Zweiter Weltkrieg Luftkrieg über Mitteldeutschland – Bomben auf Städte und Fabriken
Hauptinhalt
01. September 2024, 05:00 Uhr
In den ersten Kriegsjahren bleibt Mitteldeutschland von schweren alliierten Luftangriffen verschont. Das ändert sich im Oktober 1943 mit dem ersten Großangriff auf Leipzig. Ab Mai 1944 greifen die alliierten Bomberverbände die mitteldeutsche Treibstoffindustrie wirkungsvoll an. Bis Kriegsende 1945 eskaliert der Luftkrieg über Sachsen, dem heutigen Sachsen-Anhalt und Thüringen in mehreren Phasen. Trauriger Höhepunkt sind 1945 die Zerstörungen von Städten wie Magdeburg oder Dresden.
Inhalt des Artikels:
- 1. September 1939: Zweiter Weltkrieg beginnt
- Mai 1940 - September 1941: Erste Luftangriffe
- Oktober 1941 - September 1943: RAF verschont Mitteldeutschland
- Oktober 1943: Bombardierung von Leipzig
- November 1943 - April 1944: Angriffe mit hunderten Bombern
- Mai 1944: Treibstoff-Offensive gegen Hydrierwerke
- Juni - Dezember 1944: Zerstörung von Städten
- Januar - März 1945: Angriffe auf Bahnanlagen
- April - Mai 1945: Bombardierung ohne Gegenwehr
- Bilanz des Bombenkriegs
1. September 1939: Zweiter Weltkrieg beginnt
Mit dem deutschen Überfall auf Polen beginnt der Zweite Weltkrieg in Europa. Mitteldeutschland bleibt jedoch vorerst verschont. Für die britischen Bomber der Royal Air Force (RAF) sind von ihren Stützpunkten in England aus der Westen und Norden des Deutschen Reichs schneller erreichbar, was für die Kriegführung effektiver ist.
Das ist einer der Gründe, warum Hermann Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan bereits 1936 den Auftrag gegeben hatte, kriegswichtige Industrien weiter östlich anzusiedeln. Außer der rheinischen wird seither die mitteldeutsche Schwer- und Chemieindustrie besonders stark ausgebaut. Außer der Panzer- und Flugzeugproduktion ist synthetisches Benzin besonders wichtig, da nicht genügend Erdöl zur Verfügung steht. Es entstehen Hydrierwerke, u.a. in Leuna, Böhlen und Tröglitz. Im Verlauf des Krieges kommen kontinuierlich weitere Industriestandorte hinzu.
Mai 1940 - September 1941: Erste Luftangriffe
Im Mai 1940 wird Mitteldeutschland zum ersten Mal aus der Luft angegriffen. Es sind gezielte Angriffe auf einzelne Rüstungsfabriken vor allem in Magdeburg, Bernburg, Dessau sowie in Merseburg/Leuna durch einzelne leichte Bomber mit wenig Munitionslast. Schlechtes Wetter und technisch bedingte Zielungenauigkeit verursachen jedoch erste Kollateralschäden an der jeweiligen Städtesubstanz und fordern erste zivile Opfer.
Oktober 1941 - September 1943: RAF verschont Mitteldeutschland
Mitteldeutschland wird fast zwei Jahre lang weitestgehend von Angriffen verschont, denn die Briten konzentrieren sich weiterhin auf leichter erreichbare Ziele im Flugradius von etwa 600 Kilometern. Sie greifen hauptsächlich den Norden und Westen des Landes an. Der Grund dafür ist, dass die Bomber der RAF mit hoher Reichweite nur wenige Bomben tragen können und Angriffe auf Mitteldeutschland somit wenig effektiv wären – auch weil die schützenden Begleitjäger wie etwa die P-47 Thunderbolt keine höhere Reichweite erreichen können.
Oktober 1943: Bombardierung von Leipzig
Mit dem Einsatz neuer Flugzeuge ändert sich alles: Die viermotorige britische Avro Lancaster kann nun dreimal so viel Bombenlast tragen. Am 20. Oktober 1943 erfolgt das erste Tiefen- und Flächenbombardement in Mitteldeutschland auf Leipzig mit 358 Lancaster-Bombern. Die Stadt ist eine der größten des Deutschen Reichs mit wichtiger Flugzeugproduktion und einem bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt. Der historische Stadtkern erlebt in den kommenden Monaten eine massive Zerstörung. Die amerikanischen Bomber der United States Army Air Force (USAAF), die ab 1943 von England aus in den Luftkrieg eingreifen, können auf den Begleitschutz von kleinen Jagdflugzeugen wie den P-51 Mustangs setzen. Mit Zusatztanks kommen sie bis nach Mitteldeutschland. Von nun an sind große Angriffe mit vielen Bombern und Begleitschutz bis weit ins Deutsche Reich möglich, ohne auf Seiten der alliierten Flieger allzu große Verluste befürchten zu müssen.
November 1943 - April 1944: Angriffe mit hunderten Bombern
Nachdem der Westen des Deutschen Reichs bereits Angriffe von hunderten Bombern erlebt hat, kommen nun auch nach Mitteldeutschland regelmäßig hunderte Bomber. Die britischen Lancaster und die amerikanischen B-17 Bomber ("Fliegende Festung"), beide geschützt durch die P-51 Flugzeuge, bringen in riesigen Verbänden möglichst viel Bombenlast in die Region. Die RAF und die USAAF fliegen nun sowohl tags- als auch nachtsüber, wobei die RAF vorwiegend die Wohngebiete und Innenstädte zum Ziel hat, um die Bevölkerung zu demoralisieren, die USAAF hingegen zielt die Zerstörung der Industriestandorte an.
Mai 1944: Treibstoff-Offensive gegen Hydrierwerke
Am 12. Mai 1944 fallen 1.075 Tonnen Bomben auf die Hydrierwerke in Mitteldeutschland. Das führt zu einem Produktionsausfall von 570.000 Tonnen Treibstoff. Davon sind 270.000 Tonnen Flugbenzin, was die deutsche Luftwaffe praktisch nutzlos macht.
Die Produktionsanlagen in Leuna, Böhlen und Zeitz werden erheblich, meist sogar komplett zerstört. Die Treibstoffoffensive der Alliierten wiederholt diese Angriffe, sobald die Produktionsanlagen wieder laufen. Die Bomber erreichen durch eine verbesserte Strategie nun auch die Orte, an denen Nachschub für die Truppen produziert wird.
Der Zweite Weltkrieg wird nicht durch die Anzahl der Panzer und Flugzeuge entscheiden, sondern durch deren Versorgung mit Benzin. Albert Speer, Rüstungsminister des Deutschen Reichs, schreibt später über die Treibstoffoffensive der Alliierten: "Mit diesen Angriffen war der Krieg produktionstechnisch verloren."
Juni - Dezember 1944: Zerstörung von Städten
In den letzten Monaten des Jahres 1944 fallen weit mehr Bomben auf die städtischen Wohngebiete als im gesamten Vorjahr. Die Alliierten streben eine vollkommene Zerstörung der Städte und des mitteldeutschen Eisenbahnnetzes an, eines der dichtesten im gesamten Land. Auch immer mehr Kleinstädte werden zum Ziel: Saalfeld, wo das Bahnhofsgelände, die Industrieanlagen und die Innenstadt vollkommen zerstört werden; Apolda, das als Ausweichziel dient und zerstört wird; oder Freital – hier steht die einzige Raffinerie, die elektrisch veredelte Spezialschmieröle für die Luftwaffe herstellt. Die Bomber verfehlen jedoch die Fabrik, stattdessen wird die Stadt schwer getroffen.
Januar - März 1945: Angriffe auf Bahnanlagen
Die Alliierten setzen so viele Bomber, Bomben und Piloten ein, wie nie zuvor in diesem Krieg. Die deutsche Luftabwehr in Mitteldeutschland hat den stetig zunehmenden Angriffen und Bombenlasten immer weniger entgegenzusetzen. Es gibt kaum noch Schutz für die Städte. Um die Versorgung und die Rückzugsmöglichkeiten der Wehrmacht zu behindern, werden nun neben Industrieanlagen vermehrt Bahnanlagen und Verkehrswege großflächig angegriffen – auch in den Innenstädten. Tausende Menschen werden obdachlos, historische Bausubstanz wird zerstört. Städte wie Magdeburg, Dresden, Zwickau und Dessau erleben ihre schwersten Angriffe.
April - Mai 1945: Bombardierung ohne Gegenwehr
Mit dem Vormarsch der alliierten Truppen von Westen in Richtung Osten rücken weitere Städte in den Fokus: erst Nordhausen, später Zerbst und Plauen. Sie werden ohne nennenswerte Gegenwehr aus der Luft massiv bombardiert, bevor sie von den Bodentruppen eingenommen werden. So erlebt Mitteldeutschland in den letzten Kriegsmonaten weiterhin viele und schwere Angriffe.
Bilanz des Bombenkriegs
Im Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Großstädte Mitteldeutschlands, aber auch Kleinstädte und Dörfer von Bomben getroffen. Wie viele Angriffe eine Stadt erlebte, hing dabei nicht immer von deren Größe ab. Merseburg und Leuna erlebten mehr Angriffe als zum Beispiel Halle (Saale) oder Chemnitz. Und auch die Folgen konnten sehr unterschiedlich sein. So erlebte Erfurt im regionalen Vergleich mit die meisten Angriffe (28), wurde aber weit weniger zerstört als zum Beispiel Dresden. Die Stadt an der Elbe erlebte in den letzten Kriegsmonaten sieben Angriffe, die allerdings zu weit mehr zerstörten Gebäuden führten.
Zerstörte Wohnsubstanz in mitteldeutschen Städten (in Prozent)
* erste Zahl = Wohnungen gesamt, evtl. zweite Zahl = Innenstädte
Sachsen
- Aue (<20 %)
- Bad Muskau (~25 %)
- Bautzen (~35 %)
- Chemnitz (~35 %, >90 %)
- Crimmitschau (<20 %)
- Döbeln (<20 %)
- Dresden (~35 %, >90 %)
- Eilenburg (~35 %)
- Freiberg (<20 %)
- Freital (~25 %)
- Görlitz (<20 %)
- Leipzig (<20 %, ~55 %)
- Plauen (~45 %, ~75 %)
- Pirna (<20 %)
- Reichenbach (<20 %)
- Riesa (<20 %)
- Zittau (<20 %)
- Zwickau (<20 %)
Sachsen-Anhalt
- Aschersleben (<20 %)
- Bernburg (<20 %)
- Blankenburg (~25 %)
- Burg bei Magdeburg (<20 %)
- Dessau-Roßlau (~65 %, ~85 %)
- Halberstadt (~45 %)
- Halle (<20 %, <20 %)
- Köthen (<20 %)
- Magdeburg (~55 %, ~85 %)
- Merseburg (~25 %)
- Naumburg (<20 %)
- Stendal (<20 %)
- Weißenfels (<20 %)
- Zeitz (<20 %)
- Zerbst (~55 %)
Thüringen
- Altenburg (<20 %)
- Apolda (<20 %)
- Eisenach (<20 %)
- Erfurt (<20 %, ~35 %)
- Gera (<20 %)
- Gotha (<20 %)
- Greiz (<20 %)
- Jena (~25 %)
- Mühlhausen (<20 %)
- Nordhausen (~55 %, ~75 %)
- Sondershausen (~45 %)
- Weimar (<20 %)
Trotz der schweren Bombardierungen mit verheerenden Zerstörungen in den letzten Kriegsmonaten fällt die Bilanz für Mitteldeutschland dennoch weniger dramatisch aus als beispielsweise für Hamburg oder das Ruhrgebiet, die wesentlich früher in Reichweite der alliierten Bomber lagen.
Dennoch hinterlässt der Bombenkrieg über Mitteldeutschland sowohl in den Städten als auch auf dem Land gewaltige Ruinenlandschaften. Das Leipziger Zentralstadion wird bis 1956 aus 1,5 Millionen Kubikmetern Trümmerschutt errichtet. In Dresden hätte man sogar acht davon errichten können. In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) erreicht der Wohnraumverlust 11,5 Prozent. Mehr als jede zehnte Wohnung ist komplett zerstört, jede siebte schwer beschädigt und nur teilweise bewohnbar. Bis 1950 müssen sich vier Haushalte drei Wohnungen teilen. Mit dem Wiederaufbau verbessert sich zwar die Quote, doch wegen des schleppenden Neubaus kommen auch 1961 noch immer fünf Wohnungen auf sechs Haushalte.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Luftkrieg - Die Naturgeschichte der Zerstörung, MDR DOK, Film von Sergei Loznitsa | 01. September 2024 | 23:05 Uhr