Brutzeit Kleine Vögel allein im Nest: Nicht aufnehmen, sondern abwarten
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24. Mai 2023, 11:11 Uhr
In den Nestern ist Hochsaison: Es zwitschert, trillert und schreit. Manchmal leider auch außerhalb. Aber längst nicht jedes angeblich verwaiste Vögelchen braucht eine helfende Menschenhand. Abwarten und im Zweifel beobachten ist die bessere Variante. Wir geben Tipps zum Umgang mit einsamen Jungvögeln.
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Und, wie würden Sie sich fühlen, wenn man Sie in ein Frotteetuch gewickelt mit der Pinzette und ein paar Mehlwürmern füttert? Gut, naheliegender ist möglicherweise die Vorstellung, in die Lieblingsdecke gekuschelt auf dem Sofa alle Viere gerade sein lassen, während man Ihnen die Leibspeise auf dem silbernen Gäbelchen reicht. Es gäb' Schlimmeres.
Denken sich womöglich auch die kleinen Meisen, die sich wahrscheinlich in genau diesem Moment lauthals einen Nachschlag ertschirpen. Im trauten Heim eines Kollegen, der mit seinen Aufzuchtbildern, die er am Freitagmorgen per E-Mail rumgeschickt hatte, die eine oder andere Emotion geweckt hat. Das kollektive "Oooooh" aus der Belegschaft war zumindest schnell auf seiner Seite. Die Tierchen sind ihm sozusagen aus dem Nistkasten ins Wohnzimmer gefallen: Nachdem aus dem hochfrequenten Fütterungstakt der Elterntiere über einen Tag hinweg plötzlich gar kein Takt mehr wurde, ist die Familie mit einer Notversorgung eingesprungen. Das lange Wochenende und die Schulferien machen's möglich. In diesem Einzelfall vielleicht auch die richtige und lebensrettende Entscheidung.
Für alle anderen Fälle gelten der Reihe nach diese vier A:
1. Abwarten: Einsames Vögelchen ist nicht einsames Vögelchen
Wenn Sie ein elternloses Vöglein entdecken, müssen Sie sich nicht gleich die Frage aller Fragen stellen: Also drum kümmern oder alles dem Lauf der Natur zu überlassen. Möglicherweise ist das Tier nämlich gar nicht so verloren, wie es Ihnen Ihre Empathie suggeriert. "Wir befinden uns gerade mitten in der Brutzeit und bei einigen Vögeln beginnen schon die ersten Jungvögel das Nest zu verlassen", erklärt Janice Pahl vom Nabu-Bundesverband in Berlin. "Bei den meisten Vogelarten sind die Jungvögel noch nicht sofort eigenständig und vollständig flugfähig, wenn sie das Nest verlassen haben, sondern werden von den Eltern noch einige Zeit lang weiter versorgt." Es ist also ratsam, die Jungtiere erstmal eine Zeit lang zu beobachten.
Gerade Tiere mit offenen Nestern wie Amseln und Rotkehlchen verlassen das traute Heim recht schnell nach dem Schlüpfen. Aus Sicherheitsgründen, damit Fressfeinde nicht alle auf einmal entdecken. Tiere, die wirklich Hilfe benötigen, wirken krank, verletzt oder sind noch sehr jung, meist ohne Federn und wenig aktiv im Verhalten.
Auch Tiere im Gras (deren erste Flugversuche womöglich noch nicht ganz so erfolgreich verlaufen sind) benötigen in der Regel keine menschliche Betreuung. Sollten sie an einem gefährlichen Ort hocken, zum Beispiel an einer Straße, bringen Sie sie einfach an eine sichere Stelle in der Nähe.
Eine Ausnahme gibt's: Junge Mauersegler. "Wenn diese auf dem Boden außerhalb des Nestes gefunden werden, brauchen sie immer Hilfe", erklärt Janice Pahl. "Mit jungen Mauerseglern sollte man sich auch unverzüglich an eine Tierauffangstation wenden. Leider ist die Überlebenschance dieser Vögel oft sehr gering."
2. Anrufen: Tierauffangstationen oder Veterinär
Wenn Sie kein tiermedizinisches Studium hinter sich haben oder im Kreise der Hobbyavifaunistinnen und -faunisten verkehren, ist es mitunter schwierig, die Situation richtig einzuschätzen. Rufen Sie am besten als erstes in einer Tierauffangstation an, einen Wegweiser gibt es beim Nabu. Sollten Sie keine erreichen, probieren Sie es bei einer Tierärztin oder einem Tierarzt in der Nähe. Schildern Sie den Fall am Telefon, bevor Sie vorbeifahren. "In Deutschland gibt es leider keine offiziellen Stellen, an die man sich mit hilfsbedürftigen Tieren wenden kann", so Pahl. "Die meisten Auffangstationen und Pflegestellen werden rein ehrenamtlich betrieben und durch Spenden finanziert."
3. Abgeben: Mit der passenden Transportbox
Einen Rettungswagen für gefundene Tiere gibt es aus den genannten Gründen nicht. Der Rettungswagen sind Sie – aber nur, wenn Sie das telefonisch vorher so abgesprochen haben. Sorgen Sie für den richtigen Transport: "Wenn man einen wirklich hilfsbedürftigen Jungvogel hat, den man aufnehmen muss, ist es das Beste, wenn man ihn in einen verschließbaren Karton mit Luftlöchern – das reduziert den Stress für den Vogel – und einem alten Handtuch setzt und unverzüglich zu einer Auffangstation bringt", rät Janice Pahl. Sollte das Tier verletzt sein, ist der Gang in die tiermedizinische Praxis empfehlenswert.
4. Aufziehen: Es ist kompliziert
"Jungvögel aufzuziehen ist eine recht schwierige und komplexe Angelegenheit, so dass es nicht ratsam ist, sich als Laie daran zu versuchen. Man kann leider sehr viel falsch machen." Mit dieser Einschätzung von Janice Pahl ist eigentlich alles gesagt. "Hilfsbedürftige Jungvögel müssen artgerecht untergebracht und gefüttert werden. Das setzt Ahnung und vor allem auch Zeit voraus. Je nach Vogelart und Alter der Küken kann eine andere Fütterung notwendig sein." Ein allgemeingültiges Rezept gibt es also nicht, wäre ja auch zu schön.
Was viele vielleicht nicht auf dem Schirm haben: Der kleine Piepmatz sieht in Ihnen vielleicht keinen Menschen, sondern einen sehr großen Piepmatz mit einem sehr großen Herz. In Fachkreisen heißt das "Fehlprägung". Zudem braucht das Tier einen Bezug zu Artgenossen, was besonders problematisch ist, wenn Sie einen einzelnen Jungvogel aufziehen. Sollte ein Vogel doch einmal in Privathand aufgezogen werden, sei auch hier eine umfassende und situationsspezifische Beratung durch Fachleute (zum Beispiel von Tierauffangstationen) notwendig, empfiehlt Pfahl – und verweist auf weiterführende Infos direkt beim Nabu.
Und die plötzlich elternlosen Maisen des Kollegen? Die haben's zwar irre gemütlich in ihrem Frotteetuch. Zu Wochenbeginn kommen sie trotzdem in fachkundige Hände.
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