Vogelgrippe Das nahezu perfekte Vogelvirus H5N1 – WHO bereitet sich auf Übersprung vor

07. Juni 2023, 10:07 Uhr

Kein Geflügelpesterreger zuvor befällt so viele Vogelarten wie das Vogelgrippevirus H5N1. Wegen der extremen Verbreitung, stecken sich auch immer mehr Säugetiere an. Die WHO bereitet sich auf den Ernststfall vor. Wie gefährlich das Virus für Menschen ist, sehen Wissenschaftler aber sehr unterschiedlich.

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Inzwischen tragen die Wildvögel die Vogelgrippe auch in die Städte: In Berlin Friedrichshain ist ein Schwan an einer Infektion mit H5N1 gestorben. Infizierte Möwen wurden in Berlin und Hannover gefunden und jetzt auch bei Leipzig. An der Kiesgrube Rehbach sind tote Möwen entdeckt worden. Nach Angaben der Stadt Leipzig hat das Friedrich-Löffler-Institut Geflügelpest bestätigt. Die Kiesgrube soll aktuell nicht für Freizeitaktivitäten genutzt werden.

Wächst durch die enorme Verbreitung der Vogelgrippe unter Vögel auch die Gefahr für den Menschen? Die Weltgesundheitsorganisation hat am Mittwoch erklärt, wie sie sich auf den Fall eines Übersprungs auf den Menschen vorbereitet und eine neuerliche Pandemie verhindern will. Wie groß diese Gefahr tatsächlich ist, debattieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber noch.

Bislang trifft die Vogelgrippe Geflügelzüchter und Wildvogelbestände

Verheerend ist die auch Geflügelpest genannte Seuche vor allem für Geflügelbetriebe. Im Februar mussten 120.000 Tiere in einer Legehennenaufzucht in Nordrhein-Westfalen getötet werden. In Norddeutschland traf es zwei Betriebe mit 24.000 beziehungsweise 16.000 Tieren, zuvor Putenzüchter in der Börde in Sachsen-Anhalt mit 20.000 Tieren.

Parallel dazu stellt das für die Tiergesundheit zuständige Friedrich-Löffler-Institut immer wieder Ausbrüche bei Wildvögeln fest. Allein im Februar wurde der Erreger 196 Mal nachgewiesen, vor allem bei Möwen (82 Fälle), gefolgt von Wildgänsen (61 Fälle).

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Die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC zählt seit Oktober 2020 weltweit über 70 Millionen getötete Zugvögel. Für Tierärzte und Biologen ist klar: Die aktuelle Geflügelpest ist die gefährlichste aller Zeiten. Wie gefährlich kann der Erreger für Menschen werden? Die Weltgesundheitsorganisation WHO will am Mittwoch die Öffentlichkeit informieren, wie sie sich auf einen möglichen Übersprung, eine Zoonose, vorbereitet. Zugleich sehen Experten wie der Virologe Martin Beer vom Friedrich-Löffler-Institut (FLI) diese Möglichkeit derzeit nicht als die größte Gefahr an. Das Institut ist Deutschlands zentrale Forschungsstelle für Tiergesundheit.

H5N1 – nie war ein Vogelgrippevirus so ansteckend für verschiedenste Vogelarten

Befällt die Vogelgrippe einen Geflügelbetrieb, müssen die Züchter ihren Bestand vollständig töten. Würden sie das nicht tun, würde das H5N1 Virus in den meisten Fällen alle Tiere umbringen. Bei Experimenten mit Hühnern und engen Verwandten wie Puten haben Tiermediziner am FLI beobachtet, dass fast alle Infektionen tödlich enden. Bei Gänsen und Enten schwankt diese Mortalität und kann bis zu 30 Prozent erreichen.

H5N1 ist für Vögel so ansteckend wie nie ein Virus zuvor. Seit fast zwei Jahren zirkuliert unter fast allen Vogelpopulationen weltweit eine beispiellose Grippepandemie. Verschont geblieben sind bislang nur Australien und die Antarktis, wobei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber davon ausgehen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bevor die ersten Pinguinkolonien angesteckt werden und der Erreger auch dort verbreitet wird. Wie so oft haben Menschen die globale Gesundheitskrise verursacht.

Asien: Milliarden Zuchttiere waren nicht abgegrenzt von wilden Vögeln in der Umgebung

Geflügelpest Test
Test auf das Virus bei einem Huhn. Bildrechte: IMAGO / Fotostand

H5N1 ist kein neues Virus. Bekannt ist der Erreger seit 1997, als er erstmals bei einem Ausbruch unter Zuchtgänsen in der chinesischen Provinz Guangdong festgestellt wurde. Die sogenannte Clade, also die Bezeichnung des Virusstamms, heißt daher auch Guangdong H5 2.3.3.4b.

In den 1990er-Jahren herrschten für das Virus in vielen Zuchtbetrieben in Asien praktisch perfekte Bedingungen, kritisieren Forschende heute. Denn während auf der einen Seite in dicht aneinander gedrängten Betrieben bis zu Milliarden Zuchttiere gehalten wurden, hatten diese immer auch Kontakt zu den Wildvögeln in der Umwelt, etwa den vielen Enten auf den Reisfeldern.

Vogelgrippe verbreitet sich durch die Luft und durch Vogelkot – und damit auch über Wasser

Wie menschliche Grippeviren auch ist die Vogelgrippe vor allem ein sogenanntes respiratorisches Virus, also eines, dass sich in den Atemwegen vermehrt und durch kleinste Partikel (Aerosole) übertragen wird, wenn infizierte Tiere ausatmen. Allerdings scheiden sie das Virus auch über ihren Kot aus. So wird Wasser mit den Erregern kontaminiert, das andere Tiere trinken und sich so anstecken.

In den 1990ern konnten die Erreger zwischen den Zuchtbeständen und den Wildvögeln in einem Ping-Pong-System hin und her springen und sich dabei immer weiter an verschiedene Wirte anpassen. Das von Menschen geschaffene Ökosystem erlaubte den Viren nahezu unendliche Möglichkeiten der Vermehrung und Mutation. Unter anderem entwickelte H5N1 die berüchtigte Furinspaltstelle, eine Eigenschaft, die auch Sars-CoV-2 besonders vermehrungsfähig gemacht hat.

Die Grafik zeigt, wie sich Hühner über Virenpartikel in der Luft oder über den Kot ausgeschiedene Viren auf dem Boden infizieren können und an welchen Stellen im Körper das Virus sich vermehrt. Das ist vor allem in den Verdauungsorganen und den Atemwegen.
Atemwege, Verdauungsorgane - die Grafik zeigt, wie die Infektion beim Huhn erfolgt. Bildrechte: IMAGO/GILLES/BSIP

Furin-Spaltstelle ermöglicht H5N1 rasche Ausbreitung im ganzen Vogelkörper

Die Spaltstelle sorgt vereinfacht gesagt dafür, dass natürlich im Körper zirkulierende Enzyme der Wirtstiere neu gebildete Viruspartikel direkt vorbereiten für den Eingriff in die nächste Zelle. Auf diese Weise kann sich H5N1 rasch im ganzen Körper eines befallenen Vogels ausbreiten, hohe Viruslasten erzeugen und dadurch sowohl ansteckender werden, als auch vorhandene Immunität gegen andere Grippestämme teilweise überwältigen.

Diese Evolution des Virus hin zu einer immer größeren Ansteckungsfähigkeit für Vögel sei für Menschen bisher aber offenbar von Vorteil, sagt Martin Beer, der leitender Virologe am FLI ist. Denn die schon anfangs seltenen Ansteckungen von Menschen seien im Verlauf dieser Entwicklung noch seltener geworden. Ein Grund zur Beruhigung also? Experten sind sich angesichts der sprunghaften Entwicklung nicht sicher.

Ein nahezu perfektes Vogelvirus: Nachweis bei mehr als 100 verschiedenen Vogelarten

Die erste Welle von Infektionen hat Deutschland bereits im Jahr 2006 erreicht, ließ danach aber wieder nach. Auch weitere Ausbrüche mit dem nahen Verwandten H5N8 in den Jahren 2014 und 2018 waren zeitlich begrenzt. Seit 2021 jedoch hält sich H5N1 das gesamte Jahr über in den Wildvogelpopulationen und kann so zu Ausbrüchen in offenen Geflügelbetrieben im Sommer wie im Winter führen. Zugleich erreicht das Virus über Zugvögel Weltregionen, in denen es nie zuvor war, etwa Südamerika.

Ein Schild mit der Aufschrift Wildvogelgeflügelpest Sperrbezirk an einer Straße
Durch die hohe Verbreitung unter Wildvögeln sind ganze Regionen von der Vogelpest betroffen. Bildrechte: IMAGO / xim.gs

Ob wirklich jede Vogelart befallen werden kann, sei zwar nicht bekannt. "Es gibt über 10.000 bekannte Vogelspezies. Da ist es schwer zu sagen, wie empfänglich jede einzelne von ihnen ist", sagt Martin Beer. Nachgewiesen wurde die Infektion aber bei fast 100 verschiedenen Arten. Diese Liste reicht bereits jetzt von Adlern bis zu selten Fällen, in denen Singvögel infiziert wurden. "Wir sind nahe am perfekten Vogelvirus", schätzt Beer die Situation ein.

Segmentiertes Erbgut: Warum sich Influenza schnell an neue Wirte anpassen kann

Die Vogelgrippe profitiert wie alle Influenzaviren von einer tückischen Eigenschaft, seinem in acht Teile geteilten Erbgut. Treffen sich mehrere Stämme der Grippe in einem Wirtsorganismus, können sie diese acht Teile miteinander austauschen und so in kürzester Zeit neue Stämme entstehen lassen. Fachleute nennen diese Fähigkeit "Reassortierung", den dadurch entstehenden Effekt "Genetic Shift". Entsteht dabei zufällig ein Vorteil für das Virus, kann sich die neue Variante durchsetzen, wenn ein Ausbruch nicht gestoppt wird.

So hat sich H5N1 nach und nach an sehr verschiedene Wirtspopulationen angepasst. Beim Befall von Wasservögel etwa trafen die Viren auf verschiedenste andere Influenzaviren, die in diesen Tieren bereits lange heimisch waren. Das Virus konnte sich bedienen bei Genen, die ihm halfen, sich in diesen Spezies festzusetzen. "Die H5 Komponente war bislang die einzige, die stabil geblieben ist", sagt Beer. Die anderen sieben Segmente haben sich alle verändert.

Über 40 neue Virusvarianten seit Oktober

Allein seit Oktober 2022 haben Wissenschaftler bereits über 40 neue Virusvarianten festgestellt. "Das Virus ist also immer noch in einem Optimierungsvorgang." So passt es sich weiter an Spezies in neuen Regionen an. "Wir werden also weiterhin bestimmte Typen dieses Virus in bestimmten Regionen bei bestimmten Spezies sehen", ist sich Martin Beer sicher.

Bedrohlich erscheinen vor allem die zunehmenden Übertragungen auf Säugetiere. So wurden erst kürzlich in Niedersachsen Füchse entdeckt, die offenbar an einer Infektion gestorben waren. Die amerikanische CDC zählt inzwischen über 100 verschiedene Säugetierspezies, die sich mit dem Erreger angesteckt haben. Die meisten davon waren Raubtiere, die infizierte Vögel gefressen hatten.

Eine schwarz-grüne Ente steht im Schlamm 2 min
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Jeden Winter rafft die Vogelgrippe Wildtiere und Mastgeflügelbestände dahin. In Helmershausen im Kreis Schmalkalden-Meiningen hat es die 24 Enten von Gunther Hüller erwischt. Im Interview erzählt er, wie er damit umgeht.

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Infektion von Raubtieren logische Folge

Eine tote Robbe liegt an einem Strand
Robben und Seehunde sind offenbar in besonderer Weise für die Vogelgrippe empfänglich, vermuten Forscher. Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Martin Beer wiederum ist von diesen Funden nicht überrascht. "Wir haben unheimlich viel Virus in der Vogelwelt." Dadurch gebe es sehr viele Kontakte zwischen Fleischfressern und infizierten Vögeln praktisch überall auf der Welt. "Dafür ist die Zahl der bekannt gewordenen infizierten Säugetiere immer noch gering." Die Forschung halte daher die Ansteckungsfähigkeit für Säugetiere noch für relativ gering. "Dass wir nun häufigere Infektionen von Säugetieren beobachten, liegt einfach an der schieren Masse der Infektionen unter Wildvögeln."

Eine Ausnahme davon sind möglicherweise Robben und Seehunde, die offenbar besonders empfänglich für den Erreger sind. Hier wurden inzwischen weltweit Infektionen unter verschiedenen Populationen gemeldet, unter anderem am Kaspischen Meer in Zentralasien, aber auch in Peru am Pazifik und an der Atlantikküste im Nordosten der USA und Kanada. Einen wissenschaftlichen Beleg für eine Übertragung innerhalb der Robbenarten gibt es aber noch nicht. Anders ist das beim Ausbruch in einer Nerzfarm in Spanien Anfang des Jahres.

Impfungen möglicherweise wichtigste Option für Gelfügelbetriebe

Nerze und ihre Verwandten wie Marder und Frettchen sind schon immer sehr empfänglich für Influenzaviren gewesen und werden deshalb unter anderem gerne für die Forschung verwendet. Als möglicher Zwischenwirt für eine Übertragung auf den Menschen, so wie sie als Theorie beim Coronavirus Sars-CoV-2 im Raum steht, wird sie bei den Nerzen derzeit aber nicht befürchtet. "Da spielen Schweine wahrscheinlich eine deutlich größere Rolle", sagt Beer. Versuche zeigen aber, dass die aktuelle Vogelgrippe kaum auf Schweine übertragen werden kann. Die Barriere scheint nach wie vor groß zu sein.

Personen in Schutzkleidung packen tote Hühner in Müllsäcke.
Geflügelpest 2011 in Hong Kong: Kommt es zu einem Ausbruch in einem Geflügelbetrieb, sind Massentötungen oft das einzige Mittel. Bildrechte: IMAGO / Xinhua

Trotzdem wird die Entwicklung neuer Impfstoffe ein zunehmend wichtiges Thema, besonders für Geflügelbetriebe. Während Züchter in Hochinzidenzgebieten wie Indonesien, Südostasien oder Ägypten ihre Tierbestände bereits seit langer Zeit gegen die Vogelgrippe immunisieren, war das in Europa bisher verboten. Ein Grund dafür sind Tests. Denn sie können bisher nur schwer unterscheiden, ob Tiere geimpft oder doch angesteckt waren. Infizierte Tiere aber sind vom Handel ausgeschlossen.

Neue Impfstoffe für Tiere und Menschen geplant

Neuere mRNA-Impfungen könnten dieses Problem beheben, indem sie sich nur gegen ganz bestimmte Einzelteile des Virus richten. Können bei einem Test nicht in der Impfung enthaltene Proteine nachgewiesen werden, wäre das ein eindeutiger Hinweis auf eine Infektion.

Forscher hoffen zudem auch auf eine wachsende Herdenimmunität unter Wildvögeln, die die Zirkulation des Erregers wieder bremsen könnte. Da es aktuell aber nicht danach aussieht, als wäre dieser Zustand bald erreicht, könnten Impfungen tatsächlich eine wichtige Option werden für Geflügelbetriebe auch in Europa.

Vorbereitungen für Übersprung auf Menschen

Erwartet wird zudem, dass in den kommenden Monaten Prototypen von Impfstoffen für Menschen vorgestellt werden. Ein Vorteil von H5N1 gegenüber Corona: Als Variante des lang bekannten Grippeerregers Influenza wäre keine vollständige Neuentwicklung von Impfstoffen notwendig. Zunächst könnte auch eine rasche Aktualisierung der Vorhandenen Vakzine ausreichen.

Der WHO wurden seit den ersten tödlichen H5N1-Fällen bei Menschen in Hongkong 1997 insgesamt 873 Fälle gemeldet. 458 der Infizierten starben, sagt der niederländische Virologe Ron Fouchier bei einer WHO Pressekonferenz in Genf am Mittwoch.

Fouchier warnt aber davor, daraus abzuleiten, dass das Virus beim Menschen oft zum Tod führt. Denn Ansteckungen ohne oder mit milden Symptome würden in der Regel nicht gemeldet und daher bei der Berechnung nicht gezählt. "Eine Pandemie steht vielleicht nicht direkt vor der Tür, aber es wäre keine schlechte Idee, die Notfallpläne zu überprüfen", sagt er. Bei der derzeit kursierenden H5N1-Entwicklungslinie 2.3.4.4b ist nach FLI-Angaben erst ein Todesfall bei Menschen erfasst: Im Oktober starb eine 38-jährige Chinesin nach Kontakt zu infiziertem Hausgeflügel.

Links/Studien

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR UM 4 | 22. März 2023 | 16:00 Uhr

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