Eingang zum Universitätsklinikum Leipzig in der Liebigstraße
Das Universitätsklinikum Leipzig setzt in der Palliativversorgung auf Vernetzung Bildrechte: imago images/foto-leipzig.de

Assistierter Suizid Selbstbestimmt sterben - geht das überhaupt?

01. Oktober 2023, 11:11 Uhr

Der assistierte Suizid bleibt in Deutschland weiterhin ohne gesetzlichen Rahmen. Die Forderung nach einem selbstbestimmten Tod ist damit nicht verstummt. Aber wie selbstbestimmt kann Sterben überhaupt sein? Wie sieht ein gutes Lebensende aus? Über diese Fragen tauschten sich Experten während der 1. Leipziger Palliativtage am Universitätsklinikum (UKL) aus. Keiner hatte mit einer Antwort in zwei Sätzen gerechnet, sagt Sven Bercker, einer der Initiatoren.

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Die ersten Leipziger Palliativtage seien wertvoll und wichtig gewesen, lautet die Bilanz von Sven Bercker, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL). MDR WISSEN hat mit ihm über die Ergebnisse gesprochen.

Frage: Warum haben Sie eine Tagung zum Thema assistierter Suizid ausgerichtet?

Sven Bercker: Als wir die Veranstaltung vor gut einem Jahr geplant haben, hatten wir natürlich die Idee, dass wir dann für den assistierten Suizid eine gesetzliche Grundlage haben werden. Die Überlegung war, deshalb mit den verschiedenen Akteuren zu diskutieren: Wie füllen wir das, was der Bundestag beschlossen hat, jetzt mit Inhalten? Aber keine der beiden Gesetzesvorlagen war ja dann bestätigt worden. Daher standen wir vor der Frage: Wie leben wir damit, dass der assistierte Suizid entkriminalisiert wurde, wir aber eigentlich keinen Rahmen dafür haben? Wir werden zwar nicht täglich mit dem Wunsch danach konfrontiert, aber er wird doch immer mal an uns herangetragen.

Haben die Vorträge und Diskussionen während der Fachtagung am UKL geholfen, dafür einen Plan zu entwickeln?

Wie gesagt, wir haben nicht erwartet, die eine Lösung zu finden. Aber wir haben die Situation der Sterbehilfe in Deutschland noch einmal von drei Seiten beleuchten können. Giovanni Maio von der Universität Freiburg hat über die ethischen Aspekte gesprochen, er hat ja damals auch die Ärztekammer beraten. Paula Piechotta, Bundestagsabgeordnete aus Leipzig und selbst Medizinerin, erläuterte die politische Abwägung der Entscheidung im Juni. Ulrich Wedding, Palliativmediziner und Mitglied im Fachausschuss der Bundesärztekammer, hat die Fragen aus ärztlicher Sicht betrachtet. Seine Expertise ging damals in die Stellungnahme der Bundesärztekammer zu den beiden Gesetzentwürfen ein.

Was nehmen Sie davon in den Klinikalltag mit?

Im Zuge der Vorträge kamen Argumente für eine recht freie und für eine sehr restriktive Lösung auf den Tisch. Für uns war die Frage, welche ärztliche Haltung dazu sinnvoll ist. Die Ärzteschaft hat für sich klargestellt, dass der assistierte Suizid keine originär ärztliche Aufgabe ist, sondern dass es immer eine Gewissensentscheidung des Einzelnen ist. Welches Fazit da ein jeder für sich aus dieser Veranstaltung mitgenommen hat, kann ich so nicht sagen. Das kann ich nur für mich selbst beantworten.

Also kein klares Pro und kein klares Contra?

Das ist einfach ein Prozess und ich denke, meine Kollegen mit palliativmedizinischem Hintergrund haben sich schon längst mit der Frage auseinandergesetzt. Wir konnten mit der Tagung etwas zur Abwägung beitragen, indem wir die Diskussion angeregt, Argumente verdichtet haben. Aber es ist und bleibt eine Einzelfallentscheidung und das ist etwas zutiefst Menschliches, dass nicht allein für die Palliativmedizin zutrifft. Natürlich gibt es auch auf unserem Fachgebiet Dinge, die wiederholen sich ganz häufig und die sind Routine. Aber im Gegensatz zum Beispiel zur operativen Medizin, wo genau eine Operation die eine Antwort auf Gallensteine ist, schauen wir differenzierter, was dem Patienten gut tun würde in seiner Situation.

In Wirklichkeit steckt bei vielen hinter dem Wunsch zu Sterben eine große Verzweiflung. Und da müssen wir uns die Frage stellen: Können wir vielleicht erst diese Verzweiflung nehmen?

Sven Bercker, Anästhesist und Intensivmediziner

Aus Ihrer Erfahrung betrachtet: Geht selbstbestimmtes Sterben überhaupt?

Was aus meiner Sicht in der ganzen Diskussion zu Recht kritisiert wird, ist, dass das selbstbestimmte Sterben als Teil der Selbstverwirklichung teilweise romantisiert wird: Als Geschichte des weisen alten Mannes, der am Ende seines Lebens eine Liste mit Pros und Cons führt und dann vor seinen Kindern steht und entscheidet: Das ist jetzt der Moment. Das gibt es bestimmt, es kann auch eine weise alte Frau sein. Aber das ist nur ein ganz kleiner Teil der Wahrheit und der Fälle.

Porträt Prof. Sven Bercker
Sven Bercker, stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie am Universitätsklinikum Leipzig. Bildrechte: Stefan Straube / UKL

Denn in Wirklichkeit steckt bei vielen hinter dem Wunsch zu Sterben eine große Verzweiflung. Und da müssen wir uns die Frage stellen: Können wir vielleicht erst diese Verzweiflung nehmen? Das ist das, was wir uns als Palliativmediziner fragen. Wenn jemand an den Punkt kommt, sterben zu wollen, weil er die Schmerzen nicht mehr aushält, müssen wir schauen: Haben wir denn alles getan, um diese Schmerzen so gut zu behandeln wie es geht? Also wieder prüfen, was tut dem Patienten gut in seiner Situation. Wir müssen uns klarmachen, dass darüber hinaus nur ein ganz kleiner Teil von Menschen bleibt, die sich den Tod wirklich wünschen. Das müssen sie in den Ländern, in denen es entsprechende Gesetze dafür gibt, auch nachweisen. Und dann kann ich mir in wenigen Fällen vorstellen, dass man es als Arzt aushalten kann zu sagen: Ich kann dabei Hilfe leisten.

Ist der eigene Tod auch für Sie und Ihre Kollegen ein Thema? Sprechen Sie darüber?

Das kommt vor, bestimmt aber zum Glück nicht den Alltag. Natürlich fühlen wir uns manchmal persönlich betroffen und wir fragen uns natürlich zuweilen, was wir an Stelle eines Patienten wollen würden. Ich glaube, dass das eine hilfreiche und wichtige Überlegung sein kann, aber natürlich muss ich mir dabei immer klar machen, dass die Patienten durchaus davon abweichende Vorstellungen, Werte und Haltungen haben dürfen. Und darüber sprechen wir durchaus, wenn Entscheidungen am Ende des Lebens anstehen.

Die Idee, dass man alles bis zuletzt selbst steuern kann, ist oft eine Illusion. Die meisten haben am Ende ihres Lebens doch eine Phase, in der sie ausgeliefert sind.

Sven Bercker

Entscheidungen am Lebensende: Diese versuchen inzwischen viele, durch eine Patientenverfügung von vornherein zu regeln. Welchen Stellenwert hat sie für Sie?

Es ist richtig und gut, dass Menschen die Möglichkeit haben, etwas im Voraus zu verfügen. Aber wenn ich mich bei guter Gesundheit im Alter von 45 Jahren hinsetze und genau festlegen soll, wie mein Sterbeprozess sein wird - wie wahrscheinlich ist es, dass es dann genau so kommen wird? Die Idee, dass man alles bis zuletzt selbst steuern kann, ist oft eine Illusion. Die meisten haben am Ende ihres Lebens doch eine Phase, in der sie ausgeliefert sind. Wo sie von der Hilfe anderer abhängig sind und von der Barmherzigkeit, ein etwas aus der Mode gekommenes, aber treffendes Wort. Man kann nicht jede Abhängigkeit von anderen aushebeln, sei es auf der Palliativstation, auf der Intensivstation oder wenn der Notarzt kommen muss. Dann sind Sie zuweilen abhängig davon, dass andere eine gute Entscheidung für Sie treffen.

Es war Ihnen wichtig, mit den 1. Leipziger Palliativtagen auch zum Austausch einzuladen. Warum ist das so wichtig?

Palliativmedizin funktioniert - und das sage ich jetzt mal ganz persönlich – etwas anders als andere Bereiche der Medizin. Dort haben wir verschiedene Organisationsformen, die nicht immer gut kooperieren: es gibt niedergelassene Ärzte, private Krankenhäuser, Kliniken in öffentlicher Hand. Da gibt es unterschiedliche Interessen und es ist erfahrungsgemäß schwierig, die Grenzen zwischen diesen sogenannten Sektoren zu überwinden. Und das hat man zum Glück bei der Palliativmedizin etwas anders gemacht.

Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) darf anders agieren und abrechnen als ein normaler niedergelassener Arzt und die Menschen die dort arbeiten haben aus meiner Wahrnehmung eine besonders hohe intrinsische Motivation – und vielleicht auch einen überdurchschnittlichen Hang zum Altruismus. Ich denke, dadurch ist die Bereitschaft zur Vernetzung größer und die ist auch notwendig: Es gibt in Leipzig ambulante Palliativteams, mehrere Stationen in den Kliniken, Hospize und einen ambulanten Hospizdienst und die Akteure kennen sich alle. Die haben alle einen kurzen Draht zueinander, geben sich Patienten weiter, überlegen gemeinsam, welche die beste Versorgungsmöglichkeit für den einzelnen Patienten ist, auch wenn sie zwischen stationärer und ambulanter Betreuung wechseln. Das ist hier in Leipzig und in anderen Städten sicher ebenso besonders gut gelungen, auch im Vergleich zu anderen Bereichen der medizinischen Versorgung, so sehe ich das persönlich. Und so sind wir fest entschlossen, zu weiteren Leipziger Palliativtagen einzuladen.

Links/Studien

Referent Ullrich Wedding war Mitautor der Stellungnahme der Bundesärztekammer zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen.
Die Leipziger Bundestagsabgeordnete und Medizinerin Paula Piechotta postet diese Gedanken und Argumente zum assistierten Suizid.
Und so äußerte sich der Deutsche Ethikrat zur Selbsttötung.

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