Ukraine-Krieg Kann die Friedensforschung helfen?
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29. März 2022, 15:34 Uhr
Seit den 1960er-Jahren arbeiten Wissenschaftler auf dem Gebiet der Friedensforschung. Die Idee ging damals von der Friedensbewegung aus mit dem Ziel, eine bessere Welt zu schaffen. Doch kann sie das überhaupt leisten? Und welche Chancen sieht sie für den aktuellen Krieg Russlands in der Ukraine? Wir haben Prof. Dr. Alexander Spencer gefragt. Er leitet an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg den Masterstudiengang "Peace an Conflict Studies".
Wer an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg den Masterstudiengang "Peace and Conflict Studies" studieren möchte, muss nicht nur ein abgeschlossenes Studium, Englischkenntnisse und Auslandserfahrung mitbringen, sondern auch begründen, warum er das will.
Oft ist es Idealismus, der da mitschwingt. Wer sich hier bewirbt, will schon etwas verändern.
Viele der Studierenden haben bereits Konflikte erlebt, zum Beispiel während eines Auslandsaufenthalts oder in ihrer Heimat. Der Studiengang ist international, in diesem Semester sind 80 Prozent der angehenden Friedens- und Konfliktforscher aus dem Ausland nach Magdeburg gekommen: Aus den USA, aus Bolivien, Ägypten, Kirgisistan zum Beispiel. Ihre praktischen Erfahrungen wollen sie mit theoretischen Kenntnissen verknüpfen in der Hoffnung, so zu einem friedlicheren Zusammenleben oder zumindest einer friedlicheren Koexistenz beitragen zu können, wenn auch in ganz kleinen Schritten, fügt Prof. Dr. Alexander Spencer hinzu. Er ist Politikwissenschaftler und leitet den Masterstudiengang "Friedens- und Konfliktforschung" in Magdeburg.
Gibt es das Rezept für den Frieden?
Doch wie realistisch sind die Erwartungen der neu Immatrikulierten an ihr Studium? Wie praxistauglich ist das, was sie lernen und können sie damit wirklich Frieden herbeiführen? "Wir probieren das theoretische Wissen zunächst in Planspielen, in Simulationen aus. Wir konstruieren eine Konfliktsituation, begeben uns in die Rolle einer Nichtregierungsorganisation (NGO) und schauen, welche Möglichkeiten haben wir, dem Konflikt zu begegnen und ihn zu entschärfen?", beschreibt Spencer die Annäherung an die Realität. Später zeigen Praktika zum Beispiel in Parteien oder Organisationen, wie weit das Wissen um Konflikte und ihre Beilegung praxistauglich ist und wo es an Grenzen stößt. Darüber hinaus gibt es Kontakte zu ehemaligen Absolventen, die ihre Erfahrungen aus ihrem Berufsalltag weitergeben. "Da gibt es schon kleine Erfolge, ja. Aber man darf natürlich keine zu großen Erwartungen haben. Es sind immer kleine Schritte und oft sind wir mit unseren Forschungsergebnissen auch einfach als Berater für Organisationen oder für die Politik gefragt."
Sprache und Medien als Waffe?
Soweit würde Alexander Spencer nicht gehen. Aber die Rolle von Sprache in Konflikten ist eines seiner Spezialgebiete und unter anderem dazu war er auch als Berater für die Politik tätig. "Vertreter der britischen Regierung wollten wissen, welche Sprache sie benutzen sollten in der öffentlichen Beschreibung von Terror, zum Beispiel in Pressemitteilungen. Welche Metaphern kann man benutzen und welche Wirkung haben sie?" Spencer hatte damals dazu geforscht und nennt als Beispiel das Wort "Terrorwelle". Was verbinden wir mit dieser Metapher, welche Erwartungen knüpfen sich daran: Dass eine Welle kommt und geht und möglicherweise wiederkommt, dass sie gewaltig sein kann und todbringend. Diese Formulierung kann einerseits angsteinflößend sein und die Gegenseite andererseits stärken und damit auch den Konflikt. All das müsse man bei der Wortwahl mit bedenken.
Konflikte werden nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgetragen, sondern auch auf der sprachlichen Ebene, über die Medien.
Das zeige sich aktuell auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Es sei nicht nur ein Kampf mit Waffen, sondern auch ein Kampf unterschiedlicher Narrative über diese beiden Staaten, über die Rolle des Ostens und des Westens: "Auf der einen Seite haben wir Selenskyj, der sich in den Medien sehr zu Hause fühlt, auch in den sozialen Netzwerken. Auf der anderen Seite ist da Putin, der sich damit viel schwerer tut und mit seinen Fernsehansprachen und seiner Wortwahl zum Teil wie aus der Zeit gefallen wirkt und mit seinen Metaphern wie der des drogensüchtigen Naziregimes übers Ziel schießt. Hier spielen das Charisma und die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und fortzuschreiben, eine Rolle. Dank seiner Affinität zu den sozialen Medien erreicht Selenskyj auch in Russland vor allem junge Menschen." Das zeigt, dass es nicht ein Konflikt zwischen der Ukraine und Russland ist, sondern ein Konflikt zwischen der Ukraine und Putins politischem System, analysiert Spencer.
Die Frage ist also immer: Welche Informationen zum Konflikt gelangen zu uns? Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus im Hinblick auf die Parteien und die Eskalationsdynamik eines Konflikts? Wie vorgeprägt sind unsere Wahrnehmungsmuster im Hinblick auf "gut" und "böse"? Und wie unterscheiden wir wahre von falschen Meldungen?
Neue Technologien haben Konflikte verändert
Dass sich diese Narrative, diese Selbstdarstellungen, diese medialen Zuschreibungen schneller und stärker verbreiten und zugleich schwerer kontrollierbar sind, hat die Entwicklung von Konflikten in den letzten Jahren stark beeinflusst. "Der technologische Fortschritt zeigt sich aber nicht nur im Hinblick auf die mediale Wirkung der Konfliktparteien, sondern auch im Krisengebiet an sich. Da haben wir einerseits High-Tech wie Drohnen im Einsatz oder die Möglichkeit von Cyberangriffen. Andererseits sind noch immer – überspitzt gesagt – rostige Panzer im Einsatz und uralte Kalaschnikows", zieht Alexander Spencer Bilanz, für alle bewaffneten Konflikte weltweit.
Was kann Friedensforschung leisten, was nicht?
Ob diese Veränderungen Konflikte verstärken, ob sie eine Beilegung begünstigen oder behindern, das untersuchen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen auf dem Gebiet der Friedens- und Konfliktforschung. Politikwissenschaftler, Ethnologen, Psychologen, Soziologen z.B. analysieren Medien- oder Zeitzeugenberichte oder sie reisen direkt in Krisengebiete, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen und mit den Konfliktparteien zu sprechen. Doch so weit müsse man gar nicht gehen, so Alexander Spencer. Viele Konflikte spielten sich direkt vor unserer Haustür ab, ohne Waffengewalt, eben immer dann, wenn unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen: Bei jeder Wahl, während der Flüchtlingskrise und nicht zuletzt in der Zeit der Corona-Pandemie. Auch da sei die wissenschaftliche Expertise gefragt, wenn es darum geht: Wie finden wir einen Kompromiss? Wie können wir das politisch so organisieren, dass möglichst alle damit leben können? Das kann die Friedens- und Konfliktforschung leisten, und dafür wird sie weiterhin Studien betreiben. Grundsätzlich für Frieden sorgen kann sie nicht, so sehen es Wissenschaftler wie Prof. Dr. Alexander Spencer heute realistisch im Gegensatz zu ihren geistigen Vätern damals in den 1960er- und 1970er-Jahren.
krm
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