Analyse UFZ Leipzig Wie sind wir in Mitteldeutschland auf Hochwasser vorbereitet?
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20. Juli 2021, 17:04 Uhr
Sind wir in Mitteldeutschland mit unseren Fluterfahrungen auf der sicheren Seite? Angesichts der schweren Hochwasser-Katastrophen der vergangenen Tage stellen sich viele Fragen neu. Was ist zum Beispiel aus dem Strategiepapier des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung geworden, das 2013 vorgelegt wurde? Welche Maßnahmen wurden bisher umgesetzt?
Dr. Christian Kulicke kann sich noch gut an die Flut in Sachsen erinnern. Damals, im Jahr 2013, arbeitete er an einem Strategiepapier des Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig für den Umgang mit Hochwasser: "Wir hatten vier wesentliche Handlungsfälle identifiziert. Das ist der technische Hochwasserschutz, also Bau von Deichen und Rückhaltebecken, das ist der natürliche Hochwasserschutz, also Retentionsflächen (Überflutungsflächen Anm.d.R.) schaffen, Deich-Rückverlegung, und die private Eigenvorsorge." Ein umfassendes Papier, das ein Forschungsteam des UFZ in Leipzig erarbeitet hatte und viel Beachtung fand. Damals, als das Hochwasser noch so nah war.
Und heute? Was davon wurde umgesetzt? Forscher Kulicke zufolge hat sich am meisten beim technischen Hochwasserschutz getan. In Mitteldeutschland, in Sachsen war das ein Schwerpunkt. Schon nach der Flut im Jahr 2002 wurde damit begonnen. Fast eine Milliarde Euro sind seitdem in Sachsen in den technischen Hochwasserschutz geflossen. Betonmauern, Spundwände, Deiche. Die Menschen, die dort wohnen, fühlen sich dadurch sicherer, ergab eine repräsentative Befragung des UFZ.
Je wirksamer die Maßnahme, desto sorgloser der Mensch
Dieses gestiegene Sicherheitsgefühl birgt jedoch auch Risiken, sagt Christian Kulicke. Er spricht von einem Effektivitätsparadox.
"Je wirksamer eine Maßnahme wirkt, desto höher ist die Möglichkeit, dass man darüber den eigentlichen Grund, oder das eigentliche Risiko aus den Augen verliert." Häufig sei es sogar so, dass die Schadenswerte hinter einem Deich zunehmen. In vielen Kommunen könne man das gut sehen. Da wurden hinter dem neuen Deich Supermärkte gebaut, kleinere und größer Firmen haben sich angesiedelt. Die stehen eigentlich in einem Gebiet, das stark durch Hochwasser gefährdet ist, fühlen sich durch den Deich aber sicher. Der Forscher erinnert: "Dieser Hochwasserschutz geht ja nur bis zu einem bestimmten Grad, einem statistischen Wert. Wir wissen, Klimawandel verändert die Statistiken." Überflutet das Wasser aber diese Hochwasserschutzmaßnahmen, ist der Schaden programmiert, solche Bauten können zerstört werden oder kaputtgehen.
Sachsen: Mehr Menschen haben sich versichert
Darüber scheinen sich die Anwohner in Sachsen im Klaren zu sein: Heute sind 40 Prozent der Menschen versichert, 2013 waren es nur 20 Prozent. Mitteldeutschland stehe damit sehr gut da. Genug sei es aber noch lange nicht. Nach der Katstrophe 2021 müssen nun auch Häuser versichert werden, die nicht am Deich stehen. Die Forscher fordern, dass dafür alle einzahlen.
Flüsse brauchen Platz
Ein anderer Aspekt: Die Flüsse brauchen mehr Raum. Mathias Scholz hat ebenfalls an der Studie des UFZ mitgearbeitet hat. Er ist Landschaftsplaner und Experte für Auenökologie und schreibt in einer E-Mail: "Insgesamt hat sich seit der letzten Flut an der Elbe einiges getan, zum Beispiel sind 600 Hektar Auwald am Lödderitz Forst wieder überflutet worden."
Reichlich 1.000 Hektar neue Überflutungsfläche seien an der Elbe entstanden, weitere sind geplant, auch an der Mulde. Um die Menschen zu unterstützen und gut zu beraten, ist in Leipzig ein Kompetenz-Zentrum für Hochwasser-Eigenvorsorge entstanden, gefördert durch das Land Sachsen. Ebenso sei die Technik auf den Deichen auf einem guten Stand. Reimund Schwarze, Ökonom und Experte für Klimaanpassung und -Politik sagt aber, das reiche alles noch lange nicht. Nach der momentanen Katastrophe müssten wir neu denken: "Hier geht es um Sturzfluten, die jeden betreffen können und sich nicht mehr an den Flusslinien entlangziehen. Insofern stellt sich auch nicht die Frage, Fluss-Anrainer und Bürger auf dem Berg. Die sind jetzt alle Anrainer dieses Geschehens, dessen, was da passiert ist und katastrophal war und existentiell auch Betroffenheiten hervorgerufen hat. Das verlangt nach einem neuen Modell."
Thüringen mit Weitblick
Thüringen habe da etwas Gutes vorgelegt: eine Basisversicherung, die nicht mehr nur auf den Bereich Neubauten und flussnahe Häuser und Grundstücke, oder Wirtschaftsbetriebe bezogen wurde, sondern weiter gefasst ist. "Leider sind sowohl der gute Vorschlag aus Sachsen, und auch der, wie ich finde, bessere Vorschlag aus Thüringen, in der Bund-Länder-Koordination vor allen Dingen an Wiederständen des Bundes gescheitert."
Die Länder könnten das selbst in die Hand nehmen, waren auch Überlegungen. Aber das würde nicht reichen. Für eine Absicherung müssen mehr Menschen einzahlen, als in einem Bundesland leben. Es gehe um Milliarden. Da müssen alle ran. Theoretisch. Praktisch sieht es anders aus, sagt Schwarzer: "Da sehen wir keine Fortschritte mehr, in den letzten Jahren."
Rund 80 Prozent der Flüsse und Auen in Deutschland sind verbaut, reguliert oder anderweitig verändert. Somit stehen auch der Elbe, oder der Mulde nur noch etwa 20 Prozent der ehemaligen Überflutungsfläche zur Verfügung. Es ist also noch viel zu tun, um die Menschen in Mitteldeutschland vor Wasserschäden zu schützen.
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