Zweiter Weltkrieg Geheime Feldpolizei: die unbekannte Nazi-Truppe und ihr Nachleben im BND
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16. Dezember 2020, 17:19 Uhr
Geht es um die SS, um Gestapo oder Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes des Reichsführers (SD), hat jeder historisch interessierte Laie sofort ein Bild im Kopf. Die Geheime Feldpolizei hingegen ist noch heute, 75 Jahre nach Kriegsende, ein weitgehend unbekanntes Kapitelder Geschichte des "Dritten Reichs" geblieben. Dabei spielte sie eine wichtige Rolle im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg. Ihre Angehörigen blieben trotz der begangenen Verbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg unbehelligt - und konnten sogar beim Bundesnachrichtendienst weiter arbeiten.
Die Geheime Feldpolizei blieb in den Kriegsjahren fast immer "unterm Radar" und war schwer greifbar. Es waren Männer, die in ihrer Funktion ein Zwitter-Dasein führten: Sie unterstanden dem Oberkommando der Wehrmacht und gehörten gleichzeitig dem SS-Sicherheitsapparat von Heinrich Himmler an. Wie ging das?
Kaum Quellen, alles verschleiert
Die Quellenlage ist nicht gerade üppig. Vieles aus den NS-Archiven ist verschwunden oder vernichtet worden - oder es wird in Archiven verwahrt, die bis heute unzugänglich sind. Doch wie sich durch neuere wissenschaftliche Untersuchungen inzwischen zeigt: Es gibt Spuren dieser ominösen Einheiten. Und: Spuren des Spurenverwischens. Denn viele ehemalige Feldkommissare strebten nach 1945 eine zweite Karriere an - auf der Grundlage einer angeblich "nicht belasteten" NS-Vergangenheit.
Einer der vormachte, wie so etwas gehen kann, war der Chef der Geheimen Feldpolizei: Wilhelm Krichbaum. Für die U.S. Army Historical Division legte er 1947 eine erste historische Aufarbeitung seiner Truppe vor. Und er gab sich darin redlich Mühe, Zusammensetzung und Ziele dieser Abwehrpolizei zu verschleiern. Es gelang ihm - unter anderem auch damit, dass er 1948 beim Nürnberger Nachfolgeprozess gegen das Oberkommando der Wehrmacht als Zeuge der Anklage auftrat. Ein Coup, der die Geheime Feldpolizei offenbar für lange Zeit aus der Schusslinie bachte.
Geheime Feldpolizei als Phantom
Der Fall der Geheimen Feldpolizei wurde erst 1948 im Nachfolgeprozess behandelt, da im November 1945, als die Nürnberger Prozesse begannen, er viel zu komplex für eine schnelle Behandlung des Themas gewesen wäre. Während die Anklage in Eile alle Fakten sammelte, um SS, Gestapo und SD sogleich als verbrecherische Organisationen einzustufen, schoben die alliierten Ankläger das Thema der Geheimen Polizei vor sich her. Mit dem Ergebnis, dass ihre Führungsebene vor dem Internationalen Militärgerichtshof nie belangt wurde.
Doch nicht nur das: Auch das wissenschaftliche Interesse an dieser "Abwehrpolizei" der Wehrmacht hielt sich über Jahrzehnte in Grenzen. Als sich Aufsätze und Bücher zum Thema NS-Verbrechen und NS-Täter längst stapelten, klaffte beim Thema Geheime Feldpolizei noch immer eine erstaunlich große Lücke. Bis vor kurzem noch galt das 1986 vom DDR-Militärhistoriker Klaus Geßner geschriebene Buch über die GFP als das Standardwerk. Warum?
Mythos der instrumentalisierten Truppe
Es dauerte bis in die 1990er Jahre, bis das Bild von der "sauberen Wehrmacht" mehr als nur tiefe Risse bekam. Aber gerade die Geheime Feldpolizei passt nur bedingt zum Mythos der instrumentalisierten Truppe, die wider Willen Verbrechen in Kauf nahm. Denn im Kern ist die Geheime Feldpolizei alles andere als eine "normale" Formation der Wehrmacht - auch wenn sie formal dem OKW unterstand.
Die komplette Führungs- und Offiziersebene bestand nicht aus Militärs, sondern Feldpolizei-Beamten, abgeordnet aus den Reihen von Reinhard Heydrichs Sicherheitspolizei. Diese Beamten, so gibt Wilhelm Krichbaum 1946 in einer eidesstattlichen Erklärung vor dem Internationalen Militärgerichtshof an, seien zu höchstens acht Prozent aus den Reihen der Gestapo gekommen. Viel häufiger habe man echte Kriminalisten für den Job herangezogen. Neuere Archivsichtungen weisen eher gegenteilige Befunde auf.
Die "Gestapo der Wehrmacht"
Nach aktuellem historischen Forschungsstand, brachte ein Großteil des Personals, insbesondere der Führungsebene, Erfahrungen aus dem Bereich Gestapo mit. Wie Feldpolizeichef Krichbaum selbst, der seit 1933 im Geheimen Staatspolizeiamt Dresden seinen Dienst als Feldjäger-Hauptmann versah und später parallel zu seiner Funktion als Feldpolizeichef dem Amt IV des Reichssicherheitshauptamts vorstand und nebenbei als Stellvertreter des Gestapo-Chefs fungierte.
Rolle der Geheimen Feldpolizei
Doch wofür wurden diese Polizeibeamten im Krieg eigentlich abgestellt? Für die "gewöhnliche" Ordnung waren sie nicht zuständig, das oblag der Feldgendarmerie. Eine Heeresdienstdruckvorschrift vom 24. Juli 1939 weist der Geheimen Feldpolizei unter anderem die Aufgabe zu, "volks- und staatsgefährdende Bestrebungen" im Operationsgebiet zu bekämpfen. Und die Kommisare lieferten - zum ersten Mal bereits im verdeckten Einsatz in Spanien in den Jahren 1936 bis 1939 und bei der Annexion Österreichs 1938.
Bereits in dieser frühen Phase fällt die Feldpolizei durch "offen terroristische" Maßnahmen und Aktionen auf, wie Folterung und Exekution von Gefangenen und Verdächtigen. Es ist aber nur ein Vorgeschmack auf das, was mit dem Unternehmen "Barbarossa", dem Überfall auf die Sowjetunion, generalstabsmäßig Einzug halten wird.
1941: Die Geheime Feldpolizei bekommt mehr Macht
1936 wird die künftige Rolle der Feldpolizei im "Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaft" wie folgt definiert: "Sonderpolizei für Kriegszwecke. Sie setzt im Kriege die Tätigkeit der politischen Polizei fort". Diese Sonderrolle erfährt fünf Jahre später nochmals eine Erweiterung. Denn im Krieg gegen die Sowjetunion wird die Geheime Feldpolizei auch Aufgaben übernehmen, die vorher der Wehrmachtjustiz vorbehalten waren.
Explizit wischt Adolf Hitler in seinem 1941 als "Kriegsgerichtsbarkeitserlass" bekannten Schreiben alle völkerrechtlichen Bedenken vom Tisch und erklärt, dass Zurückhaltung gegenüber diesem neuen Feind völlig unangebracht sei. Schließlich gelte es ein "besonders gefährliches und jede Ordnung zersetzendes Element aus der Zivilbevölkerung" in Schach zu halten: die "jüdisch-bolschewistische Weltanschauung", die die "Waffe der Zersetzung heimtückisch und aus dem Hinterhalt" heraus gebrauche.
Gegenüber "Bolschewiken" hält Hitler alle Befehlshaber der Truppen zu äußerster Härte an. Besonders der Feldgendarmerie und der Geheimen Feldpolizei weist er die Rolle zu, echte und vermeintliche Straftaten von Zivilisten ohne jede gerichtliche Mitwirkung und Kontrolle selbst zu ahnden.
Zivilpersonen, die hinreichend der Spionage, Sabotage oder des Partisanentums verdächtig sind, sind nach Vernehmung durch die GFP zu erschießen. […] Knaben und junge Mädchen, die vom Gegner mit Vorliebe angesetzt werden, sind nicht auszuschließen.
Vernichtungskrieg in Arbeitsteilung
Von diesem Freibrief machte die Geheime Feldpolizei rege Gebrauch, auch wenn sie - anders als die Einsatzgruppen des SD - keinen expliziten Vernichtungsauftrag hatte. In seiner 2018 erschienen Dissertation zum Thema "Kriminalität, Kriegsgerichtsbarkeit und Polizeistrafgewalt unter deutscher militärischer Besatzung" rechnet der Historiker Andreas Himmelsbach vor:
1942 töteten alleine elf Gruppen GFP im Hinterland der Heeresgruppe Süd (später B) mehr als 5.000 Menschen und übergaben weitere 1.200 den Einsatzkommandos. In dem Halbjahresbericht des Heeresfeldpolizeichefs ist Mitte 1942 von insgesamt 12.000 Getöteten die Rede. Wenn man von etwa 38 Gruppen im Einsatz ausgeht, kommt man auf durchschnittlich 53 Hinrichtungen pro Gruppe und Monat.
Gaswagen als Muster eigener Hinrichtungen
Im Zuge der gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst ausgeführten Operationen verlieren Beamte der Geheimen Feldpolizei zunehmend alle Hemmungen. Im ukrainischen Charkow etwa sollen Feldpolizisten wiederholt überstellte Häftlinge gemeinsam mit dem Einsatzgruppenpersonal in die dort verwendeten Gaswagen verladen und diese auch während der Todesfahrt begleitet haben.
Sie machten so die Bekanntschaft eines Mordinstruments, das seit Sommer 1941 im RSHA (Reichssicherheitshauptamt) ersonnen worden war, um dem Personal der Einsatzgruppen die nervliche Belastung von Massenerschießungen zu ersparen. (…) Die Gruppe GFP 570 ging einen Schritt weiter und nahm die Gaswagen der Einsatzgruppen als Muster für ihre eigenen Hinrichtungen.
Vierfacher Mord endet mit Freispruch
Tatsächlich landete dieser eine Fall 30 Jahre später vor einem bundesdeutschen Gericht, das ein bemerkenswertes Urteil fällte. Denn das Landgericht Kiel sprach den Leiter der Gruppe 570, Feldpolizeikommissar Heinz Riedel - inzwischen Abteilungsleiter des Landeskriminalamts - vom Verdacht des Mordes frei. Allenfalls der Vorwurf des Totschlags käme im vorliegenden Fall in Betracht. Denn grausam und heimtückisch sei der Angeklagte in Charkow gerade nicht vorgegangen:
Riedel habe die Vergasung für humaner gehalten als die bisherige Erschießungspraxis. Ein medizinisches Gutachten stellte darüber hinaus fest, dass die Tötungsart nicht grausam sei, da nach etwa einer Minute Bewusstlosigkeit eintrete. Auch seien, so die Richter, die Opfer nicht arg- und wehrlos gewesen, weshalb der Vorwurf der Heimtücke entfalle. Der vierfache (!) Totschlag jedoch - mehr Opfer ließen sich nach Ansicht des Gerichts nicht nachweisen - sei bereits verjährt. Eine Revision des Urteils lehnte der Bundesgerichtshof ab.
Karrieren nach Kriegsende - bis zum BND
So ernüchternd die Fortschritte bei der Strafverfolgung, so glänzend war die Aussicht dieser Männer, noch einmal neu anzufangen. Denn Spezialisten im Umgang mit V-Männern, die in besetzten Gebieten Spionage und Sabotage sowohl erkennen als auch selbst betreiben konnten, waren schnell wieder gefragt. Im sich anbahnenden Kalten Krieg suchten viele Nachrichtendienste, NS-Profis zu reaktivieren. Moralische und strafrechtliche Bedenken wurden meist abgewiegelt oder durch "Persilscheine" außer Kraft gesetzt.
Die Organisation Gehlen, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, aber auch die neu gegründeten Landesämter für Verfassungsschutz, das Amt Blank und etliche Landeskriminalämter - sie alle versicherten sich gern der Unterstützung durch scheinbar neutralisierte Spezialisten. Und insbesondere einem von ihnen kam dabei eine Schlüsselrolle zu:
Die zentrale Person im Hinblick auf nachrichtendienstliches Networking, Rekrutieren alter Kameraden und Implantieren in die neuen bundesrepublikanischen Sicherheitsdienste war der Chef der Geheimen Feldpolizei der Wehrmacht, der Dresdner Wilhelm Krichbaum.
Krichbaum habe im entstehenden Bundesnachrichtendienst ein ganzes Netzwerk aus Geheimer Feldpolizei, Abwehr und SD-Männern implementieren können. Denn bis zu seinem plötzlichen Ableben 1957 war er eine Art informeller Personalchef der Organisation Gehlen.
Angekommen inmitten des BND
Antikommunistische Gesinnung, Korpsgeist und jahrzehntelange nachrichtendienstliche Praxis - dass diese Mischung alles andere als eine gute Grundlage für den neu aufzubauenden bundesdeutschen Nachrichtendienst darstellt, registriert man beim BND erst mit rund 15-jähriger Verspätung. Als nämlich mit großen Knall auffliegt, dass ein Teil der von Wilhelm Krichbaum einst angeworbenen Dresdner alten Kameraden ein Doppelleben führt.
So hat der inzwischen zum Leiter des Referats Gegenspionage aufgestiegene Heinz Felfe bis zu seiner Enttarnung als KGB-Spion einen immensen Schaden angerichtet. Laut einem Memorandum des befreundeten Nachrichtendienst CIA verriet er über 15.000 "recorded individual items" (Geheimsachen) und enttarnte an die 100 CIA-Agenten. Der Schaden, der dem BND selbst durch Krichbaums implementiertes Dresden-Netzwerk entstand, dürfte noch um ein Vielfaches höher gelegen haben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise: Der Wolf im Schafspelz! – Doppelagent Felfe | 11. August 2019 | 22:00 Uhr