15.07.1937: Baubeginn für das KZ Buchenwald Symbiose zwischen Buchenwald und Weimar
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12. Juli 2022, 14:24 Uhr
Deutschland 1937 – große Teile der Bevölkerung stehen hinter Hitler und seiner Partei NSDAP, andere haben sich arrangiert. Die Aufrüstung hat mancherorts einen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich gebracht. Man ist wieder "wer". Mit den Olympischen Spielen in Berlin glänzt man international. In diese Zeit fällt die Geburtsstunde des Konzentrationslagers Buchenwald. Die Nazis bauen ihren Terrorapparat um, die vielen kleinen Konzentrationslager werden durch wenige große KZs ersetzt.
Nachdem in den Anfangsjahren des Regimes viele kleine, oft improvisierte Konzentrationslager entstanden waren, will die SS nun den Wildwuchs beenden und ein neues KZ-System aufbauen, das den Bedürfnissen des konsolidierten NS-Staates entspricht. Die vielen kleineren Lager sollen verschwinden und einem Netz einiger großer Hauptlager Platz machen. Es wird nach potentiellen Standorten gesucht.
Thüringen bietet sich mit seiner Lage in der Mitte Deutschlands an und gilt zudem als besonders Nazi-treu. Schon in den 1920er-Jahren genoss die NSDAP hier hohe Zustimmung, 1926 hielt sie im Weimarer Nationaltheater ihren Reichsparteitag ab. Seit der Machtübernahme gestaltet Gauleiter Fritz Sauckel Thüringen konsequent zu einem "Mustergau" um. Nun nutzt er all seinen Einfluss, um eine KZ-Ansiedlung in seinem Machtbereich zu erreichen, denn dann ginge einer seiner großen Wünsche in Erfüllung – die Stationierung größerer SS-Verbände, die nach Sauckels Meinung unbedingt zu einem "Mustergau" gehören.
Das Geschäft mit dem KZ Buchenwald
Doch bei aller ideologischen Verblendung können die Nazis äußerst praktisch denken und so spielen von Anfang an auch ökonomische Überlegungen eine große Rolle. Das Lager soll sich selbst finanzieren, die Häftlinge sollen arbeiten und Geld verdienen. Das größenwahnsinnige Umbauprojekt von Gauleiter Sauckel, der Weimar zu einer würdigen Gauhauptstadt mit typischen Nazi-Prunkbauten umgestalten will, liefert die passende Geschäftsidee: Im KZ könnte das Baumaterial dafür produziert werden! Also schickt man die Geologen auf die Suche nach einem Standort mit den nötigen Rohstoffen.
Der Bau auf dem Ettersberg
Der Ettersberg mit seinen reichhaltigen Ton- und Steinvorkommen, sieben Kilometer von Weimar entfernt, bekommt den Zuschlag. Damit will die SS Schotter machen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Aus Ton sollen die Häftlinge Ziegelsteine brennen. Der Kalkstein aus dem Steinbruch lässt sich im Straßenbau und als Baumaterial für die NS-Paläste verwenden. Ganz nebenbei fällt noch genug ab, um die SS-Kasernen im Lager zu errichten – so das Kalkül. Am Ende geht die Rechnung nur teilweise auf. Der im Lager abgebaute Kalkstein ist qualitativ minderwertig und lässt sich nicht wie geplant vermarkten. Als Schotter für Straßen und Wege ist er aber gut genug.
Die Rolle Weimars
Von Anfang an wird die Stadt Weimar in den Aufbau des Konzentrationslagers einbezogen. Zwar wurde sie nicht gefragt, ob sie ein KZ zum Nachbarn haben will – darauf legen die Weimarer bis heute Wert. Sie fügen sich 1937 aber bereitwillig in ihr Schicksal. In den Folgejahren trägt die Stadt – sowohl die städtischen Behörden als auch die Einwohnerschaft – das Lager mit, hilft, wo es nötig ist und profitiert auch von seiner Nähe. Es kommt zu einer eigenartigen Symbiose.
Das liegt auch daran, dass das KZ nicht sofort zur Gründung auf einen Schlag fertig ist. Die Aufbauphase zieht sich mindestens bis zum Kriegsbeginn im Jahr 1939 hin. In dieser Zeit muss das Lager noch oft auf die städtische Infrastruktur zurückgreifen. Bereits Mitte September 1937 findet im Weimarer Rathaus eine Besprechung statt, die das künftige Miteinander detailliert klären soll. Für die überschuldete Stadt Weimar – ein Erbe der Weltwirtschaftskrise – ist die Frage der Lager-Finanzierung von zentraler Bedeutung. Die Stadtväter fürchten Kosten, doch die SS versichert, dass sämtliche Baumaßnahmen, Strom, Wasser und Müllabfuhr von der SS bezahlt werden.
Bald reicht Weimars Krematorium nicht mehr aus
Dennoch müssen viele praktische Dinge geregelt werden. So zum Beispiel: Wohin mit den Toten aus Buchenwald? Braucht das Lager einen eigenen Friedhof oder greift es auf den städtischen zurück? Man einigt sich, dass die Buchenwald-Toten vorerst im städtischen Krematorium eingeäschert werden. Die Stadt lässt sich das mit 20 Reichsmark pro Leiche bezahlen. Doch die Zahl der Toten im Lager steigt so schnell, dass der städtische Krematoriumsofen bereits Ende 1938 repariert werden muss. Zu diesem Zeitpunkt liegt der Anteil der Feuerbestattungen auf dem Weimarer Stadtfriedhof bei damals unüblichen 90 Prozent, was fast ausschließlich auf das Lager zurückzuführen ist. Erst im November 1940 bekommt Buchenwald ein eigenes Krematorium.
Todesursachen werden verschleiert
Ein weiterer Punkt, der einer Klärung bedarf: Wer registriert die Buchenwald-Toten? Zunächst übernimmt das städtische Standesamt diese Aufgabe, erst ab April 1939 gibt es im Lager ein eigenes Sonderstandesamt. Dieses beschäftigt zwei SS-Leute, die nicht dem Lagerkommandanten, sondern dem leitenden Standesbeamten der Stadt Weimar unterstehen. Und auch der kommt der SS entgegen und beurkundet die Todesursachen so, dass die Angehörigen nicht auf Erschießung, Hinrichtung oder Misshandlung zurückschließen können.
Streit um Abwasserbeseitigung
Auch bei der Wasserversorgung ist das Lager lange auf die Hilfe der Stadt angewiesen. Erst Ende 1942 wird es in dieser Hinsicht autark. Bis dahin kommt das Wasser aus Weimar. Die Leitungen sind allerdings marode, was zu ständiger Wasserknappheit führt und bereits ein Jahr nach Errichtung des Lagers zu einer ersten Typhusepidemie. Daran entzündet sich der erste Konflikt mit der Stadt, weil die Typhuserreger aufgrund der völlig unterdimensionierten Abwasserbeseitigung in einige Dörfer am Nordhang des Ettersberges gelangen, wo drei Einwohner sterben. Das Weimarer Gesundheitsamt schreibt böse Briefe an die Lagerleitung. Empörend ist aus Sicht der Beamten aber nicht die schlechte Situation der Häftlinge, sondern nur die Tatsache, dass das Lager die Einwohner Weimars gefährdet hat.
Geschäfte mit dem Lager
Für private Firmen, Handwerker und Geschäfte ist die KZ-Ansiedlung wie ein Konjunkturprogramm. Die Bauholz-Firma Grosch etwa meldet sich bereits im Sommer 1937, stellt die Lieferwagen bereit und übernimmt den Transport und die Weiterverarbeitung der beim Lagerbau gefällten Baumstämme. Der Weimarer Buchbinder Guthmann kommt mit dem Lager ins Geschäft, weil er die von der Post vorgeschriebenen Kartons für den Versand der Urnen von Buchenwald-Toten herstellt.
Das weitaus beste Geschäft dürfte aber der Lebensmittelgroßhändler Thilo Bornschein gemacht haben. Sein vom Vater geerbtes Kolonialwarengeschäft läuft anfangs bei Weitem nicht so gut wie seine NSDAP-Karriere. 1937 beginnt Bornschein, das Lager zu beliefern – zunächst in kleinem Stil, doch er bemüht sich, der SS jeden Wunsch zu erfüllen - und das trotz der erheblichen Anfahrtsprobleme in dieser Anfangszeit des Lagers. Das zahlt sich aus: 1939 bekommt er einen Auftrag für die Komplettversorgung des KZ Buchenwald mit Lebensmitteln - de facto ein Monopol. Seine Umsätze steigen von einigen tausend auf eine halbe Million Reichsmark, bis er 1942 über einen Korruptions- und Betrugsskandal stolpert. Insgesamt lässt sich bei mindestens 40 Weimarer Firmen ein Geschäftskontakt zum Lager nachweisen.
Situation der Häftlinge
Für die SS, die Stadt und viele Privatunternehmer ist die Lagergründung also eine Erfolgsgeschichte. Ganz anders sieht es für die Häftlinge aus. Die ersten von ihnen kommen im Sommer 1937 aus dem KZ Sachsenhausen, dem ersten KZ einer neuen entscheidenden Entwicklungsphase ab 1936, nach Buchenwald. Sie mussten sowohl den Kommandanten Koch als auch viele andere SS-Männer, Lagerführer, Blockführer etc. begleiten. Das KZ auf dem Ettersberg war insoweit zweifellos eine Ausgründung von Sachsenhausen, dem KZ bei der Reichshauptstadt. Es handelt sich um langjährige politische Gefangene, Zeugen Jehovas und Kriminelle, die ihre Gefängnishaft abgesessen haben und trotzdem nicht nach Hause dürfen.
SS-Angehörige hatten die erste Häftlingsbaracke selbst gebaut. Den Rest müssen die Lagerinsassen erledigen. Für sie ist die Aufbauzeit des Lagers zwischen 1937 und 1939 außerordentlich hart. Täglich müssen sie 14 bis 16 Stunden schuften, um Häftlingsbaracken, SS-Kasernen, Verwaltungsgebäude, Offiziers-Villen, Werkstätten, Straßen, Garagen, Fernheizungsanlagen und den Lagerzaun mit 32 Wachtürmen zu errichten. Dabei scheint sich die Natur mit den SS-Schergen zu verbünden: Das Lagergelände ist am Nordhang des Ettersbergs gelegen. Kalte Winde, wenig Sonne, dafür viel Regen in Verbindung mit dem schlammigen Tonboden machen das Leben der Gefangenen selbst mitten im Sommer zur Tortur.
Insgesamt gingen bis 1945 rund 266.000 Menschen durch die Hölle des Lagers. Schätzungsweise 56.000 von ihnen verloren ihr Leben.
(Der Artikel wurde erstmals am 15.07.2017 veröffentlicht.)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 11. April 2021 | 21:45 Uhr