Beobachtung und Überwachung im Nationalsozialismus Der SD: Sicherheitsdienst der SS
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Das SS-Spitzelnetzwerk reichte bis in die letzten Ecken des Reiches. Wer waren die Männer, die Nachbarn und Freunde, Kollegen und Bekannte ausspionierten und deren Berichte für Himmler, Goebbels & Co so wichtig waren?
Heinrich Himmler, als "Reichsführer SS" einer der mächtigsten Männer der NSDAP, hatte die Idee, einen parteieigenen Nachrichtendienst aufzubauen. Noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde 1931 der "SD", der Sicherheitsdienst innerhalb der Schutzstaffel (SS) gegründet. Bereits ein Jahr später übernahm Reinhard Heydrich die Führung des SD und machte ihn nach der Machtübernahme zu einer wichtigen Säule des nationalsozialistischen Terrors.
Aufgaben des SD
Eine der wichtigsten Aufgaben des SD war die Beobachtung von politischen Gegnern, Parteien und Strömungen – aber auch die Überwachung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen innerhalb der NSDAP. Sobald die Gegner enttarnt waren, begann dann die Geheime Staatspolizei (Gestapo), diese mit allen Mitteln zu bekämpfen. Heydrich, der schnell auch Chef der Gestapo wurde, sorgte dafür, dass diese von Himmler klar definierte Arbeitsteilung unter den beiden staatlichen Terrorinstrumenten reichsweit funktionierte.
Schnell erkannte Reinhard Heydrich, wie wichtig ein reichsweites Netz von Informanten (V-Männern) für die neuen Machthaber war – gerade auch in ländlichen Regionen, in denen es keine Gestapo-Dienststellen gab. Die Informanten waren "Auge und Ohr" des Verfolgungsapparates und durchdrangen das Reich bis in die kleinsten Dörfer. Ihre schriftlich festgehaltenen Beobachtungen gingen direkt in die Zentrale nach Berlin, sie waren die Grundlage für die "Meldungen aus dem Reich", die die NS-Führung stets über die aktuelle innenpolitische Lage informierten. Besonders wichtig war dabei die genaue Beobachtung der Stimmung in der Bevölkerung.
Original-V-Mann-Kartei im Dresdner Archiv
Wer waren die Männer, die Nachbarn und Freunde, Kollegen und Bekannte ausspionierten und deren Berichte für Himmler, Goebbels und Co so bedeutsam waren? Wo kamen sie her? In Dresden, im Sächsischen Hauptstaatsarchiv, findet man Antworten auf diese Fragen. Dort lagert eine einzigartige Kartei, bestehend aus 2.746 Personenkarten. Es ist die überlieferte Original-V-Mann-Kartei des Sicherheitsdienstes für Sachsen. Sie gibt Auskunft darüber, wer wann wen beobachtete. Die mit penibler Gründlichkeit geführte Kartei nennt Namen, Beruf und Wohnort der V-Männer, sie beinhaltet Berichte und Beurteilungen von Vorgesetzten. Und sie zeigt, dass der SD mit seinen V-Männern alle gesellschaftlichen Schichten durchdrang.
Sicherheitsdienst als Elite
Carsten Schreiber, der ein Buch über diese einmalige Quelle geschrieben hat, weiß, wie der SD um immer mehr Informanten warb:
Der Sicherheitsdienst hat sich im Selbstverständnis immer als so eine Art Elite gesehen, und gerade in Sachsen auch sehr stark damit geworben. 'Kommt zu uns. Die NSDAP ist korrupt, verkommen, proletarisch. Wir sind die wahren Nationalsozialisten. Die, die den wahren Kern bewahren.' Der wahre Kern war aber - das sieht man ganz deutlich, das war Rassismus und Antisemitismus."
Für die sächsische Stadt Stollberg zum Beispiel werden ein Lehrer, ein Bankdirektor, ein Richter am Amtsgericht oder ein Schuhfabrikbesitzer als Informanten genannt. In Crimmitschau schrieb der Journalist Heinz Ulrich nicht nur für Zeitungen, sondern auch für den SD. 22 Jahre war er alt, als er 1934 begann, fleißig Berichte über seine Mitbürger zu erstellen - ehrenamtlich, selbstverständlich. In einer Beurteilung dieser Berichte durch seine Vorgesetzten ist zu lesen:
Ulrich war auch derjenige, der im Jahr 1935 die Polizei und die Justiz davon überzeugt hat, das der jüdische Arzt Dr. Boas Rassenschande usw. trieb. Aufgrund des von Ulrich vorgelegten Materials konnte Boas sofort in Schutzhaft genommen werden.
Karriere machen durch Denunziation
Der Arzt kam in ein Konzentrationslager - und V-Mann Ulrich wurde aufgrund seiner zuverlässigen Berichte nach fünf Jahren, hauptamtlicher Mitarbeiter des SD: Karriere machen durch Denunziation, lobend wird über Ulrich geschrieben:
"Ohne jeden Bedenken kann mitgeteilt werden, dass Ulrich seine gesamte Freie Zeit für den SD geopfert hat."
Nachdem die Nationalsozialisten ihre Macht im Laufe der Jahre immer mehr gesichert hatten, veränderte sich auch die Nachwuchswerbung des SD. Nun wurden nicht mehr nur einfache Spione gesucht, Himmler und Heydrich legten jetzt gesteigerten Wert darauf , "weltanschaulich kompromisslose", besonders radikaler SS-Führer zu finden. Viele von ihnen begannen ihre Karriere im SD. Gezielt wurden intelligente junge Männer gesucht, überzeugte Nazis, knallhart, eiskalt, gehorsam.
"Und wo der Sicherheitsdienst in Sachsen dann diese Leute gefunden hat, war an der Universität. Also gerade junge Studenten, junge Doktoranden, Akademiker sind angesprochen worden, weil man auch wusste, die jetzige Studentengeneration, das sind in ein, zwei drei Jahren die zukünftigen Richter, Staatsanwälte, Ärzte. Und diese jungen radikalen Akademiker, die auch politisch auf Linie waren, haben dann bereitwillig beim Sicherheitsdient mitgearbeitet und sind dann dort auch sehr schnell in führende Positionen aufgestiegen."
Wegweiser für die "Endlösung der Judenfrage"
Der SD wurde so zum äußerst präzise funktionierenden Nachrichtenapparat, dem 1944 rund 6.400 hauptamtliche Mitarbeiter angehörten. Rund 30.000 V-Leute sorgten zusätzlich für Stimmungsbilder aus der Bevölkerung. Es waren auch diese gut gebildeten jungen Männer, die die die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" mit auf den Weg brachten.
Manche von ihnen leisteten ihren Dienst in den "Einsatzgruppen" der Sicherheitspolizei und des SD, die bei der Durchführung des Massenmords in den besetzten sowjetischen Gebieten eine entscheidende Funktion ausführten: Karriere machen durch einen persönlichen Einsatz bei der Vernichtung von Millionen Menschen. Auch Adolf Eichmann, Organisator der Judendeportationen aus ganz Europa in die Vernichtungslager, gehörte anfangs dem SD an.
Nach dem Krieg: Karriere im Westen
Auch nach Ende des Dritten Reichs gab es für viele SD-Mitarbeiter eine Anschlussverwendung – in Geheimdiensten, Universitäten und in der Industrie.
Die Führungspersönlichkeiten im SD aus Sachsen sind schnell wieder auf die Füße gekommen. Allerdings klar, sind sie in den Westen rübergegangen, und haben dort weiter Karriere gemacht. Und das muss man auch sagen, die Männer, die sich beim SD engagiert haben, sich zu einem Großteil ihrer Freizeit hier ehrenamtlich engagiert haben, haben das gemacht, weil sie vorankommen wollten, weil sie im Dritten Reich Karriere gemacht haben. Sie waren intelligent, sie wollten um jeden Preis weiterkommen, und das waren aber auch alles Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, die ihnen dann später nach 1945 auch weitergeholfen haben.
Buchtipp: Elite im Verborgenen. Ideologie und regionale Herrschaftspraxis des Sicherheitsdienstes der SS und seines Netzwerks am Beispiel Sachsen. Autor. Carsten Schreiber. München 2008: Oldenbourg Verlag.