![Blick auf das fast völlig zerstörte Stadtzentrum von Dresden. | Bildrechte: picture alliance / dpa | Gutbrod Blick auf das fast völlig zerstörte Stadtzentrum von Dresden.](https://www.mdr.de/index-transparent_h-375_w-512_zc-300c03cd.gif)
ARD-Dokumentation Warum Dresden? Die Macht der Erinnerung
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10. Februar 2025, 05:00 Uhr
In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wird Dresden bombardiert. Es ist einer der verheerendsten Luftangriffe auf eine Stadt im Zweiten Weltkrieg. Weitere Angriffswellen folgen. Die Stadt brennt über Tage, schätzungsweise 25.000 Menschen sterben. Die Erinnerung an jene Nacht ist bis heute Gegenstand von Gedenken, Forschung und Streit. Der britische Bestseller-Autor Sinclair McKay schildert die britische Sicht auf den Bombenkrieg.
Für sein 2020 erschienenes Buch "Die Nacht, als das Feuer kam", hat Sinclair McKay in deutschen und britischen Archiven nach Unterlagen gesucht, Zeitzeugen befragt und Dokumente gesammelt. In der ARD-Dokumentation "Warum Dresden? Die Macht der Erinnerung" schildert er vor allem den britischen Blick auf die Angriffe – aber auch auf Dresden generell.
Früher Tourismus: Schmuckstück Dresden
Seine Recherchen führten Sinclair McKay ins Dresden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für die Briten, so McKay, war Dresden eine Art Schmuckkästchen.
In den Tagen des frühen Massentourismus, in den 1930er-Jahren, wurde Dresden hier in Großbritannien wie ein Thomas-Cook-Urlaub beworben. Es gab wunderschöne Plakate, die die Kunst und die Architektur Dresdens zeigten, die schönen Kirchen, das Opernhaus. Und es wurde bei den Briten sehr stark damit geworben, dass Dresden DER Ort sei, wenn man Kunst und Kultur sehen wolle.
Dabei, so McKay spielte gerade auch das Meissener Porzellan eine Rolle, das mit dem "Schmuckkästchen" Dresden assoziiert wurde: "Es gab ein ausgeprägtes Gefühl von, ich würde nicht sagen Nähe, aber die Menschen in Großbritannien hatten das Gefühl, sie kennen Dresden. Nicht zuletzt wegen des Porzellans, der Porzellanfiguren. In praktisch jedem britischen Haushalt gab es ein Stück Dresdner Porzellan. Dresden galt als Inbegriff von Schönheit, Eleganz und Anmut", so McKay.
London im Visier der deutschen Luftwaffe
Daran ändert die Machtergreifung Adolf Hitlers in Großbritannien zunächst nichts. Im August 1940 beginnt die Luftschlacht um England. Nazideutschland will nach dem Sieg über Frankreich nun auch das Vereinigte Königreich zur Kapitulation zwingen. Dem Blitz, wie die Briten die Angriffe nennen, werden ca. 43.000 Zivilisten zum Opfer fallen. Ab September 1940 gerät London immer wieder ins Visier der deutschen Luftwaffe.
"Das Ziel der Deutschen war es, Feuerstürme in London zu erzeugen. Das war das Ziel der Luftstreitkräfte. Es reichte nicht aus, einfach Brandbomben abzuwerfen und Brände zu legen. Sie wollten ein Feuer entfachen, das die Atmosphäre zerreißt, das eine Meile hoch in den Himmel lodert und alles im Umkreis in Asche verwandelt. Aber solche Feuerstürme konnten sie in London nicht erzeugen. Die Gebäude standen zu weit auseinander und sie waren nicht aus Holz."
Einer der bis dahin schwersten Angriffe trifft Coventry im November 1940. Auch wenn das eigentliche Ziel die Industrieanlagen der Stadt waren, werden 60.000 Gebäude zerstört und der Tod von Hunderten von Zivilsten in Kauf genommen. Für Sinclair McKay eine Zäsur. "Die Bombardierung Coventrys in jener Nacht im November 1940 war von ungekanntem Ausmaß. Ein Horror, den man so noch nie zuvor im Krieg gesehen hatte. Plötzlich fielen die Bomben, es brannte und die Flammen loderten bis in den Himmel. Coventrys große Kathedrale wurde komplett zerstört. Die Bleirohre der Dachrinnen, wurden durch die Hitze so heiß, dass sie zu schmelzen begannen und hinunterliefen. Es gab also nicht nur Tote in einem entsetzlichen Ausmaß, sondern es war ein absolut obszönes und erschreckendes Spektakel. Coventry war weg. Diese wunderschöne historische Stadt war verschwunden und nur noch ein rauchendes Loch in der Erde. Von diesem Zeitpunkt an, gab es in der britischen Öffentlichkeit ein Gefühl von Enthemmung in Bezug auf den Krieg und die Naziführung. Um sie zu stoppen, wurde jedes Mittel legitim - auch Flächen-Bombardierung."
Dresden: Militärisches Ziel seit 1942
McKays Recherchen über die Zerstörung Dresdens führen ihn in die Archive der Royal Air Force. Aus den Dokumenten geht hervor, dass Dresden nun als militärisches Ziel ins Visier der Britischen Luftwaffe gerät.
"Schaut man in die Archive, ist es interessant, dass es eine Karte von 1942 für die Royal Air Force gibt, die Dresden als Ziel zeigt. Und zwar ein Dresden mit einer Reihe von Industriegebieten. Nicht etwa "hier ist eine schöne Kirche. Hier ist eine schöne Kathedrale". Das ist nicht eingezeichnet, sondern es sind die Fabriken. Es gab Geheimdienstinformationen, die zwar nicht genau sagen konnten, wo sich die Fabriken befanden, aber sie wussten, dass es diese riesigen Industrieanlagen gab. Außerdem gab es einen sehr großen Eisenbahnknotenpunkt mit einem großen Rangierbahnhof, was es zu einem wertvollen Transportweg für militärischen Nachschub machte. Schon seit 1942 war die Stadt also ein potenzielles Ziel."
Ab Februar 1942 ist Arthur Harris Oberbefehlshaber des Royal Air Force Bomber Command. Unter seiner Führung beginnt die Bombardierung deutscher Städte, ohne Rücksicht auf deren Pracht und Bewohner - denn er hat die oberste Direktive bekommen, insbesondere die Moral der Industriearbeiterschaft zu brechen.
Arthur Harris: "De-Housing" und Flächenbombardements
Sinclair McKay: "Arthur Harris war eine seltsame Figur. Er betrachtete sich seltsamerweise als einen Außenseiter. Er sah sich als jemand, der außerhalb des Whitehall-Establishments stand. Er fühlte sich in gewisser Weise als eine Art Rebell. Aber als es dann um Flächenbombardierung ging, war es eigentlich nicht Arthur Harris, der damit anfing. Es war Churchills wissenschaftlicher Berater Frederick Lindemann. Er sagte, das Ziel der Bombenangriffe sollte das sogenannte „De-Housing“ der Bevölkerung sein. Dahinter steckte der Gedanke, dass die Bürger nicht mehr in der Lage sein würden, in den Kriegsfabriken zu arbeiten, wenn man ihre Häuser und ihr Leben derartig zerstörte. Und so würde Deutschland seiner wichtigen Arbeitskräfte beraubt werden. Sie wären manövrierunfähig und obdachlos. Das war die Idee dahinter. Aber das bedeutete gleichzeitig auch, Zivilisten ins Visier zu nehmen. Und das war der entscheidende Schritt. Der Schritt zum absoluten totalen Krieg."
Wenig Luftschutzmaßnahmen für die Bevölkerung
Obwohl andere deutsche Städte bereits schwer zerstört sind, geht das Leben in Dresden nahezu unbehelligt weiter. Es gibt Luftschutzmaßnahmen, doch keine, die geeignet wären, die Bevölkerung ausreichend zu schützen. Bunker hat Gauleiter Mutschmann nicht einrichten lassen, in der Annahme, niemand würde es wagen, das so einzigartige Dresden zu bombardieren.
Am Nachmittag des 13. Februar 1945 erfahren die Bomberbesatzungen der Royal Air Force das Ziel ihres nächsten Angriffs: Dresden, weit im Osten. Drei bis vier Flugstunden werden sie brauchen, um es zu erreichen. Aus ihren Tagebüchern weiß Sinclair McKay, was diese Mission für die Besatzungsmitglieder bedeutet hat.
"Sie wussten, dass die Aufgabe, die sie erfüllten, abscheulich war. Dass das, was sie taten, schrecklich war. Aber sie wussten auch, dass das Gleiche mit Großbritannien passieren würde, wenn sie es nicht täten. Sie trugen keine Rachegefühle in sich, als sie über den Kanal und durch Deutschland flogen. Das war es nicht. Das ist nicht, was man in den Tagebüchern oder Memoiren findet. Was man stattdessen findet, sind junge Männer, die mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert sind. Denn sie tun das, was sie glauben, tun zu müssen, um ihr Land und ihr Volk zu verteidigen. Und wenn der beste Weg, den Feind zur Kapitulation zu bringen, darin besteht, die Städte des Feindes zu bombardieren, dann ist es das, was sie glauben, tun zu müssen."
Dresdner erleben Martyrium
Nach den Angriffen der Royal Airforce gemeinsam mit der kanadischen Luftwaffe in der Nacht des 13. Februar, werden die darauf folgenden Angriffe am 14. und 15. Februar von amerikanischen Streitkräften verübt. Die Menschen, die noch in der Stadt sind und diejenigen, die zu fliehen versuchen, erleben dies als ein nicht endendes Martyrium.
Dieser Angriff wird in der Stadt für immer präsent bleiben. Doch nicht nur hier. Auch in Großbritannien wird die Frage nach Dresden als Ziel einer totalen Zerstörung zu einem Thema gesellschaftlicher Auseinandersetzung über Schuld und Unschuld im Krieg.
Ich kenne eine Menge Briten, die fasziniert von Dresden sind. Sie sehen die Stadt, wie sie jetzt ist. Wieder aufgebaut und restauriert in einem außergewöhnlich schönen Ausmaß. Sie berührt etwas in einem. Es ist eine wunderbare, einladende Stadt. Sie ist voller Kunst und Musik, so wie sie sein sollte. Aber jede Straße trägt auch diese Erinnerung in sich. Wenn man als Brite durch die Straßen Dresdens geht, wird man bei jedem Schritt an seine Verantwortung erinnert. Nicht an eine persönliche, sondern an ein allgemeines Verantwortungsgefühl. Daran, was Krieg bedeutet und was Moral im Krieg bedeutet. Und vor allem, warum so etwas nie wieder geschehen darf.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | ARD History: Warum Dresden? Die Macht der Erinnerung | 03. Februar 2025 | 23:50 Uhr