Frau im Tomographen
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CO2-Schleuder Krankenhaus? Wie sich der Klima-Impact der Medizin eindämmen lässt

29. Juni 2024, 05:00 Uhr

4,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen entstehen im Gesundheitswesen. Können wir diese Zahl reduzieren, ohne auf Sicherheit und Hygiene zu verzichten? Obwohl der Deutsche Ärztetag fordert, das Gesundheitswesen solle bis 2030 klimaneutral werden, geht es hier nur langsam voran.

Junge Frau schaut frontal in die Kamera.
Bildrechte: MDR

Das Berliner-Charité-Klinikum produziert jeden Tag rund 27 Tonnen Abfall. Und unser gesamtes Gesundheitssystem in Deutschland ist einer Studie zufolge für 5,2 Prozent des nationalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Damit spielt es in einer ähnlichen Liga wie Flug- oder Schiffsverkehr. Wären alle Gesundheitssysteme auf unserem Planeten zusammengenommen ein Land, dann wären sie auf Platz fünf der Länder mit dem größten CO2-Ausstoß. 4,4 Prozent der weltweiten Emissionen sind ihnen zuzurechnen.

Der Anteil, den das Gesundheitswesen am nationalen CO2-Ausstoß hat, variiert zwischen den einzelnen Ländern stark – und korreliert damit, wie viel ein Land für die Gesundheitsversorgung ausgibt. Sollte man hier also wirklich sparen? Schließlich werden die oben gezeigten Einmalplastikartikel ja hauptsächlich aus Hygienegründen verwendet. Um die Frage zu beantworten, schauen wir uns zunächst einmal an, woraus sich der hohe CO2-Impact unseres Gesundheitssystems so zusammensetzt.

Emissionen des globalen Gesundheitssystems
Bildrechte: Health Care without Harm (2019), Maik Schuntermann/ MDR

💉 Medizinprodukte und ihre Lieferketten 

Das ist der größte Batzen: 71 Prozent der mit unserem Gesundheitssystem verbundenen Emissionen entstehen an diesem Punkt, sie sind einer Behandlung also eher vor- und nachgelagert. Treibhausgase entstehen in dieser Kette an vielen Punkten, angefangen beim Raffinieren von Erdöl, das dann zur Plastikherstellung weiterverwendet wird. Besonders stark wirken sich an dieser Stelle auch Einwegartikel aus, die häufig in Asien hergestellt werden – was weite Transportwege zur Folge hat. Diese können die Emissionen eines Produktes gerne mal vervielfachen.  

Icon: Symbolische Erdkugel mit Afrika und Europa im Zentrum, daran oben links das Grad-Zeichen. Text:  MDR Klima-Update. Kostenfrei, wöchentlich. Foto: Weiß gekleidete Frau mit Rücken zur Kamera kippt aus Eimer grüne Farbe auf Leinwand in trockener Gegend.
Bildrechte: MDR, imago/Westend61

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🤕 Emissionen, die von Krankenhäusern und Co. direkt verursacht werden 

Das entspricht circa 17 Prozent der weltweiten Emissionen aus dem Gesundheitssystem. Hier tragen mitunter auch die verwendeten Narkosegase enorm zum Klima-Impact bei. Beispielsweise das häufig verwendete Gas Desfluran. Es hat schätzungsweise eine 2.450 Mal stärkere Treibhauswirkung als CO2. Eine siebenstündige Operation, bei der Desfluran verwendet wird, hat in etwa die gleiche Klimabilanz wie eine Autofahrt von Deutschland nach China (es wird mit 8.000 Kilometern gerechnet). In Schottland und England ist Desfluran sogar verboten – in Deutschland aber weiterhin erlaubt.

Auch bildgebende Diagnostik wie CT und MRT tragen wesentlich zum Klima-Impact eines Krankenhauses bei: Im Schnitt liegen die Emissionen bei MRT und CT bei 17,5 kg und 9,2 kg je Scan.

🏥 Emissionen, die indirekt von Krankenhäusern und Co. verursacht werden 

Das sind rund 12 Prozent der Gesamtemissionen. Dazu zählen beispielsweise der CO2-Impact des im Krankenhaus genutzten Stromes sowie Kühlung und Heizung.

Kleine Anmerkung: Die genannten Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2014.

Nachhaltigkeit ist auch eine finanzielle Frage 

Trotz des wesentlichen Klima-Impacts, den der Gesundheitssektor hat, scheint das Thema Nachhaltigkeit erst langsam dort anzukommen: Im Januar dieses Jahres veröffentlichte das Deutsche Krankenhaus-Institut den "Klinik Report Nachhaltigkeit", mit dem Ergebnis: 44 Prozent der Krankenhäuser haben sich bereits mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, 50 Prozent nur "ansatzweise", sechs Prozent planen immerhin, dies zu tun. Was einer besseren Klimabilanz laut den Krankenhäusern selbst im Wege steht: fehlende finanzielle Anreize und mangelnde Personalressourcen. Der Deutsche Ärztetag hat sich bereits 2021 dafür ausgesprochen, dass das gesamte Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral werden soll.

Es gibt auch durchaus Krankenhäuser, die bereits versuchen, ihre Emissionen zu reduzieren. Ein Beispiel ist das Charité-Krankenhaus in Berlin. Dort hat man beispielsweise das klimaschädliche Narkosegas Desfluran durch eine weniger schädigende Alternative ersetzt. Im Energiebereich sorgt ein kleines Blockheizkraftwerk für eine bessere Bilanz, außerdem wird eine große Photovoltaik-Anlage aufs Dach gebaut. Dennoch fehle für viele sinnvolle Klimaschutz-Maßnahmen das Geld, erklärt Nachhaltigkeits-Manager Jannis Michael bei NDR Info.

Einwegprodukte können klimafreundlicher hergestellt werden

Neben den hauseigenen Emissionen der Krankenhäuer wäre es für weniger CO2 im Gesundheitswesen aber auch ganz wesentlich, die vorgelagerten Produktionsketten für Medizinprodukte so CO2-neutral wie möglich zu gestalten. Krankenhäuser hätten hier beispielsweise die Möglichkeit, Produkte wie Einweghandschuhe von Herstellern zu beziehen, die auf Klimafreundlichkeit achten.

Ein weiteres Beispiel für überflüssigen Müll sind auch die teilweise viel zu großen Verpackungen für Tabletten. Anders als beispielsweise im amerikanischen Raum sind Tabletten und Kapseln in Europa jeweils einzeln in hohlen Kammern eines sogenannten Blisterstreifens verschweißt. Wären die Tabletten platzsparender auf dem Blisterstreifen angeordnet, könnte das alleine in Deutschland rund 3.000 Tonnen Verpackungsmaterial jährlich vermeiden. Das hat eine Studie von Forschenden an der Universität Heidelberg ermittelt. Die Bundesärztekammer empfiehlt, wo möglich, darauf zu achten, dass Einmalartikel biologisch abbaubar sind und wo möglich ohnehin auf Mehrweg zu setzen. Längerfristig sei es wichtig, dass Lieferketten gemeinsam mit den Herstellern optimiert werden.

Abgesehen davon gibt es noch einige alltagsnähere Bereiche, in denen Krankenhäuser Emissionen sparen könnten, beispielsweise beim Krankenhausessen. Das ist immerhin für 17 Prozent aller Emissionen eines Krankenhauses verantwortlich, der Impact könnte durch mehr regionale und vegetarische Gerichte ein wenig gesenkt werden. Auch die Heizung eines gesamten Krankenhauses spielt eine wesentliche Rolle bei dessen Energiebilanz (circa ein Viertel). Hier könnte man Emissionen reduzieren, indem die Temperatur auf Fluren und in ungenutzten Räumen abgesenkt wird.

Um an dieser Stelle noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Natürlich ist eine sichere Gesundheitsversorgung extrem wichtig, aber es ließen sich auch bereits große Mengen CO2 einsparen, ohne dass Themen wie Hygiene und Technologiefortschritt überhaupt beschnitten werden müssten.

Links/Studien

Die Studie Health Care's Climate Footprint ist 2019 erschienen und kann hier nachgelesen werden.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDFR um 4 | 09. April 2024 | 16:30 Uhr

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