Jüdischer Widerstand 19. April 1943: Aufstand im Warschauer Ghetto
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19. April 2023, 05:00 Uhr
Am Morgen des 19. April 1943 marschieren deutsche Truppen in das jüdische Ghetto in Warschau. Sie sollen das Areal räumen und die jüdischen Bewohner deportieren. Doch einige von ihnen wehren sich aller Aussichtslosigkeit zum Trotz. Einer davon ist Jakob Garfinkel. Er, einer der ehemaligen Ghettokämpfer, erinnerte sich später:
Niemand machte sich über den Ausgang des Kampfes irgendwelche Illusionen. Es ging nicht um die Wahl des Lebens, für das es keine Hoffnung mehr gab, sondern um die Art des Todes, den das Ghetto sterben wollte.
Das Viertel war umschlossen von einer drei Meter hohen Mauer und umstellt von der SS. Hier, im so genannten "Jüdischen Wohnbezirk", lebten auf nur vier Quadratkilometern zeitweise bis zu 500.000 Menschen. Wohnungen wurden mit mehreren Familien belegt. Bis zu acht Personen wurden in einem Zimmer zusammengepfercht. Die hygienischen Zustände waren dementsprechend katastrophal, der Gesundheitszustand der Eingesperrten schlecht. Allgegenwärtig bei den Bewohnern war der Hunger, da nicht genügend Lebensmittel ins Ghetto gebracht wurden.
Antisemitismus: "... mit Juden kann man machen, was man will."
Das Leid der Menschen konnte auch der so genannte Judenrat nicht lindern, denn auch er ist als Verwaltung des Ghettos den deutschen Besatzern ohnmächtig ausgeliefert. Auf den Straßen kam es täglich zu gewaltsamen Übergriffen, die auch der Übersetzer des Judenrats, Marcel Reich-Ranicki, hautnah miterlebte. In einem Interview erinnerte er sich später so:
Es gab in Warschau natürlich Tausende, Zehntausende deutscher Soldaten. Diese haben sehr bald festgestellt, dass sie mit Juden machen können, was sie wollen und dass sie zu keiner Verantwortung gezogen werden. Juden wurden unentwegt auf der Straße angehalten, überfallen, mitgenommen zu Arbeiten – sie waren total vogelfrei.
Der Aufstand im Warschauer Ghetto wird vorbereitet
Im Sommer 1942 begannen die Deportationen aus dem Ghetto in die Vernichtungslager im Osten. Doch im Angesicht des Untergangs formierte sich Widerstand. Zum Anführer der Ghettokämpfer wird der erst 24-jährige Mordechaj Anielewicz. Monatelang bereiteten er und seine Mitstreiter den Aufstand vor und schmuggelten Waffen in das Ghetto. Als sie den Deutschen schließlich entgegentraten, war ihre Lage dennoch hoffnungslos. Nach vier Wochen wurde ihr Aufstand im Frühjahr 1943 niedergeschlagen. Anielewicz kam wie die meisten seiner Kameraden ums Leben. Doch sein Abschiedsbrief zeugt von ungebrochenem Kampfgeist.
Der Traum meines Lebens ist jedenfalls schon in Erfüllung gegangen. Denn das Ghetto verteidigt sich – wir Juden leisten Widerstand. Das ist Tatsache geworden. Und ich kann bezeugen, wie heldenhaft Juden kämpfen.
Nach dem Aufstand machten die Deutschen das Ghetto dem Erdboden gleich. Alle Spuren des jüdischen Lebens in Warschau sollten ausgelöscht werden. Doch der Aufstand sendete ein Signal für die Zukunft des jüdischen Volkes. Einige der Ghettokämpfer konnten gegen Endes Aufstands durch die Kanalisation entkommen und überlebten den Zweiten Weltkrieg.
Der Warschauer Ghettoaufstand ist bis heute ein wichtiges Symbol der jüdischen Selbstbehauptung gegen die Nationalsozialisten. Die Ghettokämpfer werden als Helden verehrt – für ihren Mut im Kampf gegen die Unmenschlichkeit. In Israel erinnert bis heute ein Denkmal an Mordechaj Anielewicz.
Willy Brandt und der Kniefall von Warschau
Am 7. Dezember 1970 legte Bundeskanzler Willy Brandt einen Kranz am Mahnmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto nieder. Er ließ sich ungestützt auf die Knie fallen, den Kopf nach unten geneigt und verharrte in dieser Haltung eine halbe Minute. Er sagte später zu dieser ungeplanten Geste: "Unter der Last der jüngsten Geschichte tat ich, was Menschen tun, wenn die Worte versagen. So gedachte ich Millionen Ermordeter."
Dieser Artikel wurde erstmals 2016 veröffentlicht.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | artour | 04. Juni 2020 | 22:10 Uhr