Lörrach, Menschenmenge während einer Versteigerung jüdischen Eigentums uf der Straße
Auch in Lörrach zieht die Versteigerung privater Besitztümer von Juden viele Menschen an. Bildrechte: Stadtarchiv Lörrach

MDR-Zeitreise-Schwerpunkt: Die Versteigerer - Profiteure des Holocaust Wie sich der NS-Staat jüdisches Eigentum einverleibte

24. Juni 2022, 10:17 Uhr

Jüdische Mitbürger wurden im Dritten Reich gezielt gedemütigt, verfolgt und ermordet. Ihre Vermögen, Grundstücke, Unternehmen und sogar ihren Hausrat verleibte sich der NS-Staat ein. Für die sogenannte Verwertung der privaten Besitztümer beauftragten die Finanzbehörden in der Regel Versteigerer, deren Geschäfte in dieser Zeit einen ungeahnten Aufschwung erlebten. Doch es profitierten auch weite Kreise der deutschen Bevölkerung. Das Kalkül der Nazis: Wer enteigneten jüdischen Besitz kauft, macht sich mitschuldig.

Die Finanzbehörden des NS-Staates zählen im Dritten Reich zu den wichtigsten Akteuren im komplexen Prozess der Ausplünderung der deutschen Juden. Im Rahmen der staatlichen Gesetzgebung werden immer wieder schärfere Repressionen verordnet, die der schrittweisen Enteignung einen legalen Anschein geben sollen. Als ausführender Arm des NS-Regimes organisieren Finanzbeamte bei regionalen und lokalen Unterbehörden des Reichsfinanzministeriums bzw. der Reichsfinanzkasse den Einzug von Vermögenswerten und die Verwertung von Sachwerten.

Zu den Maßnahmen der schrittweisen und systematischen Enteignung gehören höhere steuerliche Abzüge, die Sperrung und Beschlagnahmung von Auswanderergut- und vermögen, Sonderabgaben wie die Judenvermögensabgabe und schließlich die Beschlagnahmung und Verwertung des Eigentums der Deportationsopfer ("Aktion 3").

Wer flüchten will, muss zahlen

Eine der wichtigsten Einnahmequellen des NS-Staats bildet von Anfang an die Reichsfluchtsteuer. Die bereits 1931 eingeführte Reichsfluchtsteuer wird ab 1934 gezielt gegen jüdische Emigranten eingesetzt, indem der Freibetrag von 200.000 RM auf 50.000 RM gesenkt wird. Vom übrigen Vermögen müssen auswandernde Juden 25 Prozent abgeben. Der Rest kann nur unter starken Verlusten in ausländische Währung umgetauscht werden.

100 Prozent Aufschlag

Die Mitnahme von privaten Gegenständen bei der Ausreise wird immer weiter erschwert. Obwohl viele Familien ihren Hausrat in sogenannte Lifts (Umzugscontainer) verpacken und in Häfen wie Hamburg oder Bremerhaven bringen können, sind sie bei der Ausreise bereits so stark finanziell belastet, dass sie sich eine Nachsendung nicht mehr leisten können. Im April/Mai 1938 wird die Mitnahme des Hausrats genehmigungspflichtig. Für alle Gegenstände, die nach 1933 gekauft wurden, wird ein Aufschlag von 100 Prozent fällig. Dadurch kauft man den entsprechenden Gegenstand ein weiteres Mal. Immer mehr Auswanderer wollen oder können diese zusätzlichen Kosten nicht mehr aufbringen, wodurch zahlreiche Lifts in den Häfen zurückbleiben und vom zuständigen Zollamt beschlagnahmt werden. Ab Februar 1941 werden diese Lifts geöffnet und deren Inhalt versteigert.

Die ersten Versteigerungen

Vor allem in Folge der Novemberpogrome um den 9. November 1938 wird eine Reihe von Verordnungen erlassen, um den jüdischen Bürgern jegliche Existenzgrundlage zu nehmen. Sie müssen - sofern vorhanden - ihre Gewerbebetriebe veräußern, ihren Grundbesitz verkaufen und sämtliche Wertpapiere bei einer Bank hinterlegen. Hinzu kommt als sogenannte "Sühneleistung" für die Novemberpogrome eine willkürliche Sonderabgabe von insgesamt rund 1,1 Milliarden RM, die die Finanzbehörden einziehen. Jüdische Bürger, die noch ein Vermögen von über 5.000 RM besitzen, müssen ein Fünftel davon abführen.

Da Geldverdienen immer schwieriger wird, sind die deutschen Juden gezwungen, von Erspartem zu leben oder ihren Privatbesitz zu veräußern. Viele Juden wenden sich in der Not an Versteigerungshäuser, um aus ihrem verbliebenen Privatbesitz noch Geld zu machen. In Leipzig verdient auch das Versteigerungshaus Hans Klemm mit "Judenauktionen" viel Geld. Während sich die Repressionen gegen jüdische Mitbürger verschärfen, steigen die Erlöse von Klemm um ein Vielfaches.

Eine neue Dimension der Verwertung: "Judenauktionen"

Eine ganz neue Dimension bekommen diese sogenannten "Judenauktionen" mit Kriegsausbruch und den Massendeportationen ab 1941. Die Enteignung der in die Vernichtungslager Deportierten wird als "Aktion 3" bezeichnet. Hierbei nimmt der NS-Staat über die restlichen Vermögenswerte schätzungsweise 778 Millionen RM ein. Allein die nun "öffentlichen Versteigerungen" von Hausrat, Kleidung und Geschirr bringen nach Hochrechnungen aus den Versteigerungsprotokollen etwa 300 Millionen RM ein.

Möbel, Bettwäsche, Kleidung, Spielzeug: Jüdischer Besitz unterm Hammer

Überall im Deutschen Reich, in jeder Stadt und jedem Dorf, in dem Juden gelebt haben, kommen deren Habseligkeiten unter den Hammer – meist unmittelbar nach deren Deportation und genau dokumentiert. Die Versteigerer protokollieren akribisch jeden Verkauf ehemals jüdischen Eigentums zwischen 1933 und 1944. In unzähligen Listen sind die von den ausreisenden und deportierten Juden zurückgelassenen Gegenstände erfasst: Betten und Schränke, Tische und Stühle, Bettwäsche, Kleidung, Musikinstrumente und Spielzeug – und der jeweilige Preis.

Spediteure, Lagerverwalter, Vermieter: Es profitieren viele

Der Ablauf ist fast immer gleich: Nachdem die Bewohner ihre Wohnung verlassen haben, übergibt die Gestapo den Schlüssel an die Finanzbeamten. Teilweise wird bereits zu diesem Zeitpunkt angemeldet, welche Einrichtungsgegenstände NS-Behörden zu Gute kommen können. So gehen Schränke und Schreibtische an Verwaltungsbehörden, Bücher an Bibliotheken und Haushaltswaren an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Die übrigen Gegenstände werden in der Regel vom Versteigerer geschätzt und dann aus der Wohnung oder aus einem Versteigerungslokal versteigert.

Als Auftraggeber fungieren die Geheime Staatspolizei oder die Oberfinanzdirektion, die das Geld zugunsten der Reichskasse einziehen. Daneben profitieren auch Spediteure, Lagerverwalter und Vermieter. Jeder Handgriff, jeder Gegenstand, jeder Käufer aber auch Mietkosten, Gebühren und die Abführung an die Reichsfinanzkasse wird in Versteigerungsprotokollen penibel dokumentiert – auch die Provision von meist zehn Prozent des Erlöses für die Versteigerer.

Schnäppchenjagd auf "Judensachen"

Unzählige Zeitungsannoncen künden damals von dem makabren Geschäft. Aus ihnen wird deutlich, dass diese Vorgänge nicht im Geheimen stattfanden, sondern als lokale Großereignisse an zentralen Orten. Oft werben die Anzeigen offen mit "Judensachen" oder Möbeln aus "nichtarischem Besitz" – die festgesetzten Preise liegen weit unter dem tatsächlichen Wert und sollen in der Regel eingehalten werden. Es kommt zu regelrechten Schnäppchenjagden. Jeder der Käufer musste wissen, dass die ehemaligen Besitzer nicht zurückkommen werden. Häufig werden laut Anzeige bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorzugt, zum Beispiel Jungverheiratete oder Bombengeschädigte.

Die M-Aktion: Möbel für ausgebombte Deutsche

Die Zerstörung deutscher Städte im Bombenkrieg steht in enger Verbindung mit den Deportationen und den öffentlichen Versteigerungen. Mit dem zunehmend zerstörten Wohnraum steigt der Bedarf an Einrichtungsgegenständen nochmals an. Anfangs liegen vor allem die Städte im Norden und Westen des Deutschen Reichs im Zielgebiet der alliierten Bomber – einer der Gründe, weshalb die Deportationen und die "Freimachung" von jüdischen Wohnungen im Westen ihren Anfang nehmen. 

Die Möbel der deutschen Juden reichen allerdings bald nicht mehr aus. Ab 1942, als die Bombenangriffe auf Deutschland massiv ausgeweitet werden, beginnt die Plünderung der Wohnungen im besetzten Westeuropa. Die sogenannte M-Aktion (Möbel-Aktion) startet. Für die Umsetzung wird in Paris eigens eine "Dienststelle Westen" unter Führung des "Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg" gegründet. Aus etwa 70.000 Wohnungen in Frankreich und den Benelux-Staaten werden bis 1944 insgesamt eine Million Kubikmeter Möbel über Sammellager ins Deutsche Reich transportiert. Zielorte dieser teilweise sogenannten "Hollandmöbel" sind vor allem schwer getroffene Städte im Norden und Westen des Deutschen Reichs. Die Möbellieferungen werden in der Regel billig an Bombengeschädigte verkauft. 

Wie man aus "Volksgenossen" Komplizen macht

Die Versteigerung von zurückgelassenen privaten Sachen, Möbeln und Kleidung aus den Wohnungen der ehemals jüdischen Bewohner steht am Ende der Enteignungsmaßnahmen - verbunden mit der Flucht oder dem Tod eines Menschen. Das massenhafte Angebot zu Billigpreisen hatte eine sozialpolitische und eine legitimierende Funktion. Zum einen sollten bedürftige "Volksgenossen" materiell unterstützt werden, zum anderen beteiligte das NS-Regime die Bevölkerung an der Enteignung der ehemaligen jüdischen Mitbürger und legitimierte dadurch indirekt ihr grausames Handeln.


 Über dieses Thema berichtet der MDR auch in der Fernsehdokumentation "Die Versteigerer": TV | 13.11.2018 | 22:05 Uhr

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