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Wann endet der Corona-Shutdown? Wege aus der Corona-Krise: Testen, Isolieren, Informieren, Mobilisieren

29. März 2020, 12:52 Uhr

Die erste Woche mit Kontaktverboten und teilweisen Ausgangssperren geht zu Ende. Was manche im Privaten als willkommene Entschleunigung erleben, wird für andere zur Bedrohung ihrer Existenz. Angela Merkel warnt vor Ungeduld und einer zu frühen Rückkehr zur Normalität. Wann werden die drastischen Maßnahmen erste Erfolge zeigen? Können wir dann auf ein baldiges Ende des Shutdowns hoffen? Und wenn ja, wie könnte das aussehen?

Covid-19 hat uns fest im Griff. Dass das nicht ewig so weiter gehen kann, ist unstrittig. Der Mensch ist ein soziales Wesen, unsere Wirtschaft ist nicht für den Stillstand geschaffen. Uneinigkeit besteht dagegen im Hinblick auf die Frage, wie lange wir die drastischen Schutzmaßnahmen noch in Kauf nehmen müssen. "Wir müssen abwarten", sagen die einen. "Wir können doch nicht nur abwarten und nichts tun", sagen die anderen. So auch MDR Wissen-User und Marketingmanager Alex G.. Er hat eine Strategie zur Diskussion gestellt, wie wir schon bald nach und nach ins normale Leben zurückkehren könnten:

Phasenweise Rückkehr ins öffentliche Leben nach Altersgruppen?

Alex G. betrachtet die Altersgruppe der 0- bis 39-jährigen als am geringsten gefährdet und hält es damit für möglich, sie als erste wieder ins öffentliche Leben zu entlassen. Dabei zieht er auch die Möglichkeit in Betracht, dass diese Menschen mit dem Coronavirus in Kontakt kommen, immun werden und damit sogar zu einer Immunisierung der Gesamtbevölkerung beitragen. Könnte das funktionieren?

Gezielte Durchseuchung - gefährlich und kontraproduktiv

Prof. Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charite, sieht die gezielte Ansteckung junger Menschen kritisch. Zum einen würde das die derzeitigen Bemühungen zunichte machen, die Verbreitung des Virus generell einzudämmen. Und er hat zudem ethische Bedenken:

Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin
Prof. Christian Drosten warnt vor einer gezielten Corona-Infektion jüngerer Menschen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Junge Menschen sind nicht grundsätzlich frei von einem Risiko. Es gibt auch jüngere Patienten, die ohne Vorbelastung schwer an Corona erkranken oder sogar daran versterben. Wir werden keine Todesfälle provozieren.

Prof. Christian Drosten, Virologe

Darüber hinaus ginge der Prozess auch dann zu langsam voran: Bis unter den aktuellen Bedingungen eine Infektionsrate der Bevölkerung von 70 Prozent erreicht würde, würden Jahre vergehen. Zudem dürfte es schwer werden, eine Altersregelung so durchzusetzen. In vielen Familien leben Menschen unterschiedlichen Alters zusammen. Wie sollte sich ein 45jähriger Vater verhalten, dessen 10jähriges Kind wieder ins Schwimmbad dürfte? Er müsste es begleiten. Und selbst wenn nicht, würde dieses Kind möglicherweise einen Infekt mit nach Hause bringen und dabei den Ü-40-Vater, der ja streng genommen schon ein höheres Risiko trägt, anstecken.

Dennoch sehen Virologen genau wie User Alex in der gesonderten Betrachtung der Risikogruppe eine Chance, das normale Leben wieder anlaufen zu lassen:

Risikogruppe 70+ besonders schützen

Auch für den Prof. Alexander Kekulé steht fest, dass wir uns nur nach und nach wieder dem normalen Alltag nähern können und das vor allem Menschen, die ein höheres Risiko tragen, schwer an Covid-19 zu erkranken oder gar zu sterben, besonderen Schutz brauchen. Das sind nach Einstufung der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits Menschen ab 50 Jahren, am gefährdetsten sind die über 70jährigen und Patienten mit Vorerkrankungen. Das Immunsystem der meisten anderen ist grundsätzlich in der Lage, eine Infektion in den Griff zu bekommen. Trotzdem ist auch hier Vorsicht geboten.

Würde man jetzt alle Menschen mit einem Mal ungeschützt raus lassen, würde sich das Virus sofort wieder rasend schnell ausbreiten, alle Maßnahmen wären dann umsonst gewesen.

Prof. Alexander Kekulé

Tests, Tests, Tests!

Damit die Ausbreitung des Virus weiter gut zu nachzuvollziehen ist, sollte sich ein jeder selbst ausreichend beobachten. So kann eine mögliche Erkrankung rechtzeitig bemerkt werden, anonyme Schnelltests für zu Hause sollen dann für eine entsprechende Diagnose sorgen.

Diese Tests sieht übrigens auch MDR Wissen-User Alex als Voraussetzung dafür, dass einzelne Altersgruppen nach und nach ins öffentliche Leben zurückkehren dürfen. In diesem Punkt hat er also die volle Zustimmung der Virologen und Epidemiologen. Und auch der Experten, die die Bundesregierung beraten. Ein Strategiepapier des Bundesinnenministeriums, über das die Tagesschau berichtet, empfiehlt die größtmögliche Erhöhung der Testkapazitäten. Das Papier wurde von einem Team von WDRNDR und "Süddeutscher Zeitung" ausgewertet. Es trägt den Titel "Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen" und empfiehlt diese Schritte:

Testen und Isolieren

- Alle Personen mit Eigenverdacht und der gesamte Kreis der Kontaktpersonen von positiv getesteten Personen.

- Bis Ende April täglich 200.000 Tests, statt derzeit 400.000 pro Woche.

- Bürger sollen den Rachenabstrich für den Test auch selbst durchführen – in Drive-Ins oder Telefonzellen-Teststationen.

- Isolierung aller positiv getesteten, Local Tracking von Mobiltelefonen – ein Verfahren, mit dem über "mehrere Jahre hinaus die wahrscheinlich immer wieder aufflackernden kleinen Ausbrüche" sofort eingedämmt werden können.

Informieren

Die Studie wurde von Wissenschaftlern des Robert Koch-Instituts und weiterer Forschungseinrichtungen in Deutschland und Europa erstellt. Sie beinhaltet auch Ratschläge für die Informationen über das Virus. Notwendig sei eine "deutschlandweite und transparente Aufklärungs- und Mobilisierungskampagne". Dazu gehört auch die Vorbereitung auf ein Worts-Case-Szenario, also den schlimmsten Fall. Der geht von einer Todesrate von 1,2 Prozent der Infizierten aus. Er würde auch bedeuten, dass Ende Mai 80 Prozent der Patienten, die eigentlich auf die Intensivstation müssten, von den Krankenhäusern abgewiesen würden. Das gilt allerdings nur für den Fall der ungebremsten Ausbreitung des Virus, ohne die jetzt bereits eingeleiteten Maßnahmen.  

Dance und Distance

Aber wie sieht nun das Ausstiegsszenario aus? "Hammer and Dance" heißt es in dem Papier. Und es funktioniert so: Nach der Hammerphase jetzt mit extremen Beschränkungen könnte etwa nach den Osterferien die "Tanzphase" beginnen. Mit massiven Tests und Kontrolle (siehe oben) aber einer langsamen Rückkehr ins normale Leben, Schulen und Kindergärten würden wieder öffnen, Beschränkungen nach und nach zurück genommen.

Standard-Accessoir OP-Maske

Damit wäre das Virus nicht aus der Welt, aber das Leben zurück. Mit aller gebotenen Vorsicht, wie Virologe Kekulé fordert. Eine große Chance, das Sars-CoV-2 langfristig in Schach zu halten, sieht er in einer Strategie, die er "Smart Distancing" nennt. Soziale Kontakte wären demnach zunehmend wieder möglich, allerdings unter Berücksichtigung einiger Regeln.

Smart Distancing Tragen einer OP-Maske bei einer zwischenmenschlichen Distanz von weniger als zwei Metern, kein Händeschütteln, keine Großveranstaltungen wie Stadionkonzerte oder Fußballspiele.

Grenzkontrollen unverzichtbar

Noch bis vor kurzem wurden Menschen, die nach Deutschland eingereist sind, nicht auf eine mögliche Covid-19-Infektion überprüft. Sie haben dadurch möglicherweise neue Infektionsketten hierzulande ausgelöst. Die Virologen sind sich einig darin, dass Gesundheitskontrollen bei der Einreise unverzichtbar sind.

Wir müssen jetzt konsequent dafür sorgen, das keine neuen Fälle eingeschleppt werden, wie das bis vor kurzem der Fall war.

Alexander Kekulé

Alle Register gezogen - in 2 bis 3 Wochen neue Prognosen möglich

Das Maßnahmenpaket ist jetzt so umfassend wie nie zuvor. Erste positive Konsequenzen scheinen sich abzuzeichnen. Die Anzahl der neuen Fälle pro Tag, die beim Robert Koch-Institut erfasst werden, liegt derzeit leicht unterhalb der Prognosen. Wenn das so ist und auch in den nächsten Tagen so bleibt, könnten damit auch die Weichen für den Weg aus dem Shutdown gestellt werden:

Wenn sich diese Abweichung zwischen erwarteter und beobachteter Anzahl neuer Fälle einspielt, dann hat man damit eine Grundlage, um rechnerische Modelle nachzujustieren.

Christian Drosten

Mathematiker und wissenschaftliche Modellierer seien dann gefragt, um aktuell mögliche Szenarien und Prognosen zu errechnen. Auch die Schwere der einzelnen Fälle und die Sterblichkeit müssten dabei berücksichtigt werden, um langfristig eine adäquate medizinische Versorgung sicherstellen zu können, so Drosten. Auf Grundlage neuer Modelle und Prognosen könnte dann die Politik entscheiden, wie lange der Shutdown für uns noch anhalten wird. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass solche Ergebnisse frühestens in zwei bis drei Wochen vorliegen könnten.