Copernicus: Europäische Lage zum Klima 2023 Heiß, nass, Badewanne: Europa ist im Klimawandel angekommen
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22. April 2024, 04:59 Uhr
Angesichts der Hitzewellen und Wassermassen lässt sich beim Jahr 2023 nicht mehr einfach nur von Wetter sprechen. Das bestätigt der inzwischen siebte Bericht zur europäischen Lage des Klimas, der jetzt veröffentlicht wurde. Darin ist auch zu lesen: Der Klimawandel hat bereits jetzt viele Menschenleben und viel Geld gekostet.
- Europa war 2023 geprägt von klimawandelbedingten Wetterextremen
- … und ist der Kontinent, auf dem sich das Klima besonders schnell erwärmt
- Im Ergebnis brachten Wetter und Klima 2023 nicht nur hohe finanzielle Verluste, sondern vor allem auch Verluste an Menschenleben
- Es gibt aber auch gute Nachrichten
So ganz freiwillig wandert die Winterjacke in der zweiten Aprilhälfte ja nicht aus der Mottenkiste. In einem Monat, in dem bereits nach vorbildlich-bundesdeutscher Manier angegrillt oder zumindest angesonnenbadet wurde und man fast vergessen hat, wie sich so ein April ja nun eigentlich anzufühlen hätte. Bei den auch schon in diesem Jahr allgegenwärtigen hochsommerlichen Werten im Frühjahr stellt sich schnell die Frage: Ist das noch Wetter oder schon Klimawandel? Gut zu wissen, dass man mit der Frage nicht alleine ist und unser Kontinent, Europa, in dieser Hinsicht unter Langzeitbeobachtung steht. Und zwar vom Klimawandeldienst des europäischen Erdbeobachtungsnetzwerks Copernicus.
Das liefert im jetzt erschienenen European State Of The Climate Report (ESOTC) gleich die entsprechende Antwort: Es ist der Klimawandel, ja, und es ist alles andere als erbaulich. Das Jahr 2023 war das zweitwärmste in Europa seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (oder sogar das wärmste – kommt ein bisschen auf den Datensatz an). In Erinnerung dürfte den meisten zum Beispiel die Hitzewelle im September geblieben sein, dem wärmsten September, der jemals gemessen wurde. Gleichzeitig hat es Winterfreunde in Mitteleuropa besonders schwer getroffen, 2023 gab es weniger Schneetage als im Durchschnitt. Und, viele können diese Leier wahrscheinlich nicht mehr hören: Die europäischen Gletscher schmelzen weiter munter dahin. Besonders schlimm ist das in den Alpen, wo die Eispanzer in den vergangenen zwei Jahren zehn Prozent ihres Restvolumens verloren haben.
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Zusammenfassend lässt sich sagen: 2023 war im Vergleich zum langjährigen Mittel in elf von zwölf Monaten zu warm. Mit Blick auf den Beginn des aktuellen Jahres und die nun fast gewöhnlich anmutenden Temperaturrekorde scheint der Trend eindeutig: Die Geschichte der vergangenen Jahre und Jahrzehnte wird fortgeschrieben. Zu dieser Geschichte gehört die Tatsache, dass die drei wärmsten Jahre in Europa alle seit 2020 aufgetreten sind. Und die zehn wärmsten alle seit 2007. Europa macht seinem Ruf also alle Ehre, als Kontinent, der sich von allen am schnellsten erwärmt.
Klimaerwärmung: In Europa geht's besonders schnell
Nur, wieso bloß ist das so? Francesca Guglielmo ist leitende Wissenschaftlerin beim Copernicus Klimawandeldienst der Europäischen Union und damit eine, die es wissen muss. Sie betont, dass sich Europa erstmal unterschiedlich erwärmt: "In der Wintersaison ist die Erwärmung in den nördlichen Breiten stärker ausgeprägt. Im Sommer ist die Erwärmung in Mittel- und Südosteuropa sowie in der Mittelmeerregion am stärksten."
Und das lässt sich beim Blick auf die vorliegenden Daten auch sehen, die zeigen, dass starke und extreme Hitzestressbelastung in Südeuropa in den letzten Jahren vielerorts ein großes Thema war. Der Grund für die schnelle Erwärmung Europas hat mehrere Faktoren. Ein Grund ist, dass unsere Luft sauberer geworden ist. Also Rußpartikel sind nicht mehr so das Thema, was an und für sich eine gute Nachricht ist. Damit wird aber auch weniger Sonneneinstrahlung abgeschirmt als im 20. Jahrhundert. Und es gibt noch mehr Gründe, sagt Francesca Guglielmo: "Darunter den Anteil des europäischen Territoriums in der Arktis, der sich am schnellsten erwärmenden Region der Erde und Änderungen in der atmosphärischen Zirkulation, die tendenziell häufiger sommerliche Hitzewellen begünstigen." So eine hatten wir vergangenes Jahr sogar im September.
Wenn man jetzt mal genau diesen September 2023 ausklammert: So rein vom Gefühl her war der Rest von 2023 aber zumindest in Mitteleuropa eher durchwachsen. Dieser Eindruck entsteht vielleicht auch, weil wir uns schlichtweg schon an die subtropischen Zustände gewöhnt haben und Mediterranisierung zum Lieblingssommerwort der Deutschen herangereift ist. Aber es stimmt auch, der Sommer war nicht durchgängig superheiß, sondern "nur leicht zu warm", möchte man fast sagen. Im Juli und August gab es in vielen Teilen Deutschlands teilweise keine oder nur wenig positive Abweichungen vom Mittel. Aber gerade im Südeuropa sah das ganz anders aus, dort ging eine Vielzahl von Tagen mit nicht nur hoher, sondern mit extremer Hitzebelastung einher. 23 der dreißig heftigsten Hitzewellen in Europa sind seit 2000 aufgetreten, fünf davon in den vergangenen drei Jahren.
Klimawandel heißt nicht warm und trocken
Der Klimawandel ist aber nicht einfach nur heißes Wetter, sondern zeigt sich in der Häufung von Wetterextremen. Dazu zählen nicht nur Hitzewellen, sondern auch Niederschlagsextreme. Eine Disziplin, in der das vergangene Jahr geradezu prototypisch war. Seit Beginn der Aufzeichnungen ist noch nie so viel Wasser die europäischen Flüsse heruntergeflossen, jeder dritte Fluss hatte Hochwasser und 16 Prozent sogar schweres Hochwasser, wie etwa in Norddeutschland, aber vor allem auch in den Alpen und Spanien.
Generell hat das Wasser bisher ungekannte Sorgen bereitet. Das haben möglicherweise alle mitbekommen, die 2023 im vermeintlichen kühlen Nass eine hübsche Sommerfrische gesucht haben. Und sich das Mittelmeer dann bedauerlicherweise eher wie ein Jacuzzi angefühlt hat. Durch die Bank weg waren die europäischen Meere wärmer als im Durchschnitt und die Gewässer von Schottland über große Teile des Atlantiks bis zum Mittelmeer sogar so warm wie noch nie. Da sprechen wir von bis zu fünf Grad über dem Durchschnitt, das ist bei Wasser eine ganze Menge.
Klimaschutz ist teuer, kein Klimaschutz noch teurer
Die Frage ist, was das alles nun bedeutet. Erstmal bedeutet es 13,4 Milliarden Euro. Das sind die geschätzten wetter- und klimabedingten Verluste für das Jahr 2023 in Europa, vor allem durch Überschwemmungen. Deutschlandticket, Wärmepumpenförderung, Ausbau der Erneuerbaren: Wenn wir davon sprechen, dass Klimaschutz eine Stange Geld kostet, sollte klar sein, dass "kein Klimaschutz" auf Dauer eben noch teurer wird.
Was sich schließlich am Ende gar nicht mehr mit Geld aufzuwiegen ist, sind die menschlichen Verluste. 2023 sind in Europa 63 Menschen durch Stürme, 44 durch Überschwemmungen und 44 durch Waldbrände ums Leben gekommen, so vorläufige Schätzungen. Hinzu kommt eine weitere Herausforderung für Menschen, aber auch die europäischen Gesundheitssysteme: Hitzestress.
Neben den direkten Auswirkungen einer hohen Wärmebelastung auf die menschliche Gesundheit – gerade in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit – trägt Hitzestress auch zur Verstärkung von bestehenden Gesundheitszuständen bei. Der besorgte Blick ist hier besonders auf ältere Menschen gerichtet. Schaut man sich den Trend der vergangenen zwanzig Jahre an, ist die hitzebedingte Sterberate um dreißig Prozent gestiegen. Und das ist kein südeuropäisches Problem, sondern fast überall in Europa der Fall.
Europäische Klimapolitik zeigt Wirkung
Zusammenfassend kann man sagen: Der aktuelle Bericht zur Lage des Klimas in Europa bescheinigt abermals düstere Zeiten. Aber vom Kopp-in-Sand wird’s nicht besser, deshalb die gute Nachricht zum Schluss: Der Anteil an erneuerbaren Energien in Europa hat einen Rekordwert erreicht. 43 Prozent des Stroms in Europa kommt von Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. Um zu sehen, woher wir gekommen sind: Vor sieben Jahren lag der Anteil von Erneuerbaren in ganz Europa bei erst 28 Prozent. Deutschland ist hier sogar Vorreiter, hierzulande kommt der Anteil von Erneuerbaren auf zwei Drittel, vierzig Prozent allein aus Windkraft.
2023 waren die Bedingungen für Erneuerbare besonders gut. Und die Klimapolitik scheint in Europa an dieser Stelle zu greifen. Was auch die Tatsache zeigt, dass wir im zweiten Jahr in Folge mehr Strom aus Erneuerbaren bezogen haben als aus fossilen Quellen. Ebenfalls eine gute Nachricht, denn die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas ist schließlich der Haupttreiber des Klimawandels. Das sollte natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kontinent auch künftig zweigleisig fahren muss und nicht müde werden kann, das Leben an die neuen Gegebenheiten anzupassen und ihnen gleichzeitig entgegenzuwirken. Also Kopf hoch und weitermachen. Und die Winterjacke dieser Tage mit erleichterter Würde tragen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 22. April 2024 | 16:10 Uhr
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