Lichtverschmutzung Warum Glühwürmchen immer seltener Sex haben
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26. März 2024, 11:39 Uhr
Die Lichtverschmutzung nimmt weltweit Jahr für Jahr zu. Glühwürmchen sind aber auf Dunkelheit angewiesen, wie eine neue wissenschaftlichen Studie eindrucksvoll zeigt. Bei Kunstlicht finden sich die Sex-Partner kaum noch.
Es sind nur ein paar Nächte am Ende ihres Lebens, in denen Glühwürmchen glühen. Vorher lebten sie drei Jahre lang als Larven am Boden. Erst am Lebensende werden sie ihrem Namen gerecht. Und doch ist das die wichtigste Zeit für die Erhaltung ihrer Art. Was wir Menschen in Sommernächten da leuchten und fliegen sehen, sind immer die Männchen, denn die Weibchen können nicht fliegen. Die Weibchen sitzen irgendwo an einer erhöhten Stelle des Bodens, auf einem Grashalm beispielsweise. Sie glühen aber ebenfalls. Dieses Glühen der Weibchen ist das unmissverständliche Signal: Komm her, Mann, und pflanz dich mit mir fort!
Und dann geht es zur Sache, lang und ausführlich. Paarungen von 20 bis 90 Minuten Dauer sind ganz normal. Wie das aussieht, hat Forscher Jeremy Niven in einem kurzen Video festgehalten.
Jeremy Niven und seine Kollegin Estelle Moubarak haben aber noch mehr getan, um den Einfluss von Kunstlicht auf die Fortpflanzung der Glühwürmchen besser zu verstehen. Gemeinsam mit zwei weiteren Wissenschaftlern haben sie in leicht zu verstehenden und anschaulichen Experimenten nachgewiesen, wie wichtig Dunkelheit ist, damit es bei Glühwürmchen zur Paarung kommt. Je mehr Kunstlicht in der Umgebung leuchtet, umso geringer ist die Chance, dass das Männchen das Leuchten des Weibchens überhaupt wahrnimmt.
LED als Köder
Die Forschungsgruppe von der University of Sussex im Vereinigten Königreich hat, um das zu testen, ein Y-förmiges Gangsystem gebaut und an einem Ende der Y-Gabelung eine grüne LED leuchten lassen, genau in dem Farbton, in dem auch Glühwürmchen-Weibchen glühen. Danach wurde bei Dunkelheit und bei verschiedenen Kunstlichtstärken (25 bis 145 Lux) vielfach getestet, ob männliche Glühwürmchen sich vom grünen Licht angezogen fühlen und hinkrabbeln – und wenn ja, wie schnell.
Die Ergebnisse kann man als eindeutigen objektiven Appell gegen Lichtverschmutzung werten, zumindest aus Glühwürmchen-Sicht. Denn während bei Dunkelheit alle Glühwürmchen die LED fanden und ansteuerten, waren es bei der schwächsten Stufe des weißen Lichts nur noch 70 Prozent und bei der hellsten Stufe, die dem Licht einer Straßenlaterne entspricht, sogar nur noch 21 Prozent der Männchen.
Das folgende Video zeigt jeweils einen solchen Versuch bei Dunkelheit und bei zwei verschiedenen Kunstlichtstärken.
Das weiße Licht beeinträchtigte nicht nur die Fähigkeit der Glühwürmchen, ein Weibchen zu finden, sondern führte auch dazu, dass sie länger für den Weg zur LED brauchten. Im Dunkeln benötigten die Männchen im Durchschnitt etwa 48 Sekunden, bei 25 Lux dann schon 60 Sekunden.Außerdem führte die Beleuchtung auch dazu, dass die Männchen mehr Zeit im unteren Teil des Labyrinths verbrachten, ohne sich in Richtung des imitierten Weibchens zu bewegen. 32 Sekunden bei Dunkelheit im Gegensatz zu 81 Sekunden bei hellster Beleuchtung.
Die Sonnenbrille der Glühwürmchen
Estelle Moubarak vermutet, dass die männlichen Glühwürmchen kein grünes Leuchten sehen konnten, weil sie bei weißem blendendem Licht ihre Facettenaugen mit einem Kopfschild abdecken, der wie eine Sonnenbrille wirkt und die Menge des hellen Lichts, das in die Augen gelangt, reduziert. Als das weiße Licht den Bereich mit der LED-Attrappe beleuchtete, schirmten die Glühwürmchen ihre Augen bei etwa einem Viertel der Versuche ab, bei Dunkelheit waren es nur 0,5 Prozent. "Dass die männlichen Glühwürmchen ihre Augen unter ihrem Kopfschild hielten, zeigt, dass sie versuchen, die Exposition gegenüber dem weißen Licht zu vermeiden, was darauf hindeutet, dass sie dieses absolut nicht mögen", sagt Jeremy Niven.
Das wirft natürlich die Frage auf, ob die Population der Glühwürmchen in früheren Zeiten, als es noch wenig nächtliches Kunstlicht gab, deutlich größer war. Die Forscher vermuten das stark. Und sie befürchten beim fortschreitenden Trend hin zu immer mehr nächtlicher Lichtverschmutzung, dass in vielen Teilen der Welt Wiesen und Heiden, die seit Millionen von Jahren durch das Funkeln der weiblichen Glühwürmchen erhellt wurden, irgendwann ganz dunkel werden.
Links/Studien
Die Studie "Artificial light impairs local attraction to females in male glow-worms" ist im Journal of Experimental Biology erschienen.
Wissenschaft zum Mitmachen
Dass die Lichtverschmutzung in den vergangenen Jahren weltweit zugenommen hat, geht aus Daten hervor, die bei "Globe At Night" gesammelt wurden, einem Citizen-Science-Projekt, bei dem jede und jeder mitmachen kann. Es geht darum, ob bestimmte Sterne am Himmel von verschiedenen Standorten aus zu erkennen sind oder ob zu viel Streulicht aus der beleuchteten Zivilisation das verhindert.
Anfang dieses Jahres wurden dann unter Leitung des Deutschen Geo-Forschungszentrums Potsdam die neuesten Ergebnisse ermittelt. Die jährliche Aufhellung betrug im Durchschnitt in Europa 6,5 Prozent, in Nordamerika sogar 10,4 Prozent. Christopher Kyba, der Erstautor der Studie, fasste das mit den Worten zusammen: "Wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird ein Kind, das an einem Ort geboren wird, an dem 250 Sterne sichtbar sind, an seinem 18. Geburtstag nur noch 100 davon sehen können."
Das Projekt "Globe at Night" läuft weiter. Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem Thema Lichtverschmutzung befassen, hoffen dabei auf noch regere Beteiligung aus der Bevölkerung. Denn je mehr Daten es gibt, umso sicherer sind die Erkenntnisse, die man daraus ziehen kann.
Eine interaktive Karte, wo in Deutschland und auf der ganzen Welt die Lichtverschmutzung in den vergangenen Jahren besonders hoch war, findet man im Internet unter lightpollutionmap.info.
Dort ist oben rechts am Anfang "World Atlas 2015" voreingestellt. Sie können aber auch die VIIRS-Daten von 2012 bis 2022 wählen. VIIRS steht für "Visible/Infrared Imager Radiometer Suite", es ist ein im sichtbaren und infraroten Bereich arbeitendes 22-Kanal-Radiometer am Satelliten "Suomi NPP". Beim Blick auf die Karten wird deutlich, dass die Lichtverschmutzung in Deutschland 2022 im Vergleich zu den Vorjahren wieder zugenommen hat, auch im Vergleich zu den letzten Jahren vor der Corona-Pandemie.
(rr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Garten | 10. Juli 2022 | 08:30 Uhr