Drittes Reich, Bundesrepublik, DDR Kriegsdienstverweigerung in Deutschland
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Das Recht auf Wehr- und Kriegsdienstverweigerung ist heute in Deutschland ein Grundrecht. Das war nicht immer so. Im Dritten Reich wurden Kriegsdienstverweigerer als "Wehrkraftzersetzer" hingerichtet. In der DDR drohte Wehrdienstverweigerern das Gefängnis. Ein Überblick über das Thema Wehr- und Kriegsdienstverweigerung im Dritten Reich, Bundesrepublik und DDR.
Am 9. August 1941 stirbt im Zuchthaus Brandenburg-Görden der 39-jährige Kriegsdienstverweigerer Ernst Volkmann durch das Fallbeil. Der Katholik aus dem vorarlbergischen Bregenz hatte nach seiner Einberufung zur Wehrmacht den Eid auf Adolf Hitler verweigert und vor dem Reichskriegsgericht den Fahneneid auf den "Führer" als "Vergewaltigung seiner sittlichen Freiheit" bezeichnet. Am gleichen Tag werden in Brandenburg zwei weitere religiös motivierte Kriegsdienstverweigerer, ein Zeuge Jehovas und ein Reformadventist, enthauptet.
"Zersetzung der Wehrkraft"
Der Schuldspruch der Reichskriegsrichter lautet in allen drei Fällen auf "Wehrkraftzersetzung", ein Straftatbestand den die Nationalsozialisten erst 1938 mit der sogenannten Kriegssonderstrafrechtsverordnung geschaffen haben. Wer schuldig gesprochen wird, dem droht die Hinrichtung.
Neben zigtausend Menschen, denen das NS-Regime Defätismus oder Selbstverstümmlung vorwirft, werden im Laufe des Krieges auch etwa 8.000 Kriegsdienstverweigerer wegen "Zersetzung der Wehrkraft" verurteilt. Ein nicht geringer Teil von ihnen wird hingerichtet. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass allein in der Wehrmacht bis Mai 1945 mindestens 20.000 Todesurteile vollstreckt werden. Etwa 15.000 betreffen Deserteure, unter denen sich ebenfalls Kriegsdienstverweigerer befinden.
Grundrecht Kriegsdienstverweigerung
Vor allem die Erfahrungen mit dem rigiden Kriegsstrafrecht des NS-Regimes sorgen nach 1945 dafür, dass im Westen Deutschlands Wehr- und Kriegsdienstverweigerung einen bis dahin nicht gekannten Stellenwert einnehmen. So verankern die Länder Bayern, Berlin und Hessen 1946 das Recht auf Verweigerung des Militärdienstes in ihren Länderverfassungen. Nach heftigen Kontroversen wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 sogar im Grundgesetz verankert. Die Bundesrepublik ist damit der erste Staat der Welt, der ein solches Recht zum Grundrecht erklärt.
Ziviler Ersatzdienst im Westen
Nach der Schaffung der Bundeswehr 1955 legt das Wehrpflichtgesetz von 1956 fest, dass Kriegsdienstverweigerer statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Streitkräfte leisten sollen. Alternativ kann auch ein Dienst ohne Waffe in der Truppe beantragt werden. 1960 stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass auch die Ausbildung zum Kriegsdienst an der Waffe, also der Wehrdienst, verweigert werden darf.
Allerdings müssen bundesdeutsche Verweigerer zunächst fast drei Jahrzehnte lang eine Gewissensprüfung absolvieren. Erst nach einer Gesetzesänderung 1983 wird diese nur noch dann eingefordert, wenn Soldaten während oder nach ihrem Wehrdienst einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen. Dafür wird der Zivildienst in der Bundesrepublik im selben Jahr von 16 auf 20 Monate angehoben. Er dauert damit fünf Monate länger als der damalige Wehrdienst, der von ursprünglich 18 auf 15 Monate herabgesetzt wird.
Freiwilligkeit im Osten
Anders als in der Bundesrepublik gibt es in der DDR von Anfang an kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Allerdings existiert im Osten Deutschlands zunächst auch keine Wehrpflicht. In Abstimmung mit der sowjetischen Führungsmacht verzichtet die DDR-Regierung auch nach der offiziellen Gründung der Nationalen Volksarmee 1956 auf die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.
Die NVA bleibt zunächst eine reine Freiwilligenarmee. Allerdings können die vorgegebenen Verpflichtungszahlen zu keinem Zeitpunkt erreicht werden. Der Druck auf die jungen Männer im Osten Deutschlands, "freiwillig" in die bewaffneten Kräfte einzutreten, ist deshalb derart groß, das Tausende zur Flucht in den Westen animiert werden. Solange die Grenzen zur Bundesrepublik offen sind, scheut die SED deshalb auch den Schritt, die allgemeine Wehrpflicht, die in der Bundesrepublik ja bereits seit 1956 besteht, auch in der DDR einzuführen.
DDR-Wehrpflicht nach Mauerbau
Erst mit dem Mauerbau am 13. August 1961 ändern sich schlagartig die Bedingungen. Noch im selben Monat, am 28. August 1961, beschließt der Nationale Verteidigungsrat der DDR die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.
Einen Monat später verabschiedet die Volkskammer das Verteidigungsgesetz, dass die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit festschreibt. Am 24. Januar 1962 wird dann auch das Wehrpflichtgesetz der DDR durch die Volkskammer beschlossen. Es legt den Grundwehrdienst auf 18 Monate fest. Bewusst orientiert sich die DDR-Führung an der Wehrdienstzeit der Bundeswehr, die man auf keinen Fall überschreiten will.
Kein Dienst ohne Waffe
Anders als im Westen Deutschlands, ist es in der DDR jedoch zunächst nicht möglich, sich dem Dienst mit der Waffe legal zu entziehen. Ein Zivildienst wie in der Bundesrepublik ist nicht vorgesehen. Gegner des Wehrdienstes und der Wehrpflicht werden von der SED pauschal als "Feinde des Friedens und des Sozialismus" geächtet. Auf sie wird gesellschaftlicher Druck ausgeübt. Wer dennoch bei seiner Verweigerungshaltung bleibt, dem droht Gefängnis.
Als im April 1962 die ersten Wehrpflichtigen in die NVA-Kasernen einrücken, registriert das Verteidigungsministerium dennoch 231 Wehrdienst- und 60 Fahneneid-Verweigerer. In den kommenden Jahren steigen die Zahlen sogar noch an. 1964 werden 1.500 Wehrpflichtige registriert, die den Dienst mit der Waffe verweigern. Die meisten von ihnen geben Glaubensgründe an. Unter ihnen sind - wie schon im Dritten Reich - viele Zeugen Jehovas.
Haftstrafen für Verweigerer
Die DDR-Führung ist dennoch entschlossen, die Wehrpflicht mit allen Mitteln durchzusetzen. Verweigerer werden der Militärjustiz überantwortet. Bei einer Verurteilung drohen bis zu drei Jahre Haft. Meist liegen die Urteile etwas oberhalb der Grundwehrdienstzeit von 18 Monaten. Die Haftzeit wird allerdings nicht auf den zu leistenden Wehrdienst angerechnet, sodass nach der Entlassung aus dem Strafvollzug eine erneute Einberufung und im abermaligen Verweigerungsfall eine erneute Verurteilung zu einer weiteren Haftstrafe folgen kann.
Bausoldaten-Dienst wird eingeführt
Es sind vor allem die Kirchen in der DDR, die von Anfang an gegen diese Zustände protestieren. Sie fordern schon bald einen gesetzlichen Schutz für diejenigen, die wegen ihrer sittlichen oder Glaubenshaltung einen Wehrdienst mit der Waffe ablehnen. Auch sorgen die Inhaftierungen für Unruhe in der Bevölkerung und schaden dem Image der DDR nach Außen.
Zwei Jahre nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht reagiert die politische und militärische Führung der DDR. Am 7. September 1964 ordnet der Nationale Verteidigungsrat die Aufstellung von Baueinheiten an, in denen Wehrpflichtige einen Wehrdienst ohne Waffe ableisten können. Die DDR ist damit das einzige Land im Warschauer Vertrag, in dem so etwas möglich ist. Einen wirklichen Zivildienst wie im Westen gibt es aber bis 1989 trotzdem nicht.
Total- und Gelöbnisverweigerungen
Stattdessen sind die Bausoldaten, die durch ein Spatensymbol auf ihren Schulterklappen zu erkennen sind, reguläre Soldaten der NVA, die auch ein spezielles Gelöbnis ablegen müssen. Zudem werden sie zunächst überwiegend beim Bau militärischer Anlagen eingesetzt. Deshalb gibt es auch weiterhin junge Männer, die einen solchen Dienst ablehnen. Diese Totalverweigerer - auch hier in der Mehrzahl Zeugen Jehovas - müssen weiterhin mit Strafverfolgung rechnen. Obendrein wird nicht jeder, der zu einem waffenlosen Dienst in der NVA bereit ist, auch in eine Baueinheit gezogen. Letztlich entscheiden darüber die Wehrersatzorgane. Wer sich gegen seinen Willen dann in einer regulären bewaffneten Einheit wiederfindet und dort den Dienst verweigert, wird ebenfalls durch die Militärjustiz verfolgt. Das gleiche gilt auch für jene Bausoldaten, die das von ihnen abverlangte Gelöbnis verweigern.
6.000 Verweigerer bis 1989
Vor diesem Hintergrund bleibt das Problem der Totalverweigerer für die DDR auch weiterhin bestehen. Insgesamt sind es etwa 6.000 Wehrpflichtige, die zwischen 1962 und 1989 einen Dienst in der NVA komplett verweigern. Mehr als die Hälfte von ihnen wird dafür verurteilt. Auch hier sind die meisten Zeugen Jehovas.
Ab 1985 kommen vermehrt auch jene hinzu, die durch eine Totalverweigerung und Inhaftierung eine Ausreise in den Westen erzwingen wollen. Im gleichen Jahr geht die Zahl der Verurteilungen dennoch deutlich zurück. Die politische Führung um Staats- und Parteichef Erich Honecker sieht sich veranlasst, zwischen den Interessen der militärischen Führung, welche die Wehrpflicht konsequent durchzusetzen will, und den Protesten der Kirchen zu vermitteln. Das Ergebnis ist für alle Seiten unbefriedigend. So wird zwar weiterhin gegen Totalverweigerer vorgegangen, aber nur ein Teil wird zu Haftstrafen verurteilt, während ein anderer Teil straffrei ausgeht. Erst nach der friedlichen Revolution 1989 endet die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern in der DDR.
Das Ende der Wehrpflicht
Nach der Deutschen Wiedervereinigung 1990 wird der Wehrdienst in der vergrößerten Bundesrepublik zunächst auf zwölf, dann auf zehn und zuletzt auf neun Monate herabgesetzt. Auch die Länge des Zivildienstes wird immer weiter herunter gefahren, bevor dieser ab 2005 ebenfalls nur noch neun Monate beträgt. 2011 wird die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland ganz ausgesetzt.