Ein toter Baßtölpel an einem Strand
Die Vogelgrippe breitet sich aktuell überall auf der Welt unter Wildvögeln aus und tötet tausende Tiere, wie diesen Baßtölpel an der Nordseeküste. Bildrechte: IMAGO/reportandum

Vogelpest H5N1 Vogelgrippe gefährdet Artenschutz: Gewaltige Schäden an der Biodiversität

11. Februar 2023, 10:00 Uhr

Während ein H5N1-Ausbruch in einer spanischen Nerzfarm Sorgen vor einem Übergreifen des Virus auf die Menschheit weckt, sorgen sich Tierärzte viel mehr um die Verheerungen, die es unter Wild- und Zuchtvögeln anrichtet.

Das Vogelgrippevirus H5N1 hat schon einmal Menschen infiziert und umgebracht – zuletzt 1997 in Hong Kong, wo sich 18 ansteckten und sechs davon starben. Doch alle Betroffenen hatten sich das Virus bei Käfigvögeln geholt, eine Übertragung zwischen Menschen fand nicht statt. Deswegen ist der Ausbruch wie viele vorangegangene Übertragungen auf Säugetiere am Ende zeitlich und räumlich begrenzt geblieben.

Forscher befürchten aktuell keinen Übersprung auf Menschen

Auch der jüngste Fall in einer spanischen Nerzfarm im Oktober 2022 wird wohl ein lokales Ereignis bleiben, schätzt die Biologin Ursula Höfle von der Universität von Kastilien in La Mancha in Spanien, die den Vorfall mit ihren Kollegen untersucht. Zwar zirkulierte das Virus einige Wochen unter den Nerzen. Doch die haben eine Besonderheit: Sie sind grundsätzlich sehr empfänglich für Influenza, genau, wie die eng mit ihnen verwandten Frettchen.

Aufgrund dieser Affinität nutzen Wissenschaftler diese Spezies als Versuchstiere für Grippeviren. "Frettchen sind unser wichtigstes Modell für Influenza", sagt Martin Beer, Chefvirologe beim Friedrich-Loeffler-Institut, Deutschlands zentraler Einrichtung für Tiergesundheit. Sein britischer Konterpart Ian Brown, Chefvirologe der Tier- und Pflanzengesundheitsagentur (APHA), ergänzt: "Obwohl wir global gerade diese riesige Zahl an Infektionen unter Vogelpopulationen überall auf der Welt sehen, sehen wir zugleich, dass Infektionen von Menschen sehr, sehr selten sind."

H5N1 richtet gewaltige Schäden an der Biodiversität an

Kein Grund zur Panik also? Im Gegenteil: Die Wissenschaftler, vor allem Experten für Tiergesundheit, sind sehr besorgt über H5N1. Aber aus einem anderen Grund: Kein Grippevirus zuvor hat sich an so viele verschiedene Vogelspezies angepasst, kann frei von Tierhaltungen auf Wildvogelbestände übergehen und zurückspringen und dabei so tödlich für einzelne Spezies sein. "Es ist ein panzootischer Erreger geworden", sagt Martin Beer.

Ursula Höfle wird durch die Wandlungsfähigkeit des Virus immer wieder erstaunt: "Es ist bei Spezies aufgetreten, wo wir das nie erwartet hätten, etwa bei großen Aasfressern wie Geiern." Bei diesen Übersprüngen richte es mitunter ganze Vogelkolonien zugrunde. So sei es etwa für Pelikane besonders tödlich. Der Ausbruch in einer über 1.000 Tiere großen Kolonie stark gefährdeter Krauskopfpelikane in Griechenland habe fast alle das Leben kostet. Gerade etwa 60 Tiere überlebten. "Das Virus hat einen gewaltigen Impact auf die Biodiversität", befürchtet die Wissenschaftlerin.

H5N1: Zu viele Untervarianten, um alle zu bestimmen

Die Forscher schätzen, dass das Virus in den 1960er-Jahren in Vogelhaltungen in Asien entstand und durch schlechte Hygiene und geringe Sicherheitsvorkehrungen immer wieder auf Wildvögel übergreifen konnte. Menschen haben damals unfreiwillig Labore für das Virus geschaffen, in denen es seine panzootischen Potenziale ausbauen konnte. "Das Virus optimiert sich in Vögeln und die Übersprünge passieren eher zufällig", fasst Beer die bisherigen Beobachtungen zusammen.

Bei der Anpassung kommt ihm eine Besonderheit der Influenza zu Gute: Sein segmentiertes Erbgut. Trifft es in einem Wirt auf andere Influenzaviren, kann es mit ihnen Teile der Erbinformation austauschen. Auf diese Weise entstehen ständig neue Varianten. H5N1 ist nur ein Überbegriff, ähnlich wie Sars-CoV-2. Aber anders als bei Corona sind die Untervarianten bei der Vogelgrippe so zahlreich, die Mutationen so schnell, dass die einzelnen Versionen gar nicht mehr bestimmt werden können.

Mehr Vögel, mehr Übersprünge, mehr Virusvarianten

Bei der stetigen Rekombination gewinnt die Vogelgrippe ständig neue vorteilhafte Eigenschaften hinzu. So habe es beispielsweise geschafft, seine Saisonalität zu überwinden. Es werde nun nicht mehr nur in kühlen Jahreszeiten, sondern auch im Sommer von Tier zu Tier übertragen, sagt Ian Brown. "Dieses Virus scheint sämtliche Vogelspezies infizieren zu können, mit denen es in Verbindung kommt", stellt der Virologe fest.

Für Martin Beer ergeben sich daraus echte Horrorszenarien: Aktuell zirkuliert das Virus erstmals in Südamerika, bald könnte es mit Australien und der Antarktis auch die letzten Kontinente erreichen. Überall, wo es neue Vogelarten infiziert, stößt es dort auf heimische und bislang eher harmlose Influenzaviren. Und wieder entstehen neue Rekombinationen. "Mehr infizierte Vögel bedeuten mehr Übersprünge auf neue Arten und damit wieder neue Mixvarianten", sagt Beer.

Für einen Sprung auf Menschen müssten Mx-Gene überwunden werden

Aktuell zirkuliert das Virus besonders stark, weil auf der Nordhalbkugel der Winter zu Ende geht und im Süden der Herbst beginnt. Zugvögel wechseln also ihre Quartiere, nehmen Viren mit sich und tauschen sie unterwegs an den Rastplätzen aus. Treffen sie dort auf andere Säugetiere, etwa Seelöwen und andere Robben, und fressen diese Tiere dann am Virus verendete Vögel, kann es erneut zu Übersprüngen kommen. Aus Sicht der Forscher könnte das eine Erklärung sein für den Fund hunderter, an H5N1 Infektionen verendeter Seelöwen an den Ständen Perus vor einigen Tagen.

Wirklich gefährlich für Menschen könnte die Krankheit werden, wenn die Vogelgrippe lernt, sich an das menschliche Mx-Gen anzupassen. Das ist ein Teil der angeborenen Immunabwehr. "Bislang hat jedes Influenza-Virus, das zu einer Pandemie geführt hat, das Mx-Gen überwunden", erklärt Martin Beer. Das jüngste Beispiel dafür ist die Schweinegrippe von 2009, die erfolgreich auf Menschen übergesprungen war, dann glücklicherweise aber relativ bald wieder an Gefährlichkeit verlor.

Mx-Gene von Schweinen seien denen der Menschen sehr ähnlich, sagt Beer. Sollte es H5N1 gelingen, den Sprung in Schweine zu schaffen, sei dies ein ernster Anlass zur Sorge.

Vogelgrippe-Impfstoffe für Vögel sind nicht ohne Risiken

Eine Bekämpfung des Erregers jetzt schon ist zwar schwer, aber dringend. Menschen können einerseits die Hygiene-Bedingungen ihrer Geflügelzuchtbetriebe verbessern und mindestens verhindern, dass Wild- und große Zuchtvogelbestände miteinander in Kontakt kommen. Es gebe Weltgegenden, wo Millionen von empfänglichen Vögeln unter schlechten Bedingungen gehalten würden. "Das ist ein anhaltendes Risiko, das wir eng im Auge behalten müssen", sagt Martin Beer.

Ein mögliches Mittel gegen das Virus könnten Impfungen für Vögel sein, die allerdings mit neuen Risiken und Problemen einhergehen. Zum einen dürfte es schwer sein, Millionen Zuchttiere zu impfen. Zum anderen Besteht die Gefahr, dass sich Viren in geimpften Beständen asymptomatisch und unbemerkt weiter vermehren und an die Impfungen anpassen. Eine laufende Kontrolle und eine Anpassung der Impfstoffe wäre also unvermeidbar.

Menschen können sich nur geringfügig auf eine Pandemie vorbereiten

Auch die Menschheit kann sich nicht viel besser auf eine potenziell neue Pandemie vorbereiten, außer den Erreger möglichst eng zu überwachen. Einen Impfstoff im Voraus produzieren geht schon deshalb nicht, weil völlig offen ist, welche Virusvariante letztlich den Sprung schaffen könnte. Kommt es also zu einer neuen Pandemie, dürfte wieder Zeit vergehen, ehe Impfstoffe bereitstehen.

Ein Testset für einen Abstrich zur Untersuchung auf Vogelgrippe wird von einer Hand mit Gummihandschuhen gehalten, im Hintergrund hält eine weitere Person ein Huhn. 15 min
Bildrechte: IMAGO / Fotostand

+++ Vogelgrippe und Afrikanische Schweinepest in Polen und Tschechien +++ Spritpreisaffäre in Polen +++ Stolz auf Hockeyerfolge in Tschechien +++

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Sa 07.01.2023 11:52Uhr 15:04 min

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Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | SACHSEN-ANHALT-HEUTE | 31. Januar 2023 | 19:00 Uhr