash eine international bekannte Marke, auf das Festival kommen zehntausende Gäste: Gibt es über diesen großen, auch kommerziellen Erfolg Diskussionen? Wird das noch als "real" empfunden?

Das ist in der Hip Hop-Kultur eigentlich relativ typisch. Du packst was an, kriegst Resonanz und professionalisierst dich. Ein gutes Beispiel ist das Hip-Hop-Magazin "Juice". Einer der Typen, der die sich ausgedacht hat, hat zehn Jahre vorher angefangen, mit einer Schreibmaschine DIN-A4-Seiten vollzuschreiben, zu kopieren, zusammenzutackern und als Ausgaben zu verschicken.

Diese Learning-by-Doing-Mentalität gab es auch beim Splash, und es wird sicher ein paar Gegenstimmen gegeben haben, aber es war viel eher Bewunderung und Dankbarkeit für das, was entstanden ist.

Rechts im Bild eine Konzertbühne mit einem Musiker, davor jubelndes Publikum. Im Hintergrund ein See.
Das Hip-Hop- und Splash-Gründungs-Duo Tefla & Jaleel auf dem Splash 2005. Bildrechte: IMAGO / Enters

Es gab da einen großen Zusammenhalt, ein Gemeinschaftsgefühl. Das Splash ist ja auch irgendwann in finanzielle Schwierigkeiten gekommen, und da wurde dann ein Benefizkonzert gemacht. Alle waren sofort da und haben gesagt "Klar helfen wir euch".

Ich weiß nicht, ob das in der heutigen Mainstream-Variante des Hip Hop grundsätzlich noch für alle so ist. Ein Jan Delay, ein Kool Savas, ein Samy Deluxe würden sich wahrscheinlich auch heute wieder dafür einsetzen. Aber es gibt auch viele neue Mitspieler in diesem Spiel, die dieser Geist nicht antreibt.

Wird dieser "Geist" das Splash noch weitere 26 Jahre am Leben halten?

Das ist schwer zu sagen. Der Ticket- und Konzertmarkt ist hart umkämpft, auch was das Booking von Künstlern angeht. Prinzipiell scheinen Hip Hop-Festivals aus dem Boden zu sprießen wie nichts Gutes. Ich sehe Werbung dafür ohne Ende. Aber das, was das Splash hat, ist diese Legacy, diese Geschichte. Das hat kein anderes deutsches Hip Hop-Festival. Die Frage ist, wie sehr das Menschen für wichtig erachten, die Anfang 20 sind und einfach nur feiern wollen.

Mehr zum Splash und Festivals

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Größer als Hip Hop – Die Geschichte des splash! Festivals | 04. Juli 2024 | 22:10 Uhr