Bombenkrieg Nordhausen und die Diskussion um die Opferzahlen
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01. April 2021, 18:08 Uhr
Die letzten Monate vor Kriegsende waren eine Zeit der größten Zerstörung. Dresden, Magdeburg, Chemnitz wurden durch Bomben vernichtet. Doch auch kleine Städte, wie das thüringische Nordhausen, fielen Bomben zum Opfer. Rechtsextreme Gruppen versuchen, die Gedenkfeiern an die Toten zu instrumentalisieren und es herrscht Streit um die Anzahl der Opfer sowie die Gründe für die Bombardierung. Jetzt soll die Bombardierung von Nordhausen vom 3. und 4. April 1945 aufgearbeitet werden.
75 Prozent des mittelalterlichen Stadtkerns von Nordhausen wurden an jenen beiden Tagen Anfang April 1945 zerstört. Damit gehört die Stadt in Nordthüringen zu einer Vielzahl kleinerer und mittlerer Städte, die zum Ende des Krieges noch zerstört wurden. Wie in vielen Städten erinnert auch in Nordhausen ein Denkmal an die Zerstörung und ihre Opfer.
DDR: Bombardierung als Gegenstand der Propaganda
Doch die Inschrift des Denkmals gleich neben dem Rathaus hat sich geändert. "Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8.800 Opfer klagen an", so lautete die Inschrift zu DDR-Zeiten. SED-Propaganda, um ein westliches Feindbild aufzubauen. Der ehemalige Arzt und Bürgermeister Manfred Schröter forschte in der DDR auf eigene Faust. Als Zehnjähriger hatte er den Angriff selbst miterlebt. Er befragte hunderte Menschen und konnte belegen: Amerikanische Flieger waren bei dem Angriff gar nicht beteiligt. Doch sein Versuch, die Wahrheit ans Licht zu bringen, scheiterte. "Ich hatte eine Broschüre fertig gestellt, die mit sämtlichen Genehmigungen der Pressezensur, sowohl im wissenschaftlichen als auch im politischen Bereich, versehen war. Die war gedruckt worden. Und sie wurden dann auf direkte Weisung der Staatssicherheit in der Druckerei kurz vor der Auslieferung beschlagnahmt und unter Bewachung in die Papierfabrik nach Ilefeld gebracht und dort vernichtet."
Korrekte Opferzahlen?
Inzwischen ist belegt: Es waren britische Bomber, die Nordhausen in Schutt und Asche legten. Die Inschrift am Denkmal ist korrigiert. Doch über die Opferzahl gibt es bis heute teils heftige Diskussionen in der Stadt, erzählt Wolfram G. Theilemann, der Leiter des Stadtarchivs:
Wir haben jetzt fast überwiegend nur noch Leute, die das nie erlebt haben. Für die das [Geschehen von damals] fast schon mittelalterliche Züge hat. Und doch ist es das einschneidendste Erlebnis, was die Stadt jemals hatte. Und das muss man weitergeben. In neu durchdachten digitalen, pädagogischen Formen. Das soll nicht angestrengt, das soll nicht überwältigend sein, aber es muss angemessen sein.
Die Grundlage für ein zeitgemäßes Erinnern und den künftigen Umgang mit der Bombardierung Nordhausens soll nun eine Studie liefern. Auch, um Mythen und falschen Behauptungen die Basis zu entziehen, so Theilemann. Unter dem Titel: "Nordhausen, April 1945: Hintergründe, Opfer, Erinnerung" wird ein unabhängiger Wissenschaftler die Geschichte der Stadt aufarbeiten und die Fakten sortieren.
Komplizierte Situation in Nordhausen
Bei dem Bombenangriff Anfang April 1945 wurde auch ein Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora zerstört. Das Konzentrationslager lag nur sechs Kilometer außerhalb von Nordhausen. 60.000 Häftlinge schufteten dort in der Produktion der sogenannten "Vergeltungswaffen" als Zwangsarbeiter. Viele von ihnen wurden aus Auschwitz und Groß-Rosen dorthin verschleppt, darunter auch Frauen und Kinder. Jeder Dritte fand hier den Tod. Ein Außenlager des KZs war die Boelcke-Kaserne, mitten in Nordhausen. Die SS hatte hier Häftlinge untergebracht, Todkranke, die zu schwach zum Arbeiten waren. Acht Tage nach dem Bombenangriff auf Nordhausen nimmt die US-Armee die Stadt ein und birgt 1.300 Häftlinge aus den Trümmern der Kaserne. Ob sie von den Bomben getötet oder durch Verhungern gestorben sind, lässt sich heute nicht mehr feststellen.
Und genau das ist ein Problem, erklärt Regine Heubaum von der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora:
Das ist die Krux, dass da eine Vermischung stattfindet und dass die Opfer der Boelke-Kaserne, dieses KZ-Außenlagers, den Luftangriffsopfern zugeschlagen werden - was hoch problematisch ist, angesichts der Quellenlage und dem, was dort von den US-Amerikanern vorgefunden wurde.
Mitte Februar 2022 will der Historiker Jens Schley, der von der Stadt Nordhausen mit der Studie beauftragt wurde, seine Recherche abschließen und in den Schreibprozess starten. Die Ergebnisse der Studie werden bis spätestens Ende Dezember 2022 erwartet.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 1945 - Unsere Städte | 08. April 2021 | 22:15 Uhr