Raffinierie-Türme bei Dämmerung mit Leitungstürmen und Türmen mit Abbrenn-Flamme, zwei dicken Schornsteinen und vielen Lichtern, einige mit Sternoptik.
So schön kann Chemiepark sein, hier in Leuna. Die industrielle Tradition der Region und bereits vorhandene Wasserstoffinfrastruktur schafft gute Voraussetzungen für die Zukunft. Bildrechte: imago/agefotostock

Energiewende Wann kommt der Wasserstoff? (Und wenn ja, wie viele?)

07. Oktober 2022, 19:15 Uhr

Wasserstoff zählt zu den technischen Trendvokabeln unserer Zeit – seit der Energiekrise umso mehr. Nur: Welche Voraussetzungen braucht es, damit aus der Zukunft Gegenwart wird? Wasserstofftankstellen schon mal nicht. Es hängt viel mehr am Willen und Pioniergeist der regionalen Politik und Wirtschaft. Mitteldeutschland hat da schon mal ganze gute Karten.

Versprechen an die Zukunft wurden bekanntlich schon viele gemacht – irgendwann wurden uns sogar mal fliegende Autos in Hülle und Fülle prophezeit. (Immerhin, es geht ja in die Richtung.) Manche Zukunftsversprechen sind aber eher kurzfristiger Natur. So wie jetzt, wo es kein Vorbeihuschen mehr gibt, in den krisengeplagten, aber noch jungen 2020ern. Zwar hatte die Brennstoffzelle schon im Werbefernsehen der Jahrtausendwende ihre Auftritte, Wasserstoff an sich taugt aber erst seit wenigen Jahren als Thema für Gespräche am Kaffeetisch, und zwar, seitdem die alte Bundesregierung den Kohleausstieg beschlossen hat.

Aus dem Kohleausstieg ist indes auch ein Gasausstieg geworden, nicht ganz freiwillig. Auch wenn Wasserstoff keine Farbe hat, ist das Element jetzt sowas wie der leuchtend-blaue Heilsbringer in energiepolitisch aufreibenden Zeiten. Das liegt an den Zukunftsversprechen, an denen auch MDR WISSEN nicht unbeteiligt ist. Die Frage ist nur, wann aus der Gegenwart eigentlich die Zukunft wird. Und Versprechen eingelöst werden.

Das Jetzt

Wasserstoff ist keine neue Erfindung, sondern ausgerechnet das Element, auf dessen Kappe die größte Masse in unserem Sonnensystem geht. Oder anders gesagt: Wer sich am Strand von Rimini suhlt, sonnt sich im Grunde unter Wasserstoff. Auch auf der Erde ist das Element nicht selten (der wohl prominenteste Auftritt ist der im H2O), kommt aber blöderweise nicht in Reinform vor, sondern muss hergestellt werden. In der Wasserstoffherstellung (vor allem für die Industrie) ist die Menschheit geübt, Branchenstandard ist allerdings derzeit sogenannter grauer Wasserstoff, der aus Methan – also ausgerechnet Erdgas – extrahiert wird. Wasserstoff ist, wie bereits angemerkt, nach wie vor farbloser Natur, und wird nur in Sachen Klimaverträglichkeit einer symbolischen Farbschublade zugeordnet. Wenn das CO2 bei der Herstellung nicht in die Atmosphäre gelangt, sondern gespeichert wird, ist er blau oder sogar türkis.

Die Energie-Souveränität hat die Preisgünstigkeit überholt.

Christian Growitsch Fraunhofer IMW

Grüner Wasserstoff wird hingegen durch Elektrolyse erzeugt – eine Aufspaltung von Wasser mit elektrischem Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Das ist das, wo wir hinwollen, wenn von Zukunftsversprechen die Rede ist. Das ist das, was Wasserstoffmobilität und Wasserstoffwärme in ein klimaneutrales Licht rückt. Und das ist das, was es so kompliziert macht.

Die Mengen

Auch wenn Wasserstoff ein alter Hut ist, wird der Einsatz in der Fläche den jetzigen bei Weitem überschreiten, vor allem, weil nur grüner Wasserstoff zielführend ist. Eine Dekarbonisierung der Menschheit heißt auch eine Elektrifizierung der Menschheit. "Diese Strommengen können Sie ohne Wasserstoff gar nicht bewältigen", sagt Jörn-Heinrich Tobaben, Vorstand beim mitteldeutschen Hypos e.V., einem der größten Wasserstoffverbände der Republik. Aber: "Derzeit sind wir nicht in der Lage, den grünen Wasserstoff in der Region herzustellen." Gerade einmal zwei Standorte gibt es im Ballungsraum Leipzig-Halle mit Elektrolyseuren. Die Mengen an dort grün produziertem Wasserstoff seien "homöopathische Dosen".

Die Infrastruktur

Für die Wasserstoffherstellung ist es deshalb ein Jackpot, wenn grüner Strom am Ort oder ortsnah produziert wird. Es gibt bereits industrielle Komplettlösungen, die grundsätzlich sofort installiert werden können. Und die deuten an, wohin die Reise geht: Wie erneuerbare Energien kann auch die Wasserstoffproduktion dezentral ablaufen – es muss also nicht die eine große Wasserstofffabrik für weite Landesteile geben.

Erst Ende September kündigte die Lausitzer Leag-Gruppe eine Transformation zu erneuerbarer Energie an. Der zweitgrößte Stromerzeuger Deutschlands plant in der Lausitz eine Gigafactory mit Ökostrom für vier Millionen Haushalte. Ein auch für die Wasserstoffzukunft interessantes Unterfangen. (Und auch für das Bundesland: Im Vergleich der Flächenländer rangiert Sachsen auf dem vorletzten Platz vor dem Saarland, wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energien geht).

Um Wasserstoff privat, öffentlich und industriell nutzen zu können, ist aber auch eine entsprechende Infrastruktur zur Verteilung notwendig. Schließlich wird nicht jeder Gründerzeitaltbau einen Elektrolyseur im Keller stehen haben (müssen). Im europäischen Kontext ist hier die Rede vom European Hydrogen Backbone, dem europäischen Wasserstoffrückgrat. Das sagt: Wasserstoff ist kein mitteldeutsches und kein nationales Ding, Wasserstoff ist mindestens eine europäische Aufgabe. Trotzdem müssen Regionen darauf vorbereitet sein. Sagen wir es so: Mitteldeutschland hat im Ballungsraum Leipzig-Halle mit dem Mitteldeutschen Chemiedreieck zwischen Bitterfeld und Leuna nicht die schlechtesten Karten. Durch das Gebiet läuft die zweitlängste Wasserstoffpipeline Deutschlands – 150 Kilometer sind es, nur die Region Rhein-Ruhr hat mit 240 Kilometern die noch längere. Davon ausgehend wird es ein mitteldeutsches Wasserstoffnetz geben, z.B. auch direkt in den Städten Leipzig und Halle, darauf verweist Hypos-Vorstand Tobaben.

Einen Wasserstoffmarkt wie bei Strom und Gas wird es erstmal nicht geben.

Miriam Brandes EEX

Auch die lokalen Energieversorger machen sich bereits jetzt H2-ready, wie sie es werbewirksam so schön zu nennen pflegen. Das gilt z.B. für das neue Wärmekraftwerk der Leipziger Stadtwerke im Süden der Stadt. Und das gilt für das Gasleitungsnetz der Mitgas, Grundversorger in weiten Teilen Süd-Sachsen-Anhalts, Westsachsens und Ostthüringens. Bei Mitgas seien Gasleitungen bereits auf Wasserstofftauglichkeit erfolgreich getestet worden.

Die Akzeptanz

Menschen, denen keine Windkraftanlage in den Vorgarten gebaut wird, fragen sich mitunter, warum man etwas gegen Windkraftanlagen haben sollte. Das heißt: Derzeit, wo noch keinerlei Beeinträchtigungen der Lebensumstände auf Grund von Wasserstofferzeugung und -versorgung auszumachen sind, ist es kaum verwunderlich, dass die Deutschen dem Element durchaus wohlgesonnen gegenüber stehen. Das ergab eine repräsentativer Fraunhofer-Umfrage im Jahr 2020. Zwar wusste zu dem Zeitpunkt auch der Großteil nicht, was grüner Wasserstoff ist. Aber fand ihn zumindest gut.

Das ausgesprochen gute Image erleichtert einen Umbau von Städten und Gemeinden. Das Fraunhofer IAO in Stuttgart weist aber darauf hin, dass das nicht reicht: Die breite Befürwortung müsse in aktive Unterstützung umgewandelt werden. Dazu müsse das Thema Wasserstoff aktiv kommuniziert werden. Das heißt aber nicht nur Werbung. Neben den Vorteilen solle auch Transparenz herrschen, was die Schattenseiten betreffe.

Die Preise und der Markt

Grauer Wolkenkratzer mit kleinen Fenstern – City-Hochhaus – in 70er-Jahre-Stil in Stadtmitte von Leipzig, deutlich kleinere Gebäude in dichter Bebauung drum herum, Beschriftung "eex" an Hochhaus.
Die EEX will hoch hinaus, auch beim Wasserstoffhandel: An der Eneergiebörse in Leipzig werden bereits die Voraussetzungen dafür geschaffen. Bildrechte: imago/Dirk Sattler

Wasserstoff muss nicht billig sein. "Die Energie-Souveränität hat die Preisgünstigkeit überholt", sagt Christian Growitsch, Leiter des Leipziger Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie IMW bei einer Fachtagung zu regionaler Wasserstoffwirtschaft. Mittlerweile gehe es mehr um die geopolitische Verfügbarkeit von Energieressourcen, statt um möglichst billige Energie. Die Transformation zu einer Wasserstoffgesellschaft könne nur erfolgreich sein, wenn wir es schaffen würden, auf Dauer rentabel grüne Energie nutzen zu können und nicht bis in alle Tage auf Subventionen angewiesen sind. Deshalb brauche es möglichst schnell funktionierende Geschäftsmodelle.

Auch an der Energiebörse EEX mit Sitz in Leipzig trifft man derzeit Vorbereitungen für den Wasserstoffhandel. "Einen Wasserstoffmarkt wie bei Strom und Gas wird es erstmal nicht geben", sagt Miriam Brandes von der EEX. Aber: "Der wird irgendwann kommen, daran arbeiten wir als Börsenbetreiber." So wird es zum Beispiel darum gehen, wie Wasserstoffimporte und europäischer Wasserstoff integriert werden, wie Zertifikate gehandelt werden und natürlich welche Preise dann irgendwann einmal für Wasserstoff aufgerufen werden.

Die Innovationen

Bei einer neuen Technologieplattform ist nicht nur Pioniergeist gefragt, wenn es darum geht, den Fortschritt an sich heranzulassen – sondern auch selbst durch Innovationen nach vorn zu treiben. Hier können sich lokale Politik und regionale Wirtschaft bedingen, wie das Beispiel Wasserstoff-Straßenbahn zeigt. Um einen grenzüberschreitenden Straßenbahnverkehr zwischen dem deutschen und dem polnischen Görlitz mit einer günstigen Trassierung in Zukunft Realität werden zu lassen, wünschen sich die dortigen Verkehrsbetriebe für die zweite Hälfte der 2020er eine Wasserstoff-elektrische Straßenbahn. Gleiches gilt für die Leipziger Verkehrsbetriebe, die eine H2-Tram als eine der Möglichkeiten für die längst überfällige Südsehne der Stadt in Erwägung ziehen. Der regionale Straßen- und Stadtbahnhersteller HeiterBlick wurde dementsprechend beauftragt, unter anderem die erste Wasserstoffstraßenbahn Europas zu konzipieren. Die Region kann von dem Knowhow profitieren, dafür braucht es aber Fachkräfte.

Die Fachkräfte

Der Bedarf an Fachkräften ist aus dem bundesdeutschen Kanon des Leidens nicht mehr wegzudenken – und macht auch vor einer Wasserstoffökonomie nicht halt. "Fachkräfte sind zentraler Aspekt beim Wettbewerb der Regionen", sagt Christian Growitsch vom Fraunhofer IMW mit Verweis auf mitteldeutsche Industrien, deren Fachkräfte im Energiebereich dies vor allem in fossiler Hinsicht sind. Neben der Gewinnung neuer Fachkräfte gilt es jetzt auch die bereits vorhandenen umzuschulen oder für die Zukunft weiterzubilden.

Die Lücken stopfen

Denn sonst tun sich Lücken auf, im Potenzial einer Region, sich zu einer Wasserstoffregion zu entwickeln. Das ist schon jetzt klar, wo der Begriff "Wasserstoffökonomie" noch gar nicht so richtig definiert ist. Darauf verweist Anna Pohle, die im Fraunhofer IMW im Bereich Innovationspolitik und Transferdesign arbeitet. Sie will herausfinden: "Wo gibt es Lücken in der Wertschätzungskette und wie können wir sie stopfen?" Gerade jetzt, wo die Wasserstoffwirtschaft noch so in den Kinderfüßen steckt, ist das gar nicht so einfach. So gibt es in etwa keine einheitliche Definition für Firmen, die in Deutschland Elektrolyseure bauen. Pohle und Team mussten hier maschinelles Lernen einsetzen, um das Netz nach entsprechenden Betrieben abzusuchen und kartographieren zu können. Künstliche Intelligenz kommt auch zum Einsatz, um zu prüfen, welche Wasserstoffakteure vor Ort besonders gut zusammenpassen. Mit einem Modell, dass die Forschenden vom Fraunhofer IMW AIR-Modell nennen, können Märkte und Akteure analysiert werden und die Wissensbasis und Technologien einer Region bestimmt werden.


Sich das Etikett "Wasserstoffregion" auf die Fahne zu schreiben, ist ein Leichtes. Angesichts attraktiver Fördermittel und dem guten Image, das Wasserstoff (zumindest noch) hat, macht das auch gleich doppelt so viel Spaß. Aber eine Wasserstoffökonomie baut sich nicht von selbst, sondern bedarf Pioniergeist und Investitionen. Denn irgendwann sind die Fördertöpfe auch wieder zu. Und dann müssen die Versprechen an die Zukunft eingelöst sein.

Seitliches Schwarzweiß-Porträt von Mann mit hellen Locken, Bart, runder Brille und schwarzem Polo-Hemd, Hintergrund Architektur von Empfangshalle unscharf, gelber Schmuckrand, Text auf Bild: Wird mit Wasserstoff alles gut? 3 min
Bildrechte: MDR WISSEN
Ein riesiges H und eine riesige 2 schwimmen in einem Meer. 45 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
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