Symbolbild Agrardieselvergütung
Bildrechte: MDR Wissen mit Hilfe von KI (ChatGPT, Photoshop)

Bauernproteste Wie wichtig sind Agrardiesel-Vergünstigungen für die Landwirtschaft?

09. Januar 2024, 17:19 Uhr

Droht ohne Agrardieselvergütung die Pleite? In einigen, eher wenigen Betrieben möglicherweise ja. Aber eigentlich muss es um ganz andere Dinge gehen in der Landwirtschaftspolitik.

Noch nie war das Wort Agrardiesel so in aller Munde wie in den vergangenen Wochen. Eine staatliche Vergünstigung für landwirtschaftliche Betriebe, die erst im Hauruck-Verfahren gestrichen und dann schleichend zurückgenommen wurde. (Der Ausgang dieser Geschichte scheint angesichts der starken Proteste noch offen.) Wenn man aber Zahlen, Daten und kluge Köpfe aus der Wissenschaft zurate zieht, wird deutlich, dass die Agrardieselvergütung, wie sie offiziell heißt, nur ein relativ kleines Thema ist bei der großen Frage, wie die Landwirtschaft in Deutschland in Zukunft aussehen und funktionieren soll.

Ist ein Wegfall der Agrardieselvergütung existenzgefährdend?

Die Landwirtschaft ist so vielfältig, dass ein pauschales Urteil über die ganze Branche weder möglich noch sinnvoll ist. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) macht aber jährliche Stichproben bei mehreren Tausend repräsentativ ausgewählten Betrieben, um aussagefähige Statistiken zu erhalten. Die neuesten "fertigen" Zahlen stammen derzeit noch vom Wirtschaftsjahr 2021/22.

Wenn Sie im folgenden Diagramm die gelbe Schaltfläche benutzen, können Sie einzelne Betriebsformen auswählen, wo dann deutlich wird, dass es Branchen wie Obstbau oder Schweineaufzucht und -mast gibt, in denen bei einem Drittel der Betriebe durchschnittlich Verlust statt Gewinn gemacht wurde. Die Agrardieselvergütung ist aber unabhängig von Verlust oder Gewinn überall ähnlich hoch, was den recht logischen Schluss untermauert, dass Betriebe, die wirtschaftlich gut dastehen, ohne Agrardieselvergütung verhältnismäßig wenig verlieren, während Betriebe, die kaum oder gar keinen Gewinn machen, dann erst recht zu kämpfen haben.

"Sollte diese Kürzung für einzelne Betriebe existenzgefährdend sein, dann lag diese Existenzgefährdung bereits vor der Kürzung latent vor", sagt Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock. Die Kürzungen seien finanziell schon merkbar, "aber für einen durchschnittlichen Betrieb nicht existenzgefährdend. Der Umfang der Agrardieselbeihilfe liegt bei einem durchschnittlichen Betrieb zwischen 2.600 und 2.900 Euro", so Lakner.

Wer ist am stärksten gefährdet?

Wer aber sind nun diese Betriebe, denen es ohnehin schon nicht gut geht? Sind das vor allem die kleinen? Auch da ist eine pauschale Antwort natürlich nicht möglich, zumal es beim BMEL keine Zahlen gibt, die bei privat geführten Betrieben die Größe des Betriebs (Anzahl der Arbeitskräfte) mit Gewinn, Verlust oder Agrardieselvergütung in Verbindung bringen.

Für etwa die Hälfte der Landwirtschaft im Osten Deutschlands gibt es solche Zahlen allerdings, denn so groß ist in den neueren Bundesländern der Anteil der Betriebe, die nicht privat geführt sind, sondern als GmbH, Genossenschaft oder Ähnliches arbeiten. Und da wird der vermutete Trend überdeutlich: Je kleiner der Betrieb, desto schwieriger ist es finanziell (jedenfalls im Durchschnitt) und desto abhängiger ist man von Subventionen wie beim Agrardiesel.

Große Betriebe werden zwar in absoluten Zahlen höher belastet, sagt Beate Richter, wissenschaftliche Referentin für Agrarpolitik vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, "sie wirtschaften aber heute schon meist sehr effizient, sodass der Kostenanstieg im Verhältnis der Gesamtkosten weniger hoch ist. Kleinere Betriebe haben in der Regel kleinere Gewinnspannen und können zusätzliche Aufwendungen kaum abpuffern."

Die deutsche Landwirtschaft insgesamt ist finanziell eigentlich im Aufwind

Hinter der deutschen Landwirtschaft liegen finanziell recht gute Jahre. Der durchschnittliche Gewinn je Hektar Fläche war 2021/22 so hoch wie in den vergangenen 20 Jahren nicht.

Auch wenn man nur die Betriebe im Osten betrachtet, die im Volksmund immer noch gern LPG genannt werden, also GmbHs, Genossenschaften und so weiter, zeigt der Trend nach oben, wenn auch auf niedrigerem Niveau.

Die Prognosen für 2022/23 sind deutschlandweit sogar noch besser, aber das heißt nicht, dass es automatisch so weitergeht. "Die Gewinne sind gerade aktuell in den Jahren 2022 und 2023 von den hohen Weltmarktpreisen für Agrarprodukte und Vorleistungen geprägt", erklärt der Rostocker Agrarökonom Sebastian Lakner. "Beides stand in den vergangenen zwei Wirtschaftsjahren in einem günstigen Verhältnis. Allerdings ist offen, inwieweit sich dieser Trend im Jahr 2024 fortsetzt, da die Weltmarktpreise inzwischen wieder gefallen sind."

Werte wie Tierwohl und Umweltschutz: Divergenz zwischen Stadt und Land?

Warum aber die Proteste in einer Zeit, in der es der Landwirtschaft gerade vergleichsweise gut geht? Die gefühlte Lage sei schon vor den Protesten schlimmer gewesen, als die tatsächlich zu beobachtende, sagt Bernhard Brümmer, Professor für Landwirtschaftliche Marktlehre an der Georg-August-Universität Göttingen. "Dieses Paradox lässt sich zu einem gewissen Anteil durch die stetig ansteigende Regulierungsdichte in der Agrarpolitik erklären. In dieser schränken vor allem gesellschaftliche Anforderungen an die Landwirtschaft – jenseits ihrer selbst erklärten Kernaufgabe Lebensmittelproduktion – die Entscheidungsspielräume der Landwirte ein, während zugleich der Bürokratieaufwand stark anwächst."

Gleichzeitig würden, so Brümmer, gesellschaftliche Anforderungen wie Tierwohl, Vermeidung von Umweltschäden und Auflagen bei den Betriebsmitteln als Ausdruck einer Divergenz zwischen Stadt und Land wahrgenommen, die sich in der Lebenserfahrung in vielen ländlichen Regionen nicht unbedingt wiederfinden. Hinzu kämen Zukunftssorgen wegen Klimawandel, Fachkräftemangel und bevorstehenden Generationswechseln in den Betrieben.

Laut Agrarstrukturerhebung von 2020 würden 47 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe von über 55 Jahre alten Menschen geleitet, sagt Brümmer. "Bei weniger als der Hälfte der Betriebe ist die Hofnachfolge gesichert. Viele Betriebe blicken demnach mit Sorgen in die Zukunft. Die potenziellen Hofnachfolger fragen sich, ob die Landwirtschaft eine ausreichende Zukunftsperspektive bietet – auch vor dem Hintergrund, dass die Übernahme eines Hofes in der Regel mit erheblichen Investitionen verbunden ist."

Hohe Subventionen nötig: Kleine Betriebe können ohne Zuschüsse aktuell nicht überleben

Landwirtschaft in Deutschland erscheint ohne Subventionen kaum möglich. Diese machen im Durchschnitt fast die Hälfte des landwirtschaftlichen Einkommens in den Betrieben aus. Bei Betrieben, wo die Landwirtschaft nur als Klein- oder Nebenerwerb ausgeübt wird, sind es durchschnittlich sogar mehr als 97 Prozent Subventionsanteil.

Von diesen Subventionen ist die Agrardieselvergütung aber eben nur ein recht kleiner Teil. Dazu kommen in verschiedenem Maße EU-Direktzahlungen, Zins- und Investitionszuschüsse, Ausgleichszulagen, Zahlungen aus Agrarumweltmaßnahmen und sonstige Zahlungen. Diese sind im folgenden Diagramm alle unter "andere Subventionen" zusammengefasst.

Wissenschaftler: Landwirtschaft muss aus Subventionsabhängigkeit heraus

So kann es nicht weitergehen, findet Alfons Balmann, Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in Halle. Es sei dringend erforderlich, die Landwirtschaft aus ihrer Subventionsabhängigkeit herauszuführen. "All diese Begünstigungen sorgen zum einen dafür, dass museumsartige Strukturen konserviert werden und zugleich ein teilweise extremer Wettbewerb um landwirtschaftliche Flächen herrscht, der die Entwicklung hin zu wettbewerbsfähigeren Betrieben hemmt. Zum anderen bedingen diese Begünstigungen, dass kaum Mittel für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft vorhanden sind."

Vielleicht bewirken die Proteste aber auch etwas, das sich viele Agrarwissenschaftler wünschen – nämlich, dass in der Politik mehr und langfristiger über Landwirtschaft nachgedacht, gesprochen und entschieden wird. Welche Ziele gibt es? Wie wollen wir sie erreichen? Welche Unterstützung ist dafür nötig und welche nicht?

Agrarökonomie-Professor Sebastian Lakner von der Uni Rostock formuliert es für die nahe Zukunft so: "Es wäre im Hinblick auf eine bessere Akzeptanz zu empfehlen, ein agrarpolitisches Konzept für den Rest der Legislaturperiode vorzulegen, das aufzeigt, was die wichtigsten agrarpolitischen Ziele und Projekte der Ampelregierung sind und wie sie finanziert werden sollen." Dies könne für mehr Verständnis und Planbarkeit in der Landwirtschaft sorgen und Perspektiven aufzeigen.

(rr/smc)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Sachsenspiegel | 10. Januar 2024 | 19:00 Uhr

404 Not Found

Not Found

The requested URL /api/v1/talk/includes/html/f1413221-1d09-4ab2-92fa-cbc6323b6d07 was not found on this server.