NS-Verbrechen des Polizeibataillons 311 Polizisten aus Jena im Holocaust und Vernichtungskrieg
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27. Januar 2021, 12:43 Uhr
Im Zweiten Weltkrieg verübten nicht nur SS-Männer grausame Verbrechen, sondern auch Wehrmacht und Polizei. Das Polizeibataillon 311 aus Jena hinterließ eine regelrechte Terrorspur in Polen, Belarus und der Ukraine.
Es war der 29. November 1940, als im Ghetto von Krakau eine Kompanie von 175 deutschen Polizisten, verstärkt durch 200 polnische Polizisten sowie 30 Kripo-Beamte und Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der SS den dortigen Markt umstellten. "Aktion gegen einheimische Juden im Stadtgebiet von Krakau, die sich nicht ausweisen können", so lautete der Befehl Nr. 10 des örtlichen Kommandeurs der Ordnungspolizei.
Alle männlichen Juden, die älter als 14 Jahre sind und keine Aufenthaltsbewilligung in Händen haben, sind festzunehmen. Sammelplatz für die festgenommenen Juden ist die Synagoge am Trödelmarkt. Von dort erfolgt Abtransport durch Kräfte des SS-Totenkopfregimentes nach dem Lager Lubiczgasse 4.
Major Walter Danz, Kommandeur des Polizeibataillons 311, leitete die Razzia. Das Bataillon wie auch Danz waren sechs Wochen zuvor aus Jena in Krakau eingetroffen. Der Aktion folgten bald weitere: Generalgouverneur Hans Frank, dessen Sitz auf der Krakauer Burg von der Jenaer Einheit bewacht wurde, hatte im April 1940 befohlen, Krakau "judenfrei" zu machen, wobei "vorläufig" 15.000 Juden in der Stadt verbleiben durften.
Auch als im März 1941 die Bildung eines "jüdischer Wohnbezirks" befohlen wurde und alle bis dahin außerhalb wohnenden Juden ihre Wohnungen verlassen und in das Ghetto ziehen mussten, war das inzwischen über den Distrikt Krakau verteilte Polizeibataillon beteiligt. Die Aktionen bildeten den Auftakt zum Holocaust.
Dabei hatte es "vorerst noch völlig harmlos" begonnen, wie Peter W., einer der 500 Rekruten, die ab Frühjahr 1940 in Jena eine Ausbildung an der Polizeischule absolvierten, damals an seine Familie schrieb. Exerzieren, Schießen, weltanschauliche Erziehung mit Themen wie germanischen Rasse, Untermenschentum, Großdeutschland, aber auch gutes Essen bereiteten die Polizisten auf ihre spezielle Aufgabe vor. Sie hatten sich freiwillig zum Dienst in der Polizei gemeldet, vielleicht in der Hoffnung, dadurch dem Fronteinsatz zu entgehen.
Polizisten als Täter im Holocaust
Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 21. Juni 1941 wurden die Polizisten, teils mit der kämpfenden Truppe eingesetzt, wurden die Polizisten Zeugen und zugleich Täter des Vernichtungskrieges. In Lemberg, Przemyśl, Sambor und weiteren Grenzorten verübten ukrainische Nationalisten mit deutscher Unterstützung Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung. Juden wurden auf offener Straße gedemütigt und erschlagen. In Lemberg wurden mehrere Tausend Juden unter Teilnahme des Jenaer Polizeibataillons deportiert und in der Nähe der Stadt erschossen. Dies bestätigten Nachkriegsaussagen von Polizisten.
In den folgenden Wochen und Monaten nahm der Vernichtungskrieg unvorstellbare Dimensionen an. Die Blutspur des Jenaer Polizeibataillons zur Sicherung des "rückwärtigen Heeresgebiete" im Bereich des Armeekorps 17 – zieht sich durch die Ukraine von Lemberg über Tarnopol, Winniza und Uman bis nach Dnjepropetrowsk mit ungezählten Exekutionen von Zivilisten, Kriegsgefangenen und Partisanen, Deportationen ins Reich und niedergebrannten Dörfern.
Erschießung von Zivilisten in der Sowjetunion
Die Einwohnerin Anna Polikarpowna Pawljuk aus dem Dorf Ljutenka bei Poltawa berichtete in ihrer Zeugenaussage 1978 über eine Erschießung in ihrem Heimatort am 28. November 1941. Damals 16 Jahre alt, war sie dabei nur knapp dem Tod entgangen.
Es war zu diesem Zeitpunkt schon völlig dunkel, doch als wir in den Garten kamen, da sahen wir dort viele Leichen von erschossenen Menschen, und unter ihnen sah ich auch die Leichen der fünfköpfigen Familie, die vor uns von drei deutschen Soldaten in den Garten gebracht worden war. Die Deutschen schossen auf meine Mutter, und zwar schossen alle drei gleichzeitig. Ich ließ mich ebenfalls zu Boden fallen und bedeckte mit meinem Körper meine kleine Schwester Marusja. In diesem Moment schossen die Deutschen auch auf mich, aber die Kugeln gingen vorbei, und ich hörte, wie sie neben mir am Boden aufschlugen. Einer der Deutschen trat an mich heran und stieß mich weg von meinem Schwesterchen. Dann schoss er zuerst auf meine Schwester. Dabei röchelte meine Schwester irgendwie, dann verstummte sie, und dann auf mich.
Ich spürte, dass die Kugel mich am linken Knie verletzt hatte, aber ich ließ mir nichts anmerken und blieb so liegen, wie ich gelegen hatte. Wie sie auf Tatjana schossen, habe ich nicht gesehen, aber ich habe die Schüsse gehört. Die Deutschen schossen mit Maschinenpistolen auf uns. Sie gaben aber kein Dauerfeuer, sondern nur einzelne Schüsse ab. Danach kamen die deutschen Soldaten noch einmal zu mir, stießen mich mit dem Fuß, aber ich gab keinerlei Lebenszeichen von mir, und kurze Zeit später verließen sie den Garten.
30 Dörfer ausgelöscht, um Partisanen zu bekämpfen
In der Nähe der Großstadt Dnjepropetrowsk, bei Nowomoskowsk, wurde das Polizeibataillon 311 im Winter 1941/42 zusammen mit Wehrmachtseinheiten zur Bekämpfung von Partisaneneinheiten eingesetzt, die sich im "Schwarzen Wald von Samara" verschanzt hatten. Um sie von Unterstützung und Verpflegung abzuschneiden, wurden im grimmigen Winter teils die Einwohner ermordet und Häuser in 30 Dörfern vernichtet.
Von einer größeren Erschießungsaktion Ende 1941/Anfang 1942 berichtete der Polizist Emil H. Das Dorf habe etwa 25 km von Dnjepropetrowsk gelegen:
Im Ergebnis dieser Walddurchkämmung wurden etwa 50 Partisanen gefangen genommen. Diese wurden zum Verhör zum Bataillonsstab gebracht, wo sie durch die Offiziere des Stabes vernommen wurden. Ich möchte sagen, dass sie dabei geschlagen und misshandelt wurden. Nach der Vernehmung wurden diese von einem Sonderkommando, das aus Angehörigen des Bataillons bestand, außerhalb des Dorfes an einer Grube, die sie selber ausheben mussten, erschossen.
Nachdem diese 50 Partisanen liquidiert waren, wurde das Dorf durch das gesamte Polizeibataillon 311 umstellt. Die Dorfbevölkerung wurde dann von einem Sonderkommando (in Stärke eines Zuges) aus den Häusern getrieben. Im Ergebnis dieser Zusammentreibung waren etwa 200 Zivilpersonen zusammengekommen. Soweit es mir heute noch erinnerlich ist, waren die meisten Frauen verschiedenen Alters sowie ältere Männer. Diese ca. 200 Sowjetbürger wurden dann in Gruppen von ca. 30 Personen an den dort befindlichen Fluß geführt und erschossen. Die Leichen fielen in den Fluß und trieben davon. Die nicht hineinfielen, wurden durch Angehörige des Sonderkommandos in den Fluß gestoßen.
Im Sommer 1942 wurde das Jenaer Bataillon in das Polizeiregiment 6 kommandiert. Nach verlustreichen Kämpfen im Nordkaukasus existierte der Verband im Januar 1943 nicht mehr. Die Reste des Jenaer Bataillons gehörten ab Frühjahr 1943 zum Polizeiregiment 26. Es war eine der berüchtigtsten Einheiten, die Teile von Weißrussland bis zum Sommer 1944 in menschenleere Todeszonen verwandelten, indem sie Männer, Frauen und Kinder erschossen oder lebendigen Leibes in Scheunen verbrannten - als "Vergeltung" für den Widerstand der Partisanen.
Ghetto-Aufstand in Białystok niedergeschlagen
Im August 1943 kamen die "Jenaer" mit dem Regiment bei Absperrung und Räumung des Ghettos im ostpolnischen Białystok zum Einsatz. Die Eintragungen in Dienstpässen der Polizisten lauteten: "Gefechte mit Banditen und Juden bei der Räumung des Ghettos Bialystok und Stoßtrupp hinter Panzerkampfwagen in das Ghetto".
Die etwa 500 Widerstandskämpfer konnten jedoch im brutalen Häuserkampf - ähnlich wie später in Warschau - der deutschen Übermacht nicht lange standhalten. Die meisten wurden erschossen, nur wenigen gelang die Flucht. 2.000 Juden wurden während der Kämpfe getötet; über 30.000 Juden wurden nach der Selektion entweder in Zwangsarbeitslager nach Lublin oder in die Vernichtungslager Treblinka und Auschwitz deportiert, darunter in letzteres auch 1.260 Kinder und 53 Betreuer.
Nach dem Krieg: "Von Judenerschießungen nie gehört"
Bis in die 1980er-Jahre wurde in beiden deutschen Staaten gegen Angehörige des Polizeibataillons 311 wegen Kriegsverbrechen ermittelt, in der Bundesrepublik durch Staatsanwaltschaften, in der DDR durch das Ministerium für Staatssicherheit. Nicht zuletzt aufgrund gegenseitig abgelehnter Rechtshilfeersuchen führte keines der Verfahren in Ost und West gegen unter Mordverdacht stehende Polizisten zu einer Anklage. So stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart nach siebenjährigen Ermittlungen das Verfahren gegen Major Walter Danz im März 1980 ein. Im Abschlussbericht vom 4. März 1980 heißt es dazu:
Bei seiner Beschuldigtenvernehmung hat Danz eine Beteiligung an rechtswidrigen Tötungshandlungen zum Nachteil von Juden, Frauen und Kindern entschieden bestritten.
Danz hatte 1976 in einer Vernehmung durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg erklärt:
Ich habe auch nie gehört, dass in unserem Einsatzbereich Juden erschossen worden sind. Das kann ich mit gutem Gewissen sagen und auch unter Eid wiederholen. Das Polizeibataillon 311 war nie bei einer Judenerschießung eingesetzt.
"Eine große und gerechte Sache"
Der Oberwachtmeister Peter W., der am Anfang noch alles harmlos fand, schrieb am 4. November 1941 an seine Frau in Bad Blankenburg:
Sein persönliches Ich muß hier jeder zurückstellen. Dafür sind wir ja Soldaten und kämpfen für eine große und gerechte Sache. Seien die Entbehrungen und Opfer noch so groß, ich bin froh und unendlich stolz darauf, mit dabei zu sein. Für unsern Führer und für Deutschland kann ich alles auf mich nehmen.
Im Februar 1942 Tage später starb W. nach Kämpfen an der Front bei Losowaja in der Ukraine. Die sterblichen Überreste entdeckte und identifizierte 58 Jahre später, am 23. September 2000, sein Sohn mit Unterstützung des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge in einem deutschen Soldatengrab.
Ausstellung in Jena und Meiningen
Auf der Grundlage mehrjähriger Forschungen konnte der Autor die Geschichte und die Verbrechen des Polizeibataillons nach Aktenlage rekonstruieren und im Jahr 2009 in einer Ausstellung im Stadtmuseum Jena präsentieren. Wesentliche Teile davon werden seit Ende 2018 auf Initiative des damaligen Leiters der Einrichtung in der Bildungseinrichtung der Thüringer Polizei als Dauerausstellung im Rahmen der Ausbildung von Beamten gezeigt.
Literaturhinweise
Frank Döbert: "Vorläufig ist alles noch harmlos". Das Jenaer Polizeibataillon 311 im 2. Weltkrieg – Eine Spurensuche. In: Polizei und Geschichte (Ausgabe 2/2010)
Stefan Klemp: Nicht ermittelt. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. (2005)
Christopher K. Browning: Ganz gewöhnliche Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die "Endlösung" in Polen. (Erweiterte Neuausgabe 2017)
Massimo Arico: Ordnungspolizei. Ideological war and Genocide on the East front from 1941-1942 (2012)
Andreas Weigelt u.a: Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944-1947) (2015)
BStU MfS, AK 5235/73
BA Ludwigsburg, B162/AR-Z 70/73
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Beteiligt, verstrickt - verantwortlich ? | 24. Januar 2021 | 22:20 Uhr