Demokratieforschung Junge Generation verliert weltweit Vertrauen in Demokratie

21. Oktober 2020, 09:43 Uhr

Die "Millennials" (Jahrgang 1981 bis 1995) sind die Generation, die am meisten von der Demokratie desillusioniert ist. Keine andere Altersgruppe seit Beginn der Aufzeichnungen sieht die Demokratie so skeptisch. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Cambridge.

Das Vertrauen junger Menschen in demokratische Politik ist gesunken. Die "Millennials" oder auch die Generation Y ist von der Demokratie desillusionierter als die ältere Generationen X oder die Babyboomer in der gleichen Lebensphase. Dies geht aus einem Bericht des Centre for the Future of Democracy an der Universität Cambridge hervor. Darin stellen Wissenschaftler fest, dass bei den 18-bis 34-Jährigen die Zufriedenheit mit der Demokratie in fast allen Regionen der Welt stark abnimmt.

Junge Menschen stehen Demokratien mit populistischen Führern positiv gegenüber

Die Forscher fanden auch heraus, dass junge Menschen Demokratien mit populistischen Führern - sowohl der Linken als auch der Rechten - meistens positiv gegenüberstehen. Gleichzeitig sehen sie politische Gegner eher als moralisch fehlerhaft an. "Dies ist die erste Generation seit Menschengedenken, die weltweit mehrheitlich unzufrieden damit ist, wie die Demokratie funktioniert", sagte Dr. Roberto Foa, Hauptautor des Berichts vom Cambridge Department of Politics and International Studies.

Demokratie junge Generation
Die Forscher haben die Studie mit Generationendaten aus über 160 Ländern erstellt. Bildrechte: Universität Cambridge

Knapp fünf Millionen Befragte aus 160 Ländern

Die Ergebnisse stammen aus dem weltweit größten Datensatz zur demokratischen Legitimität. Die Cambridge-Forscher arbeiteten mit dem "Human Surveys Project" zusammen. Dabei kombinierten sie die Daten von fast fünf Millionen Befragten aus über 160 Ländern, die zwischen 1973 und 2020 nach dem Grad ihrer Zufriedenheit mit der Demokratie in ihrem Land befragt wurden.

Globale Mehrheit ist mit Demokratie unzufrieden

Laut der Studie geben 55 Prozent der bis 35-jährigen Befragten an, dass sie mit der Demokratie unzufrieden sind. Im Gegenzug dazu empfanden jedoch nur weniger als die Hälfte der Generation X in diesem Alter genauso. Die Mehrheit der Babyboomer - jetzt in ihren Sechzigern und Siebzigern – erklärt sich weiterhin mit der Demokratie zufrieden, wie es auch die Zwischenkriegsgeneration tat.

Wie die Generationen definiert werden
Die Millennials oder auch die Generation Y sind zwischen 1981 und 1996 geboren und zur Jahrtausendwende oder danach volljährig geworden.    
Vertreter der Generation X sind zwischen 1965 und 1980 geboren und Ender der 80iger sowie den 90iger Jahren erwachsen geworden.  
Die Babyboomer sind die Generationen der "1960er und 1970er Jahre", geboren zwischen 1944 1964.  
Die Zwischenkriegsgeneration bezieht sich auf diejenigen, die zwischen den beiden Weltkriegen und vor der Entkolonialisierung in Afrika und Asien in der Zeit zwischen 1918 und 1943 geboren sind.  

Großbritannien: Nach Zufriedenheit jetzt Einbruch

Im Vereinigten Königreich 1973 beispielsweise zeigten sich über die Hälfte der 30-Jährigen aus der Zwischenkriegsgeneration (54 Prozent) mit der britischen Demokratie zufrieden. Noch positiver zeigten sich die britischen Babyboomer ein Jahrzehnt später, ganze 57 Prozent der befragten Babyboomer waren mit der Demokratie zufrieden, als sie 30 Jahre alt wurden. In der Generation X steigerte sich diese Zuversicht noch weiter: Ganze 62 Prozent waren in den 1990er und 2000er Jahren zufrieden.

Ganz anders empfindet hingegen die Millenniumsgeneration. Weniger als die Hälfte der Befragten (48 Prozent) zeigten sich an ihrem 30. Geburtstag mit der Demokratie zufrieden. "Global betrachtet waren die Millennials um die Jahrtausendwende zufriedener als die Generation ihrer Eltern", erklären die Autoren. "Nach der Finanzkrise von 2008 ging diese Zuversicht jedoch stark zurück." Auffällig dabei sei, dass die Millennials das Zutrauen in die Demokratie sehr viel schneller verloren als die älteren Generationen.

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Immer weniger Menschen sind mit den Demokratien in der Welt zufrieden. Große Veränderungen gab es in den USA und Brasilien. Bildrechte: Universität Cambridge

USA: Nur noch die Hälfte der jungen Menschen mit US-Demokratie zufrieden

Die Forscher verweisen hier auf die Situation in den USA. Fast zwei Drittel (63 Prozent) der jungen US-Amerikaner waren im Alter von Anfang 20 mit der amerikanischen Demokratie zufrieden. Dann sank jedoch diese Zufriedenheit stark. Im Alter von Mitte 30 war nur noch die Hälfte der US-Millennials mit der Demokratie in ihrem Land zufrieden. Bei den Babyboomern sank die Zustimmung zwar auch, jedoch in einem geringeren Maße. Mit Mitte 30 zeigten sich drei Viertel der US-Babyboomer (74 Prozent) mit der Demokratie zufrieden, über zwei Drittel (68 Prozent) sind es ihr ganzes Leben lang geblieben. "Tatsächlich hat sich die Vorstellung, dass junge Unzufriedene mit zunehmendem Alter in ihrer Einstellung nachlassen, nun weltweit umgekehrt", erklären die Forscher.

Millennials und die Generation X sind mit fortschreitendem Alter immer unzufriedener mit der Demokratie geworden.

Dr. Roberto Foa, Hauptautor des Berichts Cambridge Department of Politics and International Studies

Wirtschaftliche Ausgrenzung eine Ursache

Die Wissenschaftler sehen in einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, der wirtschaftlichen Ausgrenzung und einer starken Vermögensungleichheit die gravierendsten Ursachen für die weltweite Demokratie-Skepsis und Unzufriedenheit junger Menschen. In Staaten mit geringen Vermögensunterschieden wie Island oder Österreich zeigten sich die geringsten Generationenunterschiede bei der Zufriedenheit mit der Demokratie.

Staaten mit einer großen Vermögensungleichheit und gravierenden sozialen Unterschieden – wie die USA – würden jedoch wachsende Unterschiede aufweisen. "Höhere Schuldenlast, geringere Chancen auf ein Eigenheim, größere Herausforderungen bei der Familiengründung und das Vertrauen auf ererbten Reichtum statt auf harte Arbeit und Talent, um erfolgreich zu sein, tragen alle zur Unzufriedenheit der Jugend bei", sagte Foa.

Deutlich weniger Zufriedenheit mit Demokratie in Lateinamerika, Afrika und Südeuropa

Den aufstrebenden Demokratien Lateinamerikas, Afrikas und Südeuropas attestieren die Forscher eine "Übergangsmüdigkeit": Nach 25 Jahren Demokratie wachsen Generationen heran, denen die Erinnerung an frühere Diktaturen und Kämpfe um politische Freiheit fehlt. Die jungen Generationen sehen hier vor allem die Defizite, was einen "deutlichen Rückgang der Zufriedenheit mit der Demokratie" nach sich ziehe.

Überall auf der Welt sehen wir eine immer größer werdende Kluft zwischen der Jugend und den älteren Generationen, wie sie das Funktionieren der Demokratie wahrnehmen. Diese demokratische Diskrepanz ist nicht selbstverständlich. Sie ist das Ergebnis des Versagens der Demokratien. Sie haben es in den letzten Jahrzehnten verpasst, Ergebnisse zu erzielen, die für junge Menschen von Bedeutung sind - von Arbeitsplätzen und Lebenschancen bis hin zur Bekämpfung von Ungleichheit und Klimawandel.

Dr. Roberto Foa, Hauptautor des Berichts Cambridge Department of Politics and International Studies

Populistische Welle in den vergangenen fünf Jahren

Während die Erweiterung der EU um neue Mitgliedsstaaten den Forschern zufolge als positives Zeichen gegenüber der Demokratie gewertet werden kann, habe die "populistische Welle" der letzten fünf Jahre zu einem Anstieg der Demokratieskepsis geführt. Sowohl der Aufstieg der Linken Syriza und Podemos in Griechenland und Spanien, als auch die populistische Rechte des ungarischen Viktor Orbán und die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit, sowie die politische Neuausrichtung in Brasilien, Mexiko bis zur Tschechischen Republik hätten zu einer Spaltung in den jeweiligen Gesellschaften und damit zu mehr Unzufriedenheit geführt. "Populismus nährt sich aus der Spaltung", schreiben die Forscher. Die Studie zeige, dass viele Millennials politische Gegner als moralisch fehlerhaft ansehen. Sie verträten eine eher "manichäische" Weltsicht, schreiben die Forscher.

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In Westeuropa sind vor allem die "Millennials" mit der Demokratie weniger zufrieden. Bildrechte: Universität Cambridge

Populismus könnte sich noch weiter ausbreiten

Ein Indiz dafür, wie sehr die Generation der Millennials die Politik und die Personen dahinter populistisch verbinden, sehen die Forscher in folgenden Zahlen: Insgesamt stimmen 41 Prozent der Millennials mit der Aussage überein, dass man "erkennen kann, ob eine Person gut oder schlecht ist, wenn man ihre Politik kennt". Im Vergleich sehen das nur 30 Prozent der Wähler über 35 Jahren so. Zudem würden nur sehr wenige ältere Befragte aus stabilen Demokratien wie Deutschland und Schweden diese Ansicht unterstützen. "Dies ist nicht nur ein Effekt der individuellen Lebenszyklen, denn diese Altersunterschiede finden wir in aufstrebenden Demokratien nicht", sagt Foa.

Die vorherrschenden polarisierenden Einstellungen der Millennials können weiter dazu führen, dass fortgeschrittene Demokratien ein fruchtbarer Boden für populistische Politik bleiben.

Dr. Roberto Foa, Hauptautor des Berichts Cambridge Department of Politics and International Studies

Hoffnung für Demokratien nur, wenn Politiker nicht nur "kosmetisch" regieren

Die Wissenschaftler sehen trotz dieser negativen Zukunftsprognose Hoffnung für den Erhalt der Demokratien, wenn gemäßigte Politiker jetzt wach werden: "Die populistische Herausforderung muss gemäßigte Parteien und Führungspersönlichkeiten so schockieren, dass sie mehr ändern als lediglich kosmetische Korrekturen ihrer Politik. Wenn sie dies tut, kann der Populismus immer noch die Wiedergeburt der Demokratie auslösen und nicht den Beginn ihres allmählichen Verfalls", sagt er.

Die Studie im Original hier.

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