Augustusplatz Leipzig
Augustusplatz Leipzig: Ein Beispiel für konsequente innerstädtische Flächenversiegelung: Pflegeleicht und vielseitig nutzbar, gleichzeitig ein Hitzespeicher, wenn auch mit zwei Brunnen. Bildrechte: IMAGO / Ralph Peters

Werkzeuge aus der Wissenschaft Hochwasser: Es kann abseits großer Flüsse passieren

20. Juli 2021, 09:47 Uhr

Welche Rolle spielt unser Umgang mit dem Boden bei Katastrophen wie in NRW, Rheinland-Pfalz oder Sachsen? Handwerkszeuge zum Vorbeugen gibt es, sagen Wissenschaftler. Man muss sie nur nutzen. Und das gilt nicht nur für Kommunen, die an Flüssen liegen.

Waren die Gemeinden, die es beim Hochwasser im Ahrtal getroffen hat, zu verbaut, ihre Flächen zu stark versiegelt? Auf diese Fragen, die sich Betroffene oder Politiker stellen, haben Forscher klare Antworten. Wenn es kurze Zeit stark regnet, spielt die Flächenversieglung für die entstehende Hochwasserwelle eher eine kleine Rolle, erklärt Umweltwissenschaftler Dr. Reinhard Schinke vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Da, wo das Wasser nicht versickern kann, rauscht es oberflächlich weiter, dann kommt es zu Hochwasser oder Sturzfluten. Da spielt es dann auch keine Rolle, wie stark oder schwach der Boden versiegelt ist. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Professor Dr. Christoph Zielhofer, physischer Geograph an der Uni Leipzig. Bei extremen Niederschlagsereignissen nimmt die Bedeutung der Flächenversiegelung eher ab, da auch offenporige Böden ab einem bestimmten Punkt kein Wasser mehr aufnehmen könnten.

Viel Regen + gesättigter oder steinharter Boden = Das Wasser geht dann eigene Wege

Landstraße und Feld von braunem Schlamm und Wasser bedeckt
Pfützen und See auf Wiesen oder Rasen, weil der Boden schon Wasser-gesättigt ist Bildrechte: André März

Anders dagegen bei weniger intensiven Niederschlägen. Da spielt die Flächenversiegelung eine große Rolle. Eine wenig versiegelte Fläche kann Dr. Schinke zufolge dazu beitragen, die Hochwasserwelle abzuschwächen, da mehr Niederschläge versickern können. Wie gut das klappt, hängt aber auch vom Bodenzustand an sich ab: Ist er schon regengesättigt? Oder ist er knochentrocken, steinhart, bis tief ins Erdreich? In beiden Fällen könnte das Regenwasser nicht versickern. Auch dann sucht sich das Wasser seinen Weg auf der Erdoberfläche.

Schinke verweist auf die geographische Lage und die Geländestruktur: In NRW und Rheinland-Pfalz handelt es sich um Mittelgebirgslagen. Das Wasser wurde hier in den Tallagen kanalisiert. Auf flachem Land wie etwa der Uckermark hätten ähnliche Regenmengen vermutlich nicht diese verheerenden Folgen nach sich gezogen, meint der Wissenschaftler.

Mehr als eine Kraft, die zum Hauseinsturz führt

Und wieviel Wasser braucht es überhaupt, um ein Haus zu unterspülen? Was genau passiert da eigentlich? Wenn ein Haus unterspült wird, ist das ein Prozess. Es beginnt mit der Erosion, wenn der umliegende Boden abgetragen wird. Wie schnell das geht, hängt davon ab, wie stark die Strömung ist und wie stabil der Boden. Befestigte Flächen sind hier im Vorteil, der Erosionsbeginn wird hinausgezögert. Wenn aber so viel Boden abgetragen ist, dass die Fundamentsohle teilweise freigelegt wird, wird die Gebäudelast nicht mehr in den Boden abgeleitet. Dann werden Bauteile überlastet, Risse entstehen; das Gebäude stürzt teilweise oder ganz ein.

Welche Gebäude sind besser geschützt, die mit oder die ohne Keller?

Sind eher unterkellerte Häuser gefährdet oder eher solche ohne Keller? Umweltforscher Schinke sagt: "Im Allgemeinen sind unterkellerte Gebäude vor Unterspülung besser geschützt, da oft mehr Boden abgetragen werden muss, bevor die Fundamentsohle freigelegt ist." Die Unterspülung ist nur eine von mehreren Ursachen dafür, wenn Gebäude bei Starkwetterereignissen zerstört werden. Auch die enorme Strömungskraft des Wassers, der Anprall von Treibgut wirken da mit.

Hochwasser-Risiko: In Städten größer oder auf dem Land?

Weesenstein Das beeindruckende Schloss Weesenstein steht im idyllischen Müglitztal in einer engen Schleife des Flusses Müglitz auf einem Felskegel.
Die Schutzmauer entlang der Müglitz in Weesenstein. 2002 wurde das Flüsschen zum reißenden Strom. Bildrechte: imago images/Sylvio Dittrich

Das Risiko hängt dem Forscher zufolge sowohl von der Hochwassergefahr als auch von der Verletzbarkeit des Gebietes ab. Wie groß die Hochwassergefahr in einzelnen Ortslagen ist, hängt zum Beispiel ab von der Geländestruktur. Dadurch können auch kleinere Ortschaften durch starkregenbedingte Überflutung gefährdet sein, auch in Gebieten, wo bisher nicht damit gerechnet wurde. Dass Hochwasser auch an kleinen Flüssen auftreten können, zeigen die Ereignisse in NRW und Rheinland-Pfalz. Wir kennen diesen Effekt aus Sachsen, als beim Hochwasser 2002 die Müglitz ihr Flussbett verließ oder in Meißen die Triebisch. Anders in der Stadt: Gebäude, Verkehrswege und Versorgung sind auf wenig Raum verdichtet. Ein Starkregen-Ereignis kann mit einem Schwung viel Infrastruktur schädigen.

Katastrophen-Planung für gewachsene Ortschaften?

Aber wie plant man den Katastrophenfall für Orte, die entstanden sind, lange bevor es heutige Bebauungspläne, Richtlinien, eine entsprechende Gesetzgebung gab? Dr. Schinke zufolge muss dort das Hauptaugenmerk auf die Vorwarnung gerichtet werden und die rechtzeitige Evakuierung und den Schutz von Menschenleben. Falls es mit der Vorwarnung nicht geklappt hat, wie es hätte können, wie jetzt verschiedene Wissenschaftler sagen, gilt es daraus zu lernen. Wenn die Katastrophen-Alarm-App NINA bei x Millionen Menschen auf dem Handy ist, sind das genügend? Wie ist denn die räumliche Verteilung der Downloads? Was ist in den Regionen mit immer noch schlechtem Mobilfunk-Empfang?

Wir müssen reden

Kanalisierter, mit Betonplatten ausgelegter Emscherzufluss, im, Ruhrgebiet, Dortmund.
Kanalisierter, mit Betonplatten ausgelegter Emscherzufluss, im Ruhrgebiet, Dortmund. Bildrechte: imago/blickwinkel

Professor Zielhofer, der natürliche Prozesse in Auenlandschaften erforscht, richtet den Blick in eine andere Richtung. Wir müssen auf die Fluss-Auen schauen, mahnt er, auch wenn man die gar nicht mehr als solche erkennt. Wo war das Flussbett, wo die Überflutungsräume? Die sind oft durch Deiche eingegrenzt, die Flussläufe begradigt oder verlagert, und die Sande und Kiese der Auen abgebaut: "Flüsse haben ein langes Gedächtnis. Bei extremen Hochflutereignissen finden sie häufig wieder zurück in ihren früheren Flusslauf und durchbrechen menschengemachte Barrieren," sagt der Wissenschaftler. "Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die nachhaltige Nutzung von Auen. Wie kann man Flüssen ihre natürlichen Überflutungsräume zurückgeben und den menschlichen Nutzungsdruck auf die Auenlandschaften reduzieren?"

Wissenschaft stellt Handwerkszeug für systematische Vorsorge

Vorbeugend hilft am Ende nur der beherzte Griff in die Brennnesseln: Lage prüfen und vorsorgen. "Es kann jederzeit auch Kommunen jenseits großer Flüsse treffen!", mahnt der Wissenschaftler. Weder Kommunen noch Hausbesitzer müssen dafür das Rad neu erfinden, oder in Schockstarre verfallen: Wo soll man denn da ansetzen?! Forschungsinstitute wie das Leibniz-Institut für ökologische Raumplanung haben Analyse-Werkzeugkoffer erarbeitet. Die sind offen zugänglich. Die Rainman-Toolbox zum Beispiel, die mit einem Dreischritt-System arbeitet: Auf die Risikobewertung und Kartierung potentiell gefährdeter Orte, folgt die Risikokommunikation und anschließend ein Katalog mit 100 Vorsorgemaßnahmen, um das Risiko zu minimieren, für Gebäude und Grundstücke genauso wie für Siedlungsgebiete, Ackerland, Wälder oder Gebiete rund um Wasserläufe und Freiflächen. Ein anderes Werkzeug ist der kommunale Flächenrechner des Umweltbundesamtes. Der zeigt für jede Kommune deren eigenen Flächenverbrauch auf und auch als Laie kann man sich einen Eindruck davon verschaffen, wie die eigene Region den zur Verfügung stehenden Boden verbraucht hat und wie es in Zukunft empfehlenswert wäre.

Mann in Anglerhosen nähert sich in einer vom Hochwasser überfluteten Straße einem Gebäude.
Wie schützt man sich vor solchen Katastrophen? Vorher hinschauen. Bildrechte: imago images/Gottfried Czepluch

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