Herbststimmung im Abendlicht auf den Auenwiesen, Biosphärenreservat Mittlere Elbe
Herbststimmung im Abendlicht auf den Auenwiesen im Biosphärenreservat Mittlere Elbe Bildrechte: imago/imagebroker

Ökosystem Wald im Klimawandel Rettet eine kanadische Esche die Elbauenwälder in Sachsen-Anhalt?

13. März 2022, 05:00 Uhr

Neophyten, also "gebietsfremde Pflanzen" haben keinen guten Ruf: Die einen verdrängen einheimische Arten, die anderen breiten sich mangels natürlicher Gegenspieler uneingeschränkt aus oder bringen einfach das ökologische Gleichgewicht durcheinander. Eine Studie aus Würzburg zeigt anhand einer regionalfremden Baumart in Sachsen-Anhalt, dass sie dem Klimawandel trotzt und gleichzeitig Ersatzlebensraum für einheimische Käferarten geworden ist. Ein Modell, das Vorbild sein kann?

Eigentlich haben Neophyten, also Pflanzen, die Menschen bewusst oder zufällig an nicht-heimischen Standorten eingeführt haben, einen schlechten Ruf. Die Rot-Esche Fraxinus pennsylvanica stammt aus Nordamerika und wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts im heutigen Biosphärenreservat Mittlere Elbe angesiedelt. Die Bäume kommen gut mit Überflutungen zurecht. Aber wie haben sie sich in die Natur eingefügt? Und wie hat die Natur sich mit ihnen arrangiert? Wie viele und welche Arthropoden, also Spinnentiere und Insekten nutzen ihre Baumkronen als Lebensraum? Das hatte ein Forschungsteam der Universität Würzburg 2016 und 2017 untersucht. "Die Ergebnisse haben uns tatsächlich überrascht, eigentlich gilt die Eiche als das Nonplusultra, wenn es um Insektenvielfalt in den Bäumen geht", sagt Dr. Andreas Floren. Seine Studie zeigte, dass die Esche für den Wald eine große Rolle spielt, wenn es um Artenvielfalt und -vorkommen geht.

Mit seinem Team hatte er in der Nähe von Dessau, im Gebiet Saalberghau und Steckby-Lödderitzer Forst, 121 Bäume erfasst, 64 einheimische Eschen und 57 nordamerikanische. Insgesamt wurden 15.214 Käfer gezählt, und 547 verschiedenen Käfer-Arten analysiert, stellvertretend für die Insekten, um Hinweise auf die Funktionen von Insekten in den Baumkronen zu erhalten.

Aber wie zählt man eigentlich Insekten in Baumkronen? Schon beim simplen Zählen im Garten bleibt kein Insekt geduldig auf einer Blüte sitzen, bis ein Mensch die Farbe der Beine, die Streifen und Farben auf dem Hinterteil, die Anordnung der Flügel etc. analysiert hat. Dr. Andreas Floren seufzt. Ein leidiges Thema. Einzelne Baumkronen werden mit natürlichem Pyrethrum eingenebelt, erzählt der Forscher und erläutert: Dabei handelt es sich um einen Auszug aus Chrysanthemen auf einem öligen Trägermittel.

Baum Benebelung
Benebelung der Bäume mit natürlichem Pyrehtrum Bildrechte: Dr. Andreas Floren

Es betäubt die Tiere und verweht auf kurze Distanz schnell wieder, wodurch keine weiteren Insekten auf anderen Bäumen betäubt werden. Käfer und andere Insekten fallen aus den eingenebelten Baumkronen auf Planen am Boden, werden im Labor gezählt und systematisch bestimmt. Einnebeln, geht das nicht anders? Ja, schon, sagt der Forscher, nur liefern andere Methoden wie die Kreuz-Fenster-Fallen nur einen sehr unvollständigen Ausschnitt der tatsächlichen Baumkronen-Insektenvielfalt, während die Benebelung eine komplette Bestandsaufnahme aller freilebenden anwesenden Insekten zum gleichen Zeitpunkt liefert. Und egal, ob die Insekten nun benebelt oder zufällig in eine Fenster-Falle gekrabbelt oder geflogen sind: Nur die Auswertung der Proben kann zeigen, ob sie zufällig im Baum waren oder zu der baumspezifischen Gemeinschaft gehören. "Im Freiland lassen sich höchstens Schmetterlinge, die man im Netz einfängt, bestimmen, aber keine Hautflügler, Käfer oder Fliegen", sagt der Forscher. 

benebelte Insekten
Insekten, die Eschen besiedeln Bildrechte: Dr. Andreas Floren

Einmal ausgezählt und bestimmt zeigte sich bei den Dessauer Eschen, dass auch auf den Rot-Eschen viele Käferarten leben, die mit der einheimischen Esche assoziiert sind und die für die Baumart typischen Gemeinschaften bilden. Insgesamt kamen in ihren Kronen weniger Arten vor als auf den einheimischen Eschen.

Bestandsaufnahme nach den Dürrejahren

Eigentlich wäre damit die Eschen-Vergleichsanalyse auserzählt gewesen. Doch dann kamen die Trockenjahre 2018 und 2019. 2020 bekam Andreas Floren den Auftrag für ein Monitoring im Biosphärenreservat Mittlere Elbe. "Das war gespenstisch dort. Man hat sofort gesehen, dass die einheimische Esche großflächig abgestorben ist, selbst die großen Bäume waren alle tot," so schildert der Wissenschaftler seine Eindrücke aus dem Jahr 2020.

Eschenstamm vom Specht zerhackt
In die Stämme der kranken Eschen haben Spechte gehackt, auf der Suche nach Insekten Bildrechte: Dr. Andreas Floren

In Zahlen sah das so aus: 80 Prozent der einheimischen Eschen waren abgestorben. Das wurde vornehmlich auf die Dürren 18/19 zurückgeführt, was zeigt, wie sich der Klimawandel auf die Wälder auswirken kann. Jeweils sieben Bäume der einheimischen und der Rot-Esche wurden untersucht. Dabei zeigte sich, dass Käfer, die in Sachsen-Anhalt bereits auf der Roten Liste standen, sich massiv vermehrt hatten. Den Eschen, geschwächt vom Hitzestress, fehlten die Kräfte, um potentielle Schädlinge wie Käfer und Pilze abzuwehren, die ihnen in gesundem Zustand wenig anhaben können. Die nordamerikanischen Eschen dagegen hatten die biologisch stressigen Jahre schadlos überstanden, wie das Würzburger Forschungsteam feststellte. Die Käferpopulation in den Baumkronen hatte sich verändert, viele Arten waren von der einheimischen auf die Rot-Esche gewechselt. In der Not frisst der Teufel Fliegen, sagt der Volksmund – der Käfer nutzt die Rot-Esche einfach als "second best choice", wie der Forscher sagt: Besser ein Baum mit halbwegs passendem Lebensraum als gar keiner.

Rot-Esche: Wahlheimat mangels heimischer Eschen

Womit Fraxinus pennsylvanica also zu einer Art Rettungsanker für die heimische Fauna werden könnte, wenn die einheimische Esche verschwindet. Ein ungewöhnlicher Fall, dass Neophyten für den Erhalt einheimischer Fauna wichtig werden, meint der Forscher. Möglich sei das nur durch das enge Verwandtschaftsverhältnis der beiden Eschen-Arten. Übertragen auf andere Bäume lässt sich das aber nicht, was insbesondere auch für die Forstwissenschaft gilt. In Folge des Klimawandels werden andere dürre-resistente Baumarten gesucht, um die Wälder widerstandsfähiger gegen Dürre und andere Klimawandelfolgen zu machen.

Andreas Floren bemängelt die fehlende Forschung dazu. "Wir wissen viel zu wenig darüber, wie sich zum Beispiel Douglasien in unsere Wälder einfügen." Trockenheits-resistente Bäume zu suchen, sei das eine. Einheimische Tiere und Pflanzen bilden aber die Kehrseite der Medaille: Sie sind nicht an fremde Arten angepasst; man weiß nicht, ob die heimischen Spezialisten in den Baumkronen überleben können oder welche Funktionen sie im komplexen Zusammenspiel des Waldökosystems einnehmen. Und man wisse auch nicht, wie sich eine Baumart auf lange Sicht entwickelt, ob sie selber invasiv und damit zu einer Plage wird und mit welchen Folgen für das Ökosystem zu rechnen ist. Eine Zeitfrage, denn Bäume wachsen langsam, die Natur ist keine Fertigbackmischung, sondern ein langsam gärender Organismus.

Dass mit der Rot-Esche ein naher Verwandter angesiedelt wurde, den auch die Bewohner der heimischen Eschen-Baumkronen teilweise adaptieren, ist laut Floren ein Glücksfall. Genau wie der Umstand, dass man anhand des Eschen-Sterbens wie in einem Knock-Out-Versuch, bei dem ein Bestandteil entfernt wird, analysieren kann, welche Folgen dies für das Ökosystem hat. "Jetzt müsste man weiterforschen und beobachten, wie sich die Rot-Eschen und ihre Käfer- und Insekten-Gemeinschaften entwickeln, sagt der Forscher. "Wenn wir nämlich Wälder neu aufbauen, müssen wir nicht nur auf die Zusammensetzung der Baumarten gucken, sondern auch auf das Zusammenspiel der Arthropoden in den Baumkronen. Die werden als Lebensräume bisher viel zu wenig wahrgenommen", sagt der Biologe. Dabei erfüllen die Insekten, Spinnen und Wirbeltiere oben in den Geästen viele verschiedene Funktionen, wie Bestäubung, Abbau organischer Biomasse oder die Kontrolle potentieller Schad-Arten, ohne die kein Wald funktionieren kann.

Links/Studien

Die Studie wurde im Fachmagazin Sustainability veröffentlicht. Sie können Sie hier im Original lesen.

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