Carbon Farming – Neues Geschäftsmodell für Landwirte? Humusaufbau: Klimaschutz im Boden
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06. April 2024, 04:59 Uhr
CO2-Zertifikate sollen den durch Emissionen angerichteten Klimaschaden wiedergutmachen und das Geschäft floriert – vor allem mit Baumpflanzungen im Globalen Süden. Doch das System steht in der Kritik; Recherchen zeigen, dass die CO2-Kompensation oft mehr Schein als Sein ist. Ist das so genannte Carbon Farming die bessere Lösung? Statt auf Bäume im Globalen Süden setzt dieser Ansatz auf den Humusaufbau in der heimischen Landwirtschaft.
Eine dichte Nebelbank umgibt die Ländereien von Landwirt Robert Künne, an einem kalten Wintermorgen in Jesewitz vor den Toren Leipzigs. Er steht auf einem seiner Ackerschläge und gräbt mit Händen und Spaten ein Loch in den Boden: "Das ist richtig toll. Das ist jetzt nicht so platt, nicht so zusammen verdichtet. Ein belebter Boden ist krümelig! Ein toter Boden klatscht zusammen, wie wenn du Nudeln eine halbe Stunde kochst."
Krümel und Poren: Der Boden lebt
Der krümelige Boden ist Ausdruck davon, dass Künnes Bewirtschaftungsmethode Früchte trägt: Der Bauer arbeitet biozyklisch-vegan: ohne Kunstdünger, ohne Dung, ohne Tiere. Er verzichtet auf schwere Bodenbearbeitung wie den Pflug. Auf seinen Feldern wächst keine Pflanze in Monokultur: Gerade teilt sich die Hauptfrucht Winterroggen den Platz mit Leindotter und Klee, nach dem so genannten Untersaaten-Prinzip. Saftig grün erstreckt sich das Feld bis in den Nebel hinein, im Sommer wird es hier auch blühen und Nahrung für Insekten geben:
"Meine Pflanzen müssen mit dem Bodenleben interagieren und das Optimale umsetzen, das ist natürlich im Ertrag spürbar: Das ist weniger. Langfristig geht’s mir aber darum, die Themen Bodenerosion, Bodenfruchtbarkeit, Grundwasserqualität im Blick zu haben."
Produktiver Schleim im Untergrund
Seine Art der Landwirtschaft mit mehreren Pflanzen auf dem Acker und schonender Bodenbearbeitung fördert den Aufbau von Humus: Eine fruchtbare und wertvolle Bodenschicht aus Pflanzenverschnitt und Wurzelresten: "Das ist mikrobieller Schleim. Das sind die Überreste von Mikroorganismen", erklärt Axel Don, Leiter des Forschungsbereichs Organische Bodensubstanz am Thünen-Institut. "Humus ist für die Bodenfruchtbarkeit zentral und der Nebeneffekt ist, dass es auch fürs Klima Positives bewirken kann. Wir haben Emissionen in der Atmosphäre und die können durch Humusaufbaumaßnahmen wieder zurückgeholt werden: Negative Emissionen".
Das grundlegende Verfahren ist simpel: Bei der Photosynthese und dem Pflanzenwachstum entziehen Pflanzen der Atmosphäre CO2. Wenn die Felder dauerhaft bewachsen sind, Wurzeln und Pflanzenreste im Boden bleiben können, statt umgepflügt zu werden, kann langfristig Kohlenstoff gebunden werden. Wurzeln unter der Erde sind dabei deutlich effektiver als Blätter und Stroh auf dem Boden.
Die gängige Form der Landwirtschaft stehe dem Humusaufbau aber entgegen: "Wir haben im Acker oft Perioden, wo überhaupt keine Pflanze da steht: Im Herbst, im Winter ist alles brach und kahl. Das ist verlorene Zeit, weil wir dann keine pflanzliche Biomasse aufbauen können", erklärt Boden-Experte Axel Don. Bodenzustandserhebungen zeigen: Deutsche Ackerböden verlieren im Schnitt Humus.
Carbon Farming: Boden schützen und daran verdienen?
Das so genannte Carbon Farming könnte hier gegensteuern: Landwirte können sich den Aufbau von Humus anrechnen lassen, indem sie Zertifikate für die gebundenen Emissionen verkaufen. Eine Firma, die den Zertifikate-Handel organisiert, ist positerra aus Rosenheim. In deren Netzwerk sind aktuell etwa 100 Landwirte mit 3500 Hektar Fläche aktiv. 20.000 Tonnen CO2 wurden als Zertifikate ausgegeben und sollen gebunden werden.
Die Firma sorgt dafür, dass Landwirte wie Robert Künne Geld für ihre Anbauweise bekommen, erklärt Geschäftsführerin Birgit Kröber: "Natürlich müssen die Landwirte auch in irgendeiner Form honoriert werden, weil das nicht ihrer normalen, täglichen Praxis entspricht. Das ist eine besondere Form der Landwirtschaft.
Um nicht ganz auf ihren Kosten sitzenzubleiben, haben wir Unternehmen dabei, die sich gerne regional für Klimaschutz engagieren möchten, in der Regel tun sie das als CO2 Ausgleich".
Handel mit "Humus"-Zertifikaten
Dazu gehören die Leipziger Stadtwerke, die so die Dienstwege ihrer Mitarbeitenden kompensieren wollen: 9500 Tonnen CO2 – regional statt durch Baumpflanzungen im Globalen Süden, wie sie auf Anfrage des MDR schreiben. Positerra sucht die passenden Flächen zum Humusaufbau, im Fall von Robert Künne ist das etwa die Hälfte seiner gesamten Ackerfläche. Zuerst wird der Boden von einem externen Labor auf den derzeitigen Humusgehalt untersucht. Dann bekommt der Landwirt mehrere Jahre Zeit, um Humus aufzubauen. Dabei gibt unterschiedliche Methoden: den Anbau von Hülsenfrüchten (Leguminosen), die Etablierung von Zwischenfrüchten, der dauerhafte Bewuchs des Ackers, schonende Bodenbearbeitung, tierischer Dünger und das "Impfen" des Bodens mit Mikroorganismen wie Mykorrhizapilzen.
Künne baut auf sein System der Untersaaten mit wechselnden Früchten und schonender Bodenbearbeitung. Wenn es ihm gelingt Humus aufzubauen, folgt nach drei bis fünf Jahren die nächste Bodenprobe und die erste Auszahlung: "Es ist viel Risiko dabei, dass ich es kriege, aber wenn ich es kriegen würde, wäre das wie eine Roggenernte: eine neue Einnahmequelle auf dem Acker", sagt der Landwirt. Positerra rechnet damit, dass jedes Jahr pro Hektar 2,5 Tonnen CO2 gebunden werden können.
Der Humusaufbau schwankt
Wissenschaftler Axel Don sieht Schwächen im System: "Wenn wir Humus aufbauen, ist der nicht für immer gespeichert, sondern kann auch wieder verloren gehen, insbesondere, wenn wir aufhören Humusaufbaumaßnahmen durchzuführen." Auch die Menge an CO2, die pro Hektar durch Humus gebunden werden könne, schwanke. Humusaufbau mit tierischem Dünger könne zu einer "Luftbuchung" werden, da die Tiere ihrerseits Emissionen erzeugen. Außerdem erschweren Hitze, Dürreperioden und generell der Klimawandel den Humusaufbau.
Positerra versucht diese Unsicherheiten einzupreisen und lässt nach weiteren fünf Jahren pro Feld eine erneute Bodenprobe durchführen: "Und da muss der Landwirt mindestens den Wert der zweiten Bodenprobe erreichen, wenn er das nicht erreicht, dann kann es passieren, dass er sein letztes Drittel nicht ausgezahlt bekommen hat. Wenn er sogar mehr abgebaut hat, muss er etwas zurückzahlen", erklärt Geschäftsführerin Kröber. Darüber hinaus hat das Unternehmen einen Puffer an Kohlenstoffzertifikaten, mit dem nicht gehandelt wird. Er soll sicherstellen, dass die von den Unternehmen bezahlten Zertifikate mit realer CO2-Bindung bedient werden können. Für den Fall, dass ein Landwirt den versprochenen Humus nicht aufbauen konnte. Das System verspricht etwa zehn Jahre CO2-Bindung.
Die Landwirtschaft braucht den Schleim
Für Wissenschaftler Axel Don ist mehr Humus auf deutschen Äckern unerlässlich. Vor allem wegen der Effekte auf die Bodenfruchtbarkeit und die Fähigkeit, Wasser zu halten. Aber auch für den Klimaschutz: Denn in der Landwirtschaft gebe es Emissionen, die sich nicht vermeiden ließen – wie Lachgas aus der Bodenbearbeitung und Düngung sowie Methan bei Kühen: "Wir können diese Prozesse nicht vollständig vermeiden und ausschalten. Wir werden deswegen auch in Zukunft noch Emissionen haben, aber wir wollen ja Netto-Null-Emissionen erreichen und dazu kann Humusaufbau einen Beitrag leisten, diese völlig unvermeidbaren Emissionen zu kompensieren."
Etwa drei bis sechs Millionen Tonnen CO2 ließen sich durch Humus ausgleichen, wenn die deutsche Landwirtschaft ein umfangreiches Aufbau-Programm umsetzen würde, so der Wissenschaftler. Das sind fünf Prozent der gesamten deutschen landwirtschaftlichten Emissionen. EU-weit sollen die Böden, Felder, Moore und Wälder bis 2030 doppelt so viel CO2 binden wie jetzt – sie sind in den Klimaschutzplänen fest eingerechnet. Der Zertifikate-Handel kann dabei helfen: Denn er bietet Landwirten Anreize, um den kostbaren mikrobiellen Schleim im Boden wachsen zu lassen und nebenbei daran zu verdienen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 06. April 2024 | 06:00 Uhr