Mutter und Kind in einen herbstlichen Wald
Herbsturlaub genießen - nur zu den vorgegebenen Ferienterminen oder vielleicht mit mehr terminlicher Flexibilität? An der Dresdner Universitätsschule ist das möglich. (Symbolfoto) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Winterferien Statt Ferien: Wie Schülerurlaub den Unterricht an der Universitätsschule verändert

04. Oktober 2023, 16:22 Uhr

Wie verändert sich Schule, wenn nicht alle gleichzeitig Ferien haben, sondern alle ihren Urlaub frei wählen können? An der Universitätsschule in Dresden wird dieses Konzept praktisch ausprobiert.

In Sachsen und Thüringen haben die Herbstferien begonnen. Nicht alle Familien freuen sich darüber, manchmal kollidiert die schulfreie Zeit der Kinder auch mit beruflichen Terminen der Eltern. In Dresden aber testet eine Schule größere Flexibilität. Am Schulversuch "Universitätsschule" wir ausprobiert, wie sich Unterricht und Organisation verändern, wenn die Schülerinnen und Schüler ihren Urlaub frei wählen können.

Anke Langner ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt "Inklusive Bildung" an der TU Dresden und begleitet den Schulversuch wissenschaftlich. Im Interview schildert sie, was sich alles verändert, wenn Kinder und ihre Familien den Zeitpunkt ihrer Ferien frei wählen können.

An der Universitätsschule gibt es Schüler-Urlaub anstatt Ferien. Wie funktioniert das in der Praxis? Haben die Schüler wie Arbeitnehmer eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen, die sie nehmen können, wann sie möchten?

Anke Langner: Genau. Vom Konzept her ist es so gedacht, dass die Schülerinnen und Schüler ein bisschen mehr als 40 Urlaubstage haben, die sie frei bestimmen können. Allerdings müssen sie diese in Blöcken nehmen und dürfen nicht regelmäßig eine Schulwoche auf vier Tage verkürzen. Und sie müssen mindestens zwei Mal zwei Wochen oder einmal drei Wochen am Stück aus der Schule raus sein. Hintergrund ist, dass die Kinder und Jugendlichen unterschiedlich viel Zeit zum Lernen benötigen. Aus Studien wissen wir, dass gerade Schülerinnen und Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Familien in den sechs Wochen langen Sommerferien am meisten von ihrem Gelernten wieder verlieren. Ihr Lernprozess wird in einer so langen Zeit um bis zu einem halben Schuljahr zurückgesetzt. Deswegen ist ein steuerbarer Urlaub ein ganz zentrales Element für den Schulversuch Universitätsschule.

Warum haben die Schülerinnen und Schüler eine Pflicht zum mehrwöchigen Urlaub?

Anke Langner, Erziehungswissenschaftlerin der TU Dresden
Prof. Anke Langner Bildrechte: MDR/Technische Universität Dresden

Das kennen Sie aus dem Berufsleben: Ein verlängertes Wochenende bietet nicht genug Erholungseffekt. Mehrere Wochen sind wichtig, damit man Abstand von der Schule findet. Diese Zeit ist bei uns auch wirklich frei, da gibt es keine Bücher, die gelesen werden müssen, oder andere Aufgaben, wie sie manchmal in klassischen Schulen aufgegeben werden, wenn die Unterrichtszeit nicht ausgereicht hat. Wir sprechen aber auch bei uns weiterhin von Ferien. Das hat unter anderem mit Eltern zu tun, die zum Teil den Urlaub ihrer Kinder wie den eigenen Urlaub behandeln. Das ist ein hochemotionales Thema.

Zur Person Anke Langner ist seit 2014 Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Inklusive Bildung an der TU Dresden. Zuvor forschte und lehrte sie auf dem Gebiet inklusiver Pädagogik und arbeitete als Lehrerin.

Sie haben die Erfahrung gemacht, dass die Kinder nicht genug Urlaub nehmen, wenn Sie diese Vorgabe nicht machen?

Ja. Wir haben, durchaus überraschend, festgestellt, dass es offenbar Eltern gibt, denen es nicht so wichtig ist, mit den eigenen Kindern in den Urlaub zu fahren. Das hat natürlich viel mit dem Berufsleben zu tun. Für Eltern ist es oft nicht einfach, alles unter einen Hut zu bekommen. Die Eltern melden bis zum 16. Lebensjahr die Urlaubszeiten für ihre Kinder an und bei manchem Schüler oder mancher Schülerin wurde weniger Ferien gebucht als durch die Schule bestimmt. Vor allem für die Grundschüler und Grundschülerinnen ist das ein wichtiges Thema, es gibt keinen Hort, der Ferienfreizeit gestaltet, Schule bedeutet bei uns immer begleitetes Lernen durch Lehrer. Deswegen ist es einfach wichtig, dass sie da mal ganz rauskommen und nicht täglich in der Schule sind.

Wie funktioniert das in der Praxis: Nehmen die Eltern die Ferienzeiten für ihre Kinder wirklich über das Jahr verteilt oder orientieren sie sich vielleicht doch an den offiziellen Schulferien, weil es zum Beispiel Geschwister auf anderen Schulen gibt?

Die Universitätsschule Dresden
Die Universitätsschule in Dresden. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Ein grundsätzliches Problem für uns ist aktuell, dass unser Bedarf an Lehrpersonal nur zu 85 Prozent abgedeckt war zum Start des Schuljahres. Da geht es der Universitätsschule wie vielen anderen Schulen auch. Deswegen können wir nicht durchgängig Unterricht und Betreuung anbieten, weil auch unsere Lehrer mal in den Urlaub fahren und sich regenerieren müssen. Deswegen haben wir in diesem Schuljahr frei bewegliche Ferientage und auch ein paar feste Schließwochen. Die Eltern müssen meistens am Ende des Jahres für das Folgejahr die längeren, mehrwöchigen Ferien für ihre Kinder anmelden. Dann können wir schauen, in welchen Zeiten die Lehrerinnen und Lehrer in den Urlaub gehen können, sodass wir das in Einklang bekommen. Oft ist das tatsächlich auch in den klassischen Ferienzeiten, weil es Geschwister an anderen Schulen gibt. Wobei es ebenfalls Eltern gibt, bei denen alle Kinder die Universitätsschule besuchen und die die Möglichkeit, in den Urlaub zu fahren, wenn gerade keine Ferienzeiten sind, sehr rege nutzen.

Die Urlaubszeiten werden also zwischen der Schule und den Familien ausgehandelt. Dafür können sich dann alle über freie Strände oder Skipisten freuen.

Es ist auch eine Kostenfrage. In der Vor- und Nebensaison kosten Unterkünfte weniger.

Wann sind denn die festen Schließzeiten?

Eine der Ruhephasen ist über Weihnachten, die bei uns im vergangenen Jahr auch früher angefangen und etwas länger gedauert hat als an den anderen Schulen. Da merken wir, das tut allen sehr gut. Und im Sommer benötigen wir immer eine Vorbereitungswoche für die Lehrerinnen und Lehrer, wo die Schule geschlossen ist, und eine Woche für die Grundreinigung des Schulgebäudes. Auch da sollten wenige oder am besten gar keine Schülerinnen und Schüler da sein. Diese zwei Wochen können die Eltern berücksichtigen. Wenn sie noch eine Woche dranhängen, haben sie das Format Drei-Wochen-Schulfrei erfüllt.

Wir sind da wirklich noch in der Erprobung, das muss man ehrlich sagen. Es gibt ganz viele Vorteile, aber wir alle sind es auch noch nicht gewohnt. So gibt es manchmal Reibungen. Wir sind immer noch dabei, ein gutes Format der Aushandlung zu finden, damit alle Bedarfe gut abgedeckt werden. Ich denke, wir brauchen noch drei Jahre, bis wir einen wirklich guten Umgang mit unseren frei wählbaren Ferientagen haben.

Begleiten Sie dieses Experiment auch wissenschaftlich und werden Sie Studien dazu veröffentlichen?

Eine Klasse in der Universitätsschule Dresden
Kinder erarbeiten sich gemeinsam Lerninhalte beim Schulversuch Universitätsschule. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Ja, denn Zeitfenster sind ja eines der wichtigsten Elemente in Schule. Zum einen befragen wir Lehrer, Schüler und Eltern dazu, wie es Ihnen mit den beweglichen Ferien geht. Zum anderen haben wir gemerkt, dass Unterricht anders entwickelt wird, wenn Lehrerinnen und Lehrer damit umgehen müssen, dass permanent nicht alle Schülerinnen und Schüler gleichzeitig anwesend sind. Sie können nicht davon ausgehen, dass alle gleichschrittig weitergehen in ihrem Lernprozess, sondern da ist mal jemand für zehn Tage nicht da. Und dann geht der andere wieder für zehn Tage. Aus der wissenschaftlichen Perspektive würde ich sagen, das war einer der wichtigsten Effekte der letzten dreieinhalb Jahre. Der Urlaub hat dazu geführt, dass Lehrer den Unterricht von den Schülern und Schülerinnen aus denken. Und das ist ja unser Ziel bei diesem Schulversuch.

Die Lehrerinnen und Lehrer müssen also mehr darauf achten, dass alle Schülerinnen und Schüler die einzelnen Lernschritte gehen?

Genau! Ziel dieses Schulversuches ist ja, individuelle Entwicklungswege in kooperativen Lernsettings zu etablieren. Lehrende müssen es also schaffen, dass Schüler und Schülerinnen jederzeit ein- und wieder aussteigen können. Wir haben auch nur wenige lehrerzentrierte Unterrichtsphasen, wo der Lehrer und die Lehrerin vorn steht.

Aber dann müssen die Schüler doch sicher darauf achten, dass sie ihre Urlaube auf ihre Lern- und Projektgruppen abstimmen oder?

Ja und hier hilft uns eine Schulmanagementsoftware. Sie zeigt den Schülerinnen und Schülern: Wenn du dich für dieses oder jenes Projekt entscheidest, bist du wegen deines Urlaubs nur einen Teil der Zeit da. Wie möchtest du dich daran beteiligen? Für diese Prozesse brauchen wir digitale Unterstützung. Normalerweise wird ein Stundenplan am Anfang des Schuljahres entwickelt und dann steht er für ein Jahr. Bei uns gibt es alle sechs Wochen eine Veränderung, und der Urlaub der Schülerinnen und Schüler muss berücksichtigt werden.

Wie gehen Sie mit spontanen Urlaubswünschen um? Wer gerne Ski fährt, ist ja auf das richtige Wetter angewiesen, das sich aber nicht lang im Voraus planen lässt.

Kurze Urlaube – ein verlängertes Wochenende oder eine Woche von Montag bis Freitag – sind jederzeit möglich. Nur was zeitlich darüber hinaus geht, muss angemeldet werden. Nicht zuletzt, weil wir ein ausgewogenes Verhältnis in der An- und Abwesenheit des Lehrpersonals zu den Schülern und Schülerinnen herstellen müssen. Die Lernformate sind flexibler, es gibt keine klassische Fächerverteilung – Mathe, Deutsch, Englischunterricht – sondern es gibt Projektarbeit und Atelierarbeit. So dass Schülerinnen und Schüler zum Ausgleich dann fokussierter an ihren Projekten arbeiten, wenn ihnen eine Woche im Projekteteam fehlt, oder wenn sie einen Projektzyklus auslassen und stärker selbstreguliert lernen im Atelier.

Lerngruppe in der Universitätsschule Dresden.
Lernsetting in der Universitätsschule. Bildrechte: Maik Faber

Wie groß ist der Aufwand für die Urlaubsplanung an der Schule?

Wir haben keine zusätzlichen personellen Ressourcen. Unsere Ausstattung in Bezug auf Schulleitung, Administration, Verwaltung entspricht dem, was klassische Schulen auch haben. Wir lösen das digital und entwickeln unsere Schul- und Lernmanagementsoftware parallel zu unseren Herausforderungen Jahr für Jahr weiter. Dort gibt es auch das Urlaubseinreichungs-Tool. Das ist so geregelt: Bestimmte Urlaubszeitfenster können die Stammgruppenleiter freigeben, das entspricht bei uns den Klassenlehrerinnen und -lehrern. Nur wenn es komplexere Anfragen gibt, ist die Schulleitung gefordert. Eltern dürfen bestimmte Urlaubstage auch wieder zurückgeben.

Sehen Sie außer den Folgen für Unterrichtsgestaltung noch weitere Effekte? Ferien zu haben und gemeinsam in die Ferien zu fahren, ist ja immer auch etwas sehr Prägendes für die eigene Schulzeit.

Kinder lernen zusammen bei einer Gruppenarbeit auf Bodenmatten
Gemeinsame Projektarbeit von Kindern an der Universitätsschule. Bildrechte: Markus Jüngling

Das wird wahrscheinlich wichtiger werden, wenn die Schülerinnen und Schüler älter werden. Gerade ist der älteste Jahrgang in der Universitätsschule der achte Jahrgang. Gut möglich, dass wir das Konzept in den späteren Jahrgängen, neun bis zwölf, anpassen müssen. Bisher war es eher so, dass viele von den großen Schülerinnen und Schülern ihren Urlaub nicht vollumfänglich nehmen wollten. Die haben immer gesagt: Das macht uns so einen Spaß hier, hier treffen und sehen wir unsere Freunde. Was auch ein Ziel des Schulversuchs ist: Die Schule als Lebensraum und nicht nur als Lernraum zu etablieren. Aber wir sind in engem Austausch mit den Schülerinnen und Schülern, was ihre Bedürfnisse sind. Ein Ergebnis davon ist, dass die Älteren später in die Schule kommen. Die fangen erst um neun Uhr an mit dem Lernen, nicht um acht, wie es bis zum sechsten Jahrgang die Regel ist.

Kennen Sie andere Schulen, die ähnliches Konzepte in Bezug auf die Ferien verfolgen?

Nicht in Deutschland. Aber in Skandinavien und den USA gibt es Konzepte, bei denen man ein paar flexibel planbare Ferientage hat. Wir müssen auch sehen, wie wir es in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Mein Ziel wäre, dass man die 40 Tage vollumfänglich frei einsetzen könnte. Das wäre eigentlich die ideale Lösung, sowohl für Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler. Dazu muss man aber auch sagen, dass die Lehrkräfte bei uns weniger schülerfreie Tage haben als im normalen Schulsystem. Dort sind Ferien auch Arbeitszeit für Lehrkräfte, wenn sie dafür keinen Urlaub beantragt haben. In der Zeit müssen sie aber nicht unterrichten und mit Schülerinnen und Schülern kommunizieren.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 10. Januar 2023 | 20:00 Uhr

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