Schneckenforschung in Görlitz "Spanische Wegschnecke": Die Geheimnisse ihres Erfolges
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29. Juli 2021, 10:00 Uhr
An Schnecken selbst kann man sich nicht die Zähne ausbeißen, aber am Studium der schleimigen Weichtiere schon. In Görlitz haben Schneckenforscher herausgefunden, warum sich die Wegschnecke Arion vulgaris in Europa so massiv ausbreiten konnte und wie sich das regional auf die Fauna auswirkt.
Schneckenforschung ist Detektivarbeit in Slowmotion: Wer paart sich mit wem, wie entwickelt sich die Brut, warum verdrängen die einen die anderen, was hat das für Auswirkungen? Genau das hat ein Team mit Malakologin Dr. Heike Reise am Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz in den vergangenen Jahren erforscht.
Ein zähes Stück Arbeit - nicht, weil die Schnecke Arion vulgaris besonders schnell wäre, sondern weil sie besonders effektiv in der Ausbreitung ist. Wer kopuliert seit wann wo mit wem, wie entwickeln sich die Nachkommen und deren Nachkommen? Den Hybriden, Nachkommen hiesiger und vermeintlich "spanischer" Wegschnecken, sieht man ihre biologische Herkunft nicht an. "Laien können die von außen nicht unterscheiden", sagt Dr. Heike Reise.
Fressfeinde dagegen schon: Um "Arion Lusitanicus" machen die Fressfeinde anderer Nacktschnecken einen großen Bogen. Igel, Spitzmäuse, Amseln, Stare, Kröten und Blindschleichen würden an Arion vulgaris ersticken, weil sie viel mehr Schleim absondert als ihre einheimischen Kollegen. Ein erster Erfolgsfaktor für die Ausbreitung der rotbraunen Schleimer.
Ein anderer Erfolgsfaktor ist den Forschungen des Senckenberg Museums für Naturkunde in Görlitz zufolge ihr Kopulationsverhalten. Dabei trumpft Arion vulgaris, wie die vermeintlich spanische Wegschnecke richtig benannt wird, mit einem ausgefuchsten Zyklus auf:
Paart sich eine Arion vulgaris mit einer einheimischen Schnecke, sehen die Hybriden immer noch aus wie die Elternart.
Und je mehr Hybriden herumkriechen, um so kleiner die Chance einer heimischen Schnecke, eine echte Artgenossin zu treffen, erklärt Schneckenforscherin Heike Reise. Um so größer ist also die Chance für Arion Vulgaris, nur noch auf Arion Vulgaris zu treffen. Die Hybriden selbst vermehren sich den jüngsten Senckenberg-Forschungen zufolge nicht weiter. Aber regional betrachtet können so eben andere heimische Nacktschnecken aussterben, wie das Beispiel Arion rufus in der Region Görlitz zeigt: Die ist verschwunden.
Fortpflanzungsorgane verraten die Herkunft
All das sieht man aber nur, wenn man ganz tief in die Weichtiere hineinschaut und weiß, wonach man suchen muss. Für die Görlitzer Studie haben in den vergangenen Jahren tausende Schnecken ihr Leben gelassen: 2.055 Schnecken aus Görlitz und Umgebung wurden aufgeschnitten, verglichen und analysiert - detektivische Kleinarbeit also. Hinzu kamen 529 Exemplare, die zwischen 1966 und 2014 sporadisch gesammelt worden waren. Das Innere hat gezeigt: Arion rufus und Arion vulgaris unterscheiden sich in den Fortpflanzungsorganen: "Anhand der Fortpflanzungsgenitalien, Atrium und Oviduct, sieht man dann, mit wem es zu tun hat." Unterschiede gibt es auch im Gencode, sagen die Görlitzer. Das ergaben Abgleiche von Gendaten regionaler Schnecken-DNA-Sequenzen mit welchen von den britischen Inseln, aus Skandinavien, Polen, der Schweiz, Frankreich, Island und den USA.
Weitere Funde der Studie: In und um Görlitz gibt es drei verschiedene Formen, die sich morphologisch und genetisch unterscheiden. Die in Görlitz ehemals häufigste Schnecke entspricht einer Unterart, die in Mittel- und Westeuropa weit verbreitet ist. Eine zweite Form ist vor allem aus Großbritannien bekannt.
Die dritte Form ist die in Nordeuropa heimische Schwarze Wegschnecke, deren Vorkommen so weit im Süden allerdings noch unbekannt war.
Diese Schnecke aus dem Norden, Arion Ater, scheint derzeit noch nicht betroffen zu sein von den umtriebigen "spanischen" Nacktschnecken in und um Görlitz. Die Forscher fanden bei ihren Sammlungen dort weder Hybriden der beiden Typen, noch Hinweise darauf, dass sich die Arten in die Quere kommen. Noch, sagt Dr. Reise - es sei nur eine Frage der Zeit, bis Arion vulgaris auch den Wald als Habitat entdeckt. Dort lebt die schwarze Wegschnecke. Arion vulgaris hat ihre Habitate dagegen in großen und kleinen Gärten sowie in der Landwirtschaft, wo sie für Fraßschäden sorgt. Wählerisch ist sie dabei nicht. Ob Erdbeeren, Kohl, Kartoffeln oder Bohne: Ihr schmeckt so ziemlich alles.
Warum eigentlich "Spanische Wegschnecke"?
Ihren falschen Namen verdankt Arion lusitanicus, die spanische Wegschnecke, der landläufigen Meinung, dass sie in den 60er-Jahren quasi per Anhalter, in Gemüsetransporten, Erdklumpen an Lkw-Reifen oder über Mülltransporte durch Mitteleuropa reiste. Dass die Bezeichnung "spanische Wegschnecke" irreführend ist und inhaltlich falsch - das ist seit 2014 wissenschaftlich belegt. Trotzdem hält sie der Name hartnäckig in der Umgangssprache.
In DNA-Forschungen hatten Görlitzer Forscher nachgewiesen, dass diese Schneckenart gar nicht aus Spanien kommen kann. In einer Studie waren an 60 Orten in Frankreich, Spanien, Großbritannien und den Beneluxländern 300 Exemplare der Schnecke gesammelt und bestimmt worden. Die Erbinformationen zeigten viele verschiedene Genvarianten, aus denen die Forscher einen Stammbaum erstellten, den sie mit der geographischen Verbreitung in Verbindung setzten. Der zeigte eindeutig: In Spanien war Arion Lusitanicus noch nie heimisch.
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