Energiewende im Eigenbau Balkonkraftwerk: Selbstbestimmte Energiegewinnung oder ganz bestimmtes Chaos?
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02. August 2024, 17:37 Uhr
Stromkosten sparen, unabhängig sein, einen Beitrag zur Energiewende leisten: Alle reden von Balkonkraftwerken – und wer aufpasst, spricht bald sogar positiv drüber. Steckersolar ist der Energie-Hype der Stunde und mit ein paar guten Ratschlägen ganz ohne Sorgenfalten zu bewältigen.
Inhalt des Artikels:
- 1. Schaffe ich mit einem Balkonkraftwerk die Energiewende jetzt auf eigene Faust?
- 2. Kann ich richtig viel Geld sparen?
- 3. Balkonkraftwerk vom Discounter – bin ich naiv? (Oder muss ich den Wechselrichter wechseln?)
- 4. Ja, hält das denn auch? (Und muss es ein Balkon sein?)
- 5. Balkonkraftwerk: Darf ich überhaupt?
- Fass ohne Boden – Förderungsfass mit Boden: Wichtige Links zum Thema Balkonkraftwerk
Hochmut kommt vor dem Fall. Und der ist tief, niederschmetternd, erbarmungslos, wissen alle, die mit einem der neuerlichen Balkonkraftwerk-Komplettpaketen geliebäugelt haben. Und anschließend feststellten, dass sie keine Außensteckdose besitzen. Aus der Traum vom autarken Energieleben, das man sich quasi unter die Achsel klemmen kann.
So schnell und klug kann man gar nicht denken, wie findigerweise Marktlücken geschlossen werden. Die Zauberwörtchen sind "Flachkabel" und "Fensterdurchführung". Ein Nischenprodukt, um alle jene aus den Untiefen des Selbstmitleids zurückzuholen, die festgestellt haben, keine Außensteckdose zu besitzen. Damit hätten wir das schon mal geklärt.
Nach nur fünf Verwirrungen zum perfekten Balkonkraftwerk
Wenn ein Produkt bei Discountern zu gefühlten Selbstkostenpreisen unter die Kundschaft gebracht wird, kann man davon ausgehen, dass es in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist – bundesweit sind die Zahlen seit vergangenem Jahr massiv in die Höhe geschossen. Und Photovoltaik-Paneel, Halterung, Wechselrichter und Kabel sind inzwischen nicht nur beim Discounter für wenige hundert Euro zu haben. "Steckersolar", sagt die Fachwelt zu dem Ganzen.
Die Gesetzgebung zieht im Gleichschritt nach: Mit der jüngsten Verabschiedung des "Solarpaket I" ist die Situation für jene, die grüne Energieproduktion gern in die eigenen Hände nehmen wollen, ein Stück weit entspannter geworden. Zum Beispiel ist ein digitaler Stromzähler nicht mehr verpflichtend, die Kraftwerke dürfen perspektivisch mehr Energie einspeisen (800 Watt sind derzeit offiziell nur geduldet, de facto aber erlaubt und unbedenklich), eine Einspeisung ist mit einem einfachen Schuko-Stecker möglich und die gewünschte Anmeldung im Marktstammdatenregister ist stark vereinfacht worden. Eine Anmeldung beim Netzbetreiber ist schon seit dem Frühjahr nicht mehr notwendig.
1. Schaffe ich mit einem Balkonkraftwerk die Energiewende jetzt auf eigene Faust?
Die Hoffnung ist nicht ganz unbegründet, sich vom Diskurs rund um den Ausbau der Erneuerbaren, der Abschaltung von Atomkraft und dem Kohle-Aus unabhängig zu machen. Von Berufs wegen mit Photovoltaik liiert ist Stefan Krauter, Lehrstuhlinhaber für nachhaltige Energiekonzepte für die Energiewende an der Uni Paderborn. Krauter hat schon zur nachhaltigen Energieerzeugung durch die liebe Sonne promoviert, als die meisten Menschen Solarzellen nur vom Taschenrechner kannten. Seitdem ist Sonnenenergie hundertmal billiger geworden – ein Watt gibt’s bereits teilweise für zehn Cent. Trotz der vor allem finanziellen Zugänglichkeit dämpft Krauter die Erwartungen. Dabei rechnet er mit zwanzig Millionen Balkonen in Deutschland: "Wenn man sagt, es hat jetzt wirklich jeder ein Balkonkraftwerk, dann wären wir bei 12,8 Terrawattstunden. Das entspricht ungefähr 2,4 Prozent des deutschen Stromverbrauchs." Dennoch würden die kleinen Kraftwerke zur Netzentlastung beitragen. Und überhaupt sei es auf diese Weise möglich, die Energiewende für sich selbst erlebbar zu machen. Statt gesamtgesellschaftlich, dürfte sich der Nutzen ohnehin eher ganz individuell bemerkbar machen:
2. Kann ich richtig viel Geld sparen?
Mehrere hundert Euro im Jahr sollten bei einer leistungsfähigen Anlage schon drin sein. Damit haben sich bei der derzeitigen Marktlage die Anschaffungskosten auch flink amortisiert. Kommt natürlich auf den aktuellen Strompreis an. Und zum Beispiel darauf, ob man es im besten Falle schafft, die Wäsche dann zu waschen, wenn die Sonne auf die Paneele donnert – das Gegenteil zum einstigen Nachtstrom, sozusagen.
Die Bedingungen sind freilich nicht immer ideal. Also gehen wir das Ganze mal realistisch an und rechnen mit folgenden Werten: Anschaffungskosten 400 Euro, Strompreis 35 Cent pro Kilowattstunde, Standort (wichtig für die Sonnenstunden) Thüringen, Ausrichtung nach Westen, Montage aufrecht am Balkon, keine Verschattung. Wer es jetzt schafft, fünfzig Prozent des erzeugten Stroms direkt zu nutzen, hat die Anschaffungskosten in fünf Jahren drin. Die Ersparnis liegt im ersten Jahr bei 92,40 Euro beziehungsweise nach zehn Jahren bei 924 Euro. Immerhin 634 Kilogramm CO2 können vermieden werden. Okay, komplizierte Rechnung mit vielen Variablen – setzen Sie hier gern Ihre eigenen ein, ganz ohne Mathe-Nachhilfe.
Eine Einspeisevergütung gibt es im Übrigen nicht. Aber eine andere Idee: "Jetzt gibt es natürlich die Möglichkeit, Energie zu speichern, dass man abends die Tagesschau dann mit Batteriestrom anschauen kann", so Krauter. Solche Akkus machen die ganze Anlage deutlich teurer, auf lange Sicht aber effizienter. Generell lohne es sich, sagt Stefan Krauter, bei den Paneelen auf bewährte Qualität zu setzen und nicht auf das Billigste, sofern möglich. Dann könne man auch von einer guten Haltbarkeit von vielen Jahren ausgehen und tue gleichzeitig umso mehr für den Klimaschutz. Wem das alles zu wenig und wer in Besitz einer Immobilie ist, sollte hingegen über eine Dach-Photovoltaik-Anlage nachdenken. Aber das ist ein anderes Thema.
3. Balkonkraftwerk vom Discounter – bin ich naiv? (Oder muss ich den Wechselrichter wechseln?)
Das Billigangebot von Discounter-Ketten muss man nicht pauschal verteufeln, meint Andreas Schmitz, aber aufpassen solle man. Er muss es wissen. Schmitz ist eigentlich Ingenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Seine 350.000-Abos-starke YouTube-Gemeinschaft kennt ihn aber vor allem als "Akkudoktor", als der er ehrenamtlich versucht, "die Energiewende ein bisschen voranzutreiben." Aller Bescheidenheit zum Trotz hat er auf seinem zugehörigen Webangebot zusammen mit anderen YouTubern einen großen Dienst an der Balkonkraftwerksmenschheit getan. Und sich dem in der Vergangenheit wohl größten Balkonkraftwerksärger überhaupt gewidmet: Wechselbedürftige Wechselrichter.
Wechselrichtiger – da geht es eigentlich schon um sicherheitskritische Geschichten, teilweise aber auch IT-Sicherheitssachen
Wechselrichter sind das zentrale elektronische Bauteil eines Balkonkraftwerks und wandeln den Gleichstrom aus dem Paneel in haushaltsfähigen Wechselstrom. Es gibt hier massive Qualitätsunterschiede einer Vielzahl von Herstellern unter noch mehr Marken. Einigen Geräten musste sogar die Betriebserlaubnis entzogen werden. Schmitz und Team haben eine Vielzahl von Wechselrichtern unter die Lupe genommen. "Da geht es eigentlich schon um sicherheitskritische Geschichten, teilweise aber auch IT-Sicherheitssachen, teilweise aber auch wirklich Geräte, die einfach nicht funktionieren, oder die sehr oft ausfallen." Hinzu kommt: Nicht jeder Wechselrichter kann die gleiche Energiemenge umwandeln (Wirkungsgrad) – wäre ja schade drum. Vor dem Kauf ist ein Blick auf den Hersteller des gelieferten Wechselrichters und ein Abgleich mit Schmitz’ Onlinedatenbank auf jeden Fall zu empfehlen. Zudem lohnt es sich, zu prüfen, ob die mitgelieferten Kabel ausreichen oder Verlängerungen notwendig sind. Und auch ein Blick auf die gelieferte Halterung ist ein Muss:
4. Ja, hält das denn auch? (Und muss es ein Balkon sein?)
One fits all mag ein Träumchen sein, aber das bleibt es auch, selbst wenn der Vermarktungstext auch hinsichtlich der Montage sonnige Zeiten verspricht. In einer Welt mit mannigfaltigen Balkonvarianten gibt es eben auch mannigfaltige Halterungen. Ob die mitgelieferte passt – gute Frage, ausprobieren, aber nicht traurig sein, wenn eine Nachbestellung notwendig wird. "Auch bei der Halterung kann ich nur empfehlen, da vielleicht lieber ein paar Euro mehr auszugeben", sagt Schmitz, "da geht es wirklich darum, dass das stabil ist." Denn bei der nächsten klimawandelbedingten Extremwettersituation mit Tornado oder zumindest Orkanböen kann ein lommelich-labiles Paneel ein ernsthaftes Sicherheitsrisiko bedeuten. Für deren Schäden die Person haftet, von dessen Balkon es abhandengekommen ist. Eine Haftpflichtversicherung ist also Pflicht – und die Versicherung sollte vorab über die Anlage informiert werden.
Generell gilt zu überlegen, wo das Kraftwerk seine Arbeit verrichten soll, und das muss kein Balkon sein. Die Dinger heißen nur so, weil es gar so gemütlich gutbürgerlich klingt. Aber generell eignen sich alle Flächen, an denen Paneele sicher angebracht werden können. Am besten senkrecht: Das macht sie weniger anfällig gegen Wind und im Winter ertragreicher. Der Maximalertrag ist dann zwar geringer, aber dafür fließt der Strom übers Jahr gleichmäßiger.
5. Balkonkraftwerk: Darf ich überhaupt?
"Alle Flächen" bedeutet im Übrigen auch, dass sich mit Balkonkraftwerken die Fassaden in denkmalgeschützten Gründerzeitvierteln zünftig aufpeppen lassen. Damit rechnet zumindest der Verein Balkon.Solar, weil so eine Anlage "a) reversibel ist und b) der sichtbare Eingriff deutlich geringer als eine Dachanlage. Zudem sind Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien privilegiert." Eine sichere Rechtslage gibt es aber bisher nicht. Auch noch nicht bei der Frage, ob Hauseigentümer und Vermieterinnen dem Projekt Balkonstrom einen Strich durch die Rechnung machen dürfen. Hier fehlt noch das Go vom Bundesrat, aber Andreas Schmitz ist zuversichtlich, dass Mieterinnen und Mieter bald grundsätzlich ohne Zustimmung ein Balkonkraftwerk aufhängen dürfen. Diese Auffassung teilt auch der Verein Balkon.Solar. Und das Aufstellen innerhalb des Balkons ist sowieso kein Problem.
Fass ohne Boden – Förderungsfass mit Boden: Wichtige Links zum Thema Balkonkraftwerk
Je näher die Anschaffung der ersten Steckersolaranlage rückt, desto mehr Fragen tun sich naturgemäß auf:
- Umfassende Informationen in jeder erdenklichen Hinsicht liefert eine Art Balkonkraftwerks-Fibel, jetzt ganz frisch von Schmitz, Krauter und weiteren Fachleuten, die es als PDF kostenfrei, gegen Spende oder gedruckt zum Selbstkostenpreis zu beziehen gibt.
- Die Verbraucherzentralen checken derweil ab, was Normen und Gesetze zurzeit vorsehen.
- Balkon.Solar widmet sich den drängendsten Fragen in einem FAQ.
- Die Volkshochschulen bieten inzwischen Online- und Präsenzkurse zum Thema.
- Und auch wenn der Beitrag zur Energiewende nur gering ist, wird die Teilumsattlung auf selbstgemachte grünen Strom mitunter gefördert. Das ist, so wie es sich gehört, überall unterschiedlich, aber Verwirrung gehört bei Balkonkraftwerken eben dazu: In Sachsen werden Steckersolaranlagen zum Beispiel pauschal mit 300 Euro von der Aufbaubank bezuschusst, in Leipzig gibt es für Mietende ebenfalls eine kommunale Förderung, für Geringverdienende sogar 500 Euro. Bei Fragen zu den Fördersäckeln hilft Finanztip weiter.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 02. August 2024 | 17:10 Uhr
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