19. März 1905: Albert Speer geboren Albert Speer, der "gute" Nazi
Hauptinhalt
27. Januar 2022, 02:12 Uhr
Albert Speer war der nationalsozialistische "Superminister". Dennoch konnte er beim großen Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg den Kopf aus der Schlinge ziehen. Wie ist ihm das gelungen? Und warum schaffte er es, sich als "guten Nazi" so gut zu verkaufen, dass seine Erinnerungen bis heute zu den meistverkauften deutschen Büchern gehören?
Inhalt des Artikels:
- Albert Speers Rolle im NS-Regime
- Albert Speer inszeniert sich als Technokrat
- Zehntausende KZ-Häftlinge sterben in den Rüstungsfabriken
- Albert Speer entgeht der Todesstrafe
- 1966 - die umjubelte Rückkehr von Albert Speer
- Erste Spuren des Täters Albert Speer
- Speers Kooperation mit der SS: Auf gute Zusammenarbeit!
- Handelseinig auch in Auschwitz
- Speer als Propagandist des Totalen Kriegs
Der Mann hat einfach Manieren. Ist kultiviert. Ein Schöngeist von Natur aus. Hätte er sich nur nicht auf so bestürzend-abgründige Weise benutzen und instrumentalisieren lassen. So oder so ähnlich muss man es sich wohl vorstellen, das Bild, das sich die westlichen Alliierten von Albert Speer 1945 machten. Und Speer selbst hat dieser Deutung ordentlich Futter gegeben. Von Beginn an ahnend, dass von dieser wohlwollenden Sicht und seiner eigenen Präsentation als missbrauchtes Organisationsgenie der Nazis sein Leben abhängt.
Albert Speers Rolle im NS-Regime
Speer, das wussten natürlich auch die Ankläger in Nürnberg, war in der NS-Hierarchie eine Größe. Ein Mann der Superlative. Vom "Lieblingsarchitekten des Führers" hatte er es binnen eines Jahrzehnts zum omnipräsenten Manager für alle Bau- und Rüstungsfragen gebracht. Als undogmatischer Problemlöser, als Herr der Zahlen und Produktionsziffern, als durchsetzungsstarker Manager hat er sich dem Nürnberger Gericht denn auch vor allem präsentiert.
"Eine dreifache Steigerung der Waffenproduktion" sei die Bilanz seiner Jahre als Rüstungsminister, hielt ein US-Militärbericht bereits im September 1945 beeindruckt fest. Und schon da gingen die Verfasser dem "Rüstungsgenie" Hitlers gehörig auf den Leim. Denn Speer ließ diese Statistik schon vor 1945 erstellen, d.h. fälschen. Vernebelungstaktik, die tatsächlich gut funktionierte, bis dann sowieso alles egal war und sich um Zahlen niemand mehr scherte.
Albert Speer inszeniert sich als Technokrat
Die Brutalität des Regimes, die grausigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – Albert Speer ist fassungslos. Darüber, dass ihm das die ganzen Jahre verborgen geblieben ist. Hätte er seinen Job sonst so gut gemacht? Schon vor dem Prozess gelingt es ihm, sich gegenüber seinen Vernehmern als reinen Technokraten zu inszenieren. Und er kann selbst schlaue Köpfe wie den für den United States Strategic Bombing Survey arbeitenden Ökonomen und späteren Nobelpreisträger Nicholas Kaldor täuschen.
Im Nürnberger Prozess selbst antwortet Speer auf die Frage seines Verteidigers zur Größe seiner Aufgaben mit unübersehbar stolzgeschwellter Brust:
Am besten gebe ich die Entwicklung in der Zahl der bei mir beschäftigten Arbeitskräfte (wieder). 1942 hatte ich die Heeresrüstung und das Bauen übernommen mit zusammen 2,6 Millionen Arbeitern. Im Frühjahr 1943 übertrug mir Dönitz die Verantwortung für die Marinerüstung. Ich hatte damit 3,2 Millionen Arbeitskräfte. Im September 1943 wurde durch die Vereinbarung mit Wirtschaftsminister Funk mir die Produktionsaufgabe des Wirtschaftsministeriums übertragen. Damit waren bei mir 12 Millionen Arbeitskräfte beschäftigt. Und schließlich übernahm ich die Luftrüstung von Göring. Damit war bei mir die gesamte Produktion mit 14 Millionen Arbeitskräften vereinigt.
Zehntausende KZ-Häftlinge sterben in den Rüstungsfabriken
Speer rühmt sich damit, für die Hälfte der im Deutschen Reich zum Einsatz kommenden Arbeitskräfte verantwortlich gewesen zu sein. Nicht mehr und nicht weniger. Er weiß, verantwortlich gemacht als Mittäter wird er so oder so. Besser in diesem einen Punkt in die Offensive gehen. Und mit dieser Haltung und Verteidigungsstrategie kommt Albert Speer überraschend gut durch. Selbst dann noch, als vor Gericht brenzlige Fragen auftauchen. Ob er gewusst habe, wie es in den ihm unterstehenden Rüstungsfabriken zugegangen sei? Albert Speer tischt dreiste Lügen auf.
Selbst in den berüchtigten unterirdischen Rüstungsfabriken, wie Mittelbau-Dora, habe es immer 1a-Arbeitsbedingungen gegeben: "Staubfreie, trockene Luft, gutes Licht, große Frischluftanlage." Prädikat: "absolut einwandfrei". Dass dort noch in den letzten Kriegswochen Zehntausende KZ-Häftlinge der forcierten Politik der "Vernichtung durch Arbeit" zum Opfer fallen und jämmerlich krepieren – davon habe er nichts mitgekriegt. Speer hat nachgeholfen, damit es keine Fotos von ihm am Tatort gibt und nur wenige Belege, die seine unmittelbare Verstrickung offenbaren. Offiziell sind die Tatorte SS-Einrichtungen. Für deren Personal sind andere zuständig.
Albert Speer entgeht der Todesstrafe
Dennoch erstaunt, dass das Gericht in Nürnberg 1946 ausgerechnet den wichtigsten noch lebenden Repräsentanten des NS-Staats (Hermann Göring war spätestens ab 1941 hinter Superminister Speer getreten) durchkommen lässt und vergleichsweise milde bestraft. Albert Speer wird zu 20 Jahren Haft verurteilt – während das Gericht gegen zwölf der insgesamt 24 Angeklagten die Höchststrafe verhängt: Tod durch Erhängen.
1966 - die umjubelte Rückkehr von Albert Speer
Als sich nach 20 Jahren um Mitternacht des 1. Oktober 1966 die Tore des Kriegsverbrecher-Gefängnises in Berlin-Spandau öffnen, wird die Welt Zeuge einer eigentümlichen Wiederauferstehung. Albert Speer wird fast wie ein Popstar in Empfang genommen. Mehr als 100 Journalisten sind zugegen. Tausende erregte Zuschauer. Nur zwei Jahre vor dem großen Umbruchsjahr 1968 ist die Entlassung einer zentralen Figur des NS-Regimes das mediale Großereignis.
Und das ist nur der Anfang. Denn in 20 Jahren Haft hat sich Albert Speer penibel auf den Moment seine Rückkehr vorbereitet. Heimlich hat er an seinen "Erinnerungen" geschrieben, sie über Jahre auf kleinen Kassibern rausschmuggeln lassen – insgesamt 1.200 Manuskriptseiten. 1969 schließlich erscheinen sie und werden ein Weltbestseller. Vor allem aber sorgen sie in Deutschland dafür, dass Albert Speer eine Art öffentliche Rehabilitation erfährt. Denn er trifft den Nerv eines immer noch riesigen Publikums. Seine prominente Erzählung vom tief gefallenen Mitläufer, der sich ohne eigenes Zutun in Verbrechen hat verstricken lassen, ist Balsam für die NS-Erlebnisgeneration. Wenn Speer wiederholt, er habe vom Holocaust bis Kriegsende nichts gewusst, zeigt das doch nur: Selbst ein Mann dieses Formats konnte nicht alles wissen. Wie dann erst der einfache Volksgenosse!
Speer gelingt es jedoch, nicht nur ein breites Publikum für sich einzunehmen. Durch seine schwer zu widerlegenden Inneneinsichten aus der Machtzentrale heften sich sogar Historiker an seine Fährte und schreiben mitunter Geschichte zu seinen Gunsten um. Und das, obwohl seit den 1940er-Jahren immer mehr brisante Dokumente auftauchen, die zeigen, dass dieser ältere, kultivierte Herr die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten nicht nur bestens kannte, sondern sogar maßgeblich beeinflusste.
Erste Spuren des Täters Albert Speer
Bei der Betrachtung von Speers Aktivitäten innerhalb des NS-Machtapparats fiel lange Zeit kaum auf, wie früh er persönliche Vorteile aus seiner administrativen Tätigkeit für das System zog – auch und gerade unter Einbeziehung der NS-Rassenpolitik. Von Hitler persönlich beauftragt, alle Maßnahmen für den Umbau Berlins zur neuen Reichshauptstadt Germania in die Wege zu leiten, nutzt Speer die Generalbevollmächtigung, um nach eigenem Ermessen Häuser und Straßen der Hauptstadt großflächig abzureißen bzw. andernorts Ersatzwohnraum nahezu uneingeschränkt zu requirieren. Seine Leute organisieren so ab 1941 massenhaft sogenannte "Judenwohnungs-Entmietungsaktionen", bei denen Tausende Berliner Juden wellenartig "evakuiert" werden. "Evakuiert" heißt übersetzt: Die Betroffenen sind hiermit automatisch freigegeben zur Deportation in Richtung Osten, wo sie ermordet werden.
Für Speer selbst sind diese Wohnungen willkommenes Beutegut, welches er mal an Reinhard Heydrichs Sicherheitspolizei, mal an andere Günstlinge des Regimes weiterverteilt – bei entsprechender Gegenleistung. Als Melchior von Schlippenbach, Adjutant General Erwin Rommels, wegen so einer Wohnung in Speers Büro vorspricht, werden ihm gleich fünf Adressen zur Besichtigung ausgehändigt. Darunter, wie sich herausstellt, eine, unter der noch eine jüdische Familie wohnt. Als Schlippenbach sich im Büro beschwert, erklärt ihm ein Mitarbeiter:
Ach, die haben sie noch nicht abgeholt. Hat Ihnen denn die Wohnung gefallen? Ich brauche nur zu telefonieren, dann werden die heute Nacht abgeholt und sind weg.
Speers Kooperation mit der SS: Auf gute Zusammenarbeit!
Auch Heinrich Himmler nimmt früh Tuchfühlung mit dem Generalbevollmächtigten für alle Baufragen auf. Denn er wittert stattliche Gewinne für seine SS. Schließlich verfügt Speer seit der Freigabe für monumentale Umbauten in Nürnberg und Berlin über ein gigantisches Budget, das mit den Jahren immer weiter wächst. Allein im ersten Jahr der Kriegswirtschaft von 1939 bis 1940 sind es 722 Millionen Reichsmark.
Die ersten gemeinsamen Projekte drehen sich Ende der 1930er-Jahre um Lagerstätten, in denen das von Speer für seine Monumentalbauten favorisierte Naturmaterial abgebaut werden kann. Ab 1937 lässt die SS routinemäßig prüfen, wo Steinbrüche sind, damit sie in deren Nähe KZs bauen kann, um das neu gegründete SS-Unternehmen "Deutsche Erd- und Steinwerke" optimal zu betreiben. Auf solch eine Maßgabe geht auch die Standortwahl für das KZ Buchenwald zurück. Heinrich Himmler hatte das Geologische Institut Jena damit beauftragt, ein Gelände zu finden, wo Ziegellehm in ausreichendem Maße vorhanden ist, um die Ziegelproduktion des Reichs kräftig anzukurbeln. Bei den KZs in Natzweiler-Struthof (Elsass) und in Groß-Rosen (Schlesien) hat Albert Speer sogar persönlich den Anstoß für den Bau geliefert, um so besser an den dort lagernden Granit zu gelangen.
Handelseinig auch in Auschwitz
Eine neue Dimension erreicht die Zusammenarbeit mit der SS schließlich durch den Überfall auf die Sowjetunion. Fortan ist die sogenannte "Ostwanderung" – der interne Tarnbegriff für das Deportations- und Vernichtungsprogramm der Nazis – ein wiederkehrendes Thema vieler Besprechungen Albert Speers. Am 15. September 1942 verzeichnet sein Terminkalender ein Treffen mit dem für Baumaßnahmen bei der SS verantwortlichen Leiter Hans Kammler. Thema: Die "Vergrößerung des Barackenlagers Auschwitz infolge Ostwanderung".
Speer braucht auch neue Ressourcen, um die Rüstungsproduktion auszuweiten. Die SS bietet sie an – wieder mal. Auschwitz, so das Versprechen von Kammler und Himmler, könnte die perfekte Lösung für Speers Pläne sein. Man geht schnell ins Detail, wie ein Protokoll des Gesprächs verrät. SS-Mann Kammler hält darin fest: "wie Reichsminister Professor Speer es richtig bezeichnete", müsse so ein Werk neuer Dimension "auf der grünen Wiese liegen":
Dann wird ein elektrischer Zaun herum gespannt, das bisher leere Werk wird mit der erforderlichen Anzahl Häftlinge durch uns bemannt und läuft dann als SS-Rüstungsbetrieb.
Mit den von Speer zugesagten Mitteln in Höhe von 13,7 Millionen Reichsmark könne man in Auschwitz ruckzuck bis zu 132.000 Mann unterbringen: "Die für die Ostwanderung bestimmten arbeitsfähigen Juden werden also ihre Reise unterbrechen und Rüstungsarbeiten leisten müssen."
Auf Grundlage dieser und weiterer Gespräche entsteht 1942 im Laufe von sechs Wochen eine ausführliche Bauakte. Und bereits aus ihrem Titel geht hervor, dass beide Seiten sich völlig darüber eins und im Klaren sind, wozu dieses Lager noch dienen soll: "Vorhaben: Kriegsgefangenenlager Auschwitz (Durchführung der Sonderbehandlung)." Penibel sind dort alle Details des Aufbaus und der Kosten erfasst. Schließlich bestellt man hier auch Einäscherungsanlagen samt Gaskammern in bislang nie gekannter Dimension. Vorgesehen für all diejenigen, die in Auschwitz sofort nach Ankunft selektiert und ermordet werden, weil sie als auszubeutende Zwangsarbeiter für den Hochleistungs-Rüstungsbetrieb nicht infrage kommen.
Speer als Propagandist des Totalen Kriegs
Unterschlagen hat Albert Speer bis zu seinem Tod 1981 aber auch konsequent seine Rolle bei der letzten großen "Aufmunitionierung" der deutschen Bevölkerung. Ganz im Gegensatz zu seiner nach 1945 verbreiteten Mär, er habe sich fast ausschließlich um technische und organisatorische Aspekte gekümmert, weisen ihn verschiedene Quellen eindeutig als propagandistischen Einpeitscher und prominenten Hardliner aus. An der Seite von Joseph Goebbels etwa stimmt er 1943 im Sportpalast 10.000 Rüstungsarbeiter und NS-Funktionäre auf das Motto Mobilisierung für den totalen Krieg ein. Er droht dort selbst NS-Betriebsführern mit rigiden Strafen, wie Tod oder schweres Zuchthaus, für den Fall, dass sie sich dieser Aufgabe aktiv oder "durch unwahre Angaben" verweigern. Und er hat noch mehr Daumenschrauben parat:
SS und Polizei könnten hier ruhig hart zufassen und die Leute, die als Bummelanten bekannt sind, in KZ-Betriebe stecken. Anders geht es nicht. Das braucht nur ein paar Mal zu passieren, das spricht sich herum.
Wie man bei der SS zufasst, weiß Albert Speer da längst ganz genau. Doch Skrupel, so scheint es, hat er schon lange keine mehr – wenn er sie denn überhaupt je gehabt hat. Als am 6. Oktober 1943 Heinrich Himmler in vertrauter Runde, bei einer Gauleitertagung in Posen, konkret erläutert, worin die Politik der sogenannten "Endlösung der Judenfrage" besteht, ist auch Albert Speer unter seinen Zuhörern. Himmler spricht ihn während dieser Rede sogar zwei Mal direkt an. Zeitlebens hat Albert Speer dennoch vehement bestritten, zu diesem Zeitpunkt im Raum gewesen zu sein. Erst zehn Jahre vor seinem Tod gibt er in einem Brief, der erst Mitte der 2000er Jahre öffentlich wird, unumwunden zu:
Ohne Zweifel war ich dabei, als Himmler am 6. Oktober 1943 ankündigte, dass alle Juden umgebracht würden!