Spinnenkunde (Dornfinger-)Spinnen: Kann man die mögen?
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29. September 2020, 20:27 Uhr
Autsch! Zwei Bisse, neun tote Spinnen: Jennifer S. aus Leipzig hat die Nase voll. In ihrer Wohnung hat sie es mit der Cheiracanthium Mildes, einer Art der Dornfingerspinne zu tun, eine Art, deren Gift auch Menschen schmerzt. Nur, kann das sein? Ein Arachnologe ist skeptisch.
Sie gehören zu den artenreichsten Tiergruppen der Welt, und trotzdem können viele sie nicht leiden, abgesehen von den Menschen, die sich der Spinnenforschung, der Arachnologie, widmen: Spinnen.
Dr. Peter Jäger ist von Beruf Spinnenforscher. Im Dienste der Wissenschaft lässt er sich bisweilen von Spinnen beißen, zum Beispiel von Cheiracanthium Mildes oder Cheiracanthium Punctorium. Diese Dornfingerspinnen sorgen immer mal wieder für Schlagzeilen, wenn sie und Menschen sich in die Quere kommen. Deshalb gelten sie gemeinhin als "bissig", aber man sollte sich das mal genauer anschauen.
Bissige Spinnen? Eine Frage der Betrachtung
Richtig ist: Die Spinnen sind wehrhaft. Mit ihrem ein- und ausklappbaren Dorn an ihren beiden Kieferklauen vorne am Kopf, den Cheliceren, können sie tatsächlich in die menschliche Haut eindringen und Gift injizieren. Das passiert aber höchst selten, sagt der Arachnologe Dr. Peter Jäger im Gespräch mit MDR Wissen und würde am liebsten gar nicht über Spinnenbisse reden. Oft würden die nämlich auch verwechselt mit Flohstichen oder denen von Gnitzen. Aber dann packt er doch noch aus. Der Biss der Mildes sei "tatsächlich delikat gewesen", erzählt Jäger im Gespräch mit MDR Wissen. Aber nicht, weil er so schmerzhaft war, sondern:
Weil man diese kleine Spinne so vorsichtig halten muss, dass sie an einer zarten Stelle durch die Haut beißen kann. Dann verspürte man so etwas wie ein Brennnesselbrennen. Das ging relativ schnell wieder, nach 15 Minuten war der ganze Spuk vorbei.
Beim Ammen-Dornfinger, einem anderen Typus der Cheiracanthium-Spinnen, ist das anders, räumt Jäger ein:
Die kommen sehr wohl und gut durch unsere Haut. Da ist es tatsächlich so, dass so ein Schmerz bis zu zwei Tage anhalten kann, dann aber ohne Nachwirkungen wieder verschwindet.
Vielleicht ist es bei so einem schmerzhaften Kontakt mit einer Dornfingerspinne ähnlich wie mit einem Wespenstich: Bei manchen Menschen klingt die Reizung in kurzer Zeit ab, bei anderen juckt der Stich tagelang und die Haut bleibt geschwollen. Davon kann Jennifer S. aus Leipzig ein Lied singen. Sie hat bereits zwei schmerzhafte Begegnungen mit der Mildes hinter sich:
Der Biss 2019 hatte sich entzündet, und wurde schließlich von einer Hautärztin mit einer Antibiotikasalbe behandelt:
Es war ein richtiges Loch in der Mitte, und drumherum ein dicker, geschwollener Hautwulst.
Drei Wochen lang dauerte es der Leipzigerin zufolge, bis die Entzündung abgeklungen war. Diese Spinne hatte die 35-jährige getötet und fotografiert. Arachnologe Dr. Peter Jäger, dem wir die Fotos der Spinnentiere schicken, bestätigt, dass es sich um Dornfingerspinnen handelt:
Das sieht alles nach Cheiracanthium aus.
Dass die Leipzigerin schon zweimal gebissen wurde – für den Arachnologen kaum denkbar. Jennifer S. ärgert die Skepsis, sie und ihr Mann haben inzwischen sieben Exemplare in der Wohnung erschlagen. Am 23. September schickte sie uns ihr jüngstes Fundstück: Eine Mildes, die es sich im Badezimmer in einem zusammengefalteten Handtuch gemütlich gemacht hatte. Und dort jämmerlich verendet war. Vielleicht gar kein so ungewöhnliches Versteck, in freier Natur kuscheln die gelblichen Spinnen ihre Wohngespinste auch in eingerollte Blätter.
Können Spinnen im Bad überleben?
Ob Badezimmer oder Wohnzimmer: alles ungewöhnliche Habitate, jedenfalls für die Mildes. Normalerweise leben die Cheiracanthium im Gras auf Wiesen und versorgen sich da mit Nahrung. Können die in einer Wohnung überhaupt überleben? Sieben bis acht Monate brauchen sie nach dem Schlüpfen, um geschlechtsreif zu werden. Und sie brauchen Futter. Da ist der Forscher skeptisch, was das Habitat "Wohnung" angeht:
Für ganze Populationen in so einer harschen Umgebung bräuchte es schon sehr viele Schädlinge und Lästlinge wie Motten, Silberfischchen. Dann wäre das eine tolle Wohnung, jedenfalls aus Sicht der Spinne.
Lebensmittelmotten, die weit verbreiteten Lästlinge, die an der Wand schmierige Flecken hinterlassen, wenn man sie erschlägt: "Ja", sagt die zweifache Mutter, "haben wir". Und setzt nach: "Es waren mehr, bevor wir die sieben Exemplare erschlagen haben." Wieviel Nahrung so eine Dornfinger-Spinne täglich verputzt?
Jäger lacht. "Man denkt immer, wir wüssten in Deutschland alles über Spinnen." Was genau und wieviel die Mildes verputzt, kann er nicht sagen. Tatsächlich weiß man aber: Spinnen sind echte Fressmaschinen. Sie vertilgen pro Jahr bis zu 800 Millionen Tonnen Fleisch - zum Teil in Form von Insekten, aber auch Kleintieren. Doppelt so viel wie wir Menschen.
Der Spinnenforscher sagt, wir sollten generell lieber auf die faszinierenden Aspekte von Spinnen schauen. Das fängt an bei ihren Netzen: "Architektonische Meisterwerke", findet der Arachnologe. Trichternetze, Baldachinnetze, Radnetze, sogar Spinnen mit Wurfnetz gibt es.
Wem es schwerfällt, sich auf die architektonische Schönheit von Spinnennetzen zu fokussieren oder die spannenden Fangtechniken zu würdigen, dem rät Jäger trotzdem:
Wer wirklich Angst oder Ekel vor einer Spinne hat, für die ist das beste Gegenmittel, ein bisschen genauer hinzuschauen. Man kann das Tier in einem Glas einfangen, wo es nicht entkommen kann, und einfach mal beobachten: Was macht die Spinne denn überhaupt?
Zum Beispiel die Zitterspinnen, die das ganze Jahr in unseren Häusern wunderschön zu beobachten seien:
Wenn man die zum Beispiel gegen das Licht beobachtet, kann man fast durchschauen und den Darm und die Innereien sehen.
Zitterspinnen, so heißen die mit den langen Beinen. Aber wie viele Spinnenarten kennen wir eigentlich überhaupt mit Namen? Und warum wissen wir so wenig über Spinnen? Es gibt auch keine Citizen Science Projekte und ähnliche Zählungen wie zum Beispiel beim "Insektensommer", wenn der NABU zum Zählen und Melden von Sechsbeinern aufruft. Solche Aktionen wie Vogel- oder Insektenzählungen sorgen immer auch dafür, dass man beim Suchen den Blick für die einzelnen Arten schärft und neue kennenlernt.
Wie man den Blick für die Schönheit der Spinnenwelt schärft
Wer sein Herz für Spinnen und ihre Vielfalt entdecken will, sollte einen Blick in den Online-Atlas der Arachnologischen Gesellschaft werfen.
Und wer dann doch einmal ein besonders spannendes Exemplar findet und fotografiert, sagt Peter Jäger, kann es der Spinnenforschungsgemeinschaft auch schicken und den Fundort melden. Oder er macht es wie die Leipziger Familie von Jennifer S., die dank ihrer achtbeinigen Mitbewohner unfreiwillig in die Welt der Spinnen eingetaucht ist. Bei einem Kokon auf dem Balkon, zwischen Lavendel, Clematis und Kräutern haben sie kürzlich den Kadaver einer Spinne entdeckt, die aussah wie eine Mildes. Und unter dem Tisch in der Küche fanden sie kürzlich auch noch einen Kokon, erzählt die Leipzigerin. Und da haben sie kurzen Prozess gemacht:
Als wir den Spinnen-Kokon gefunden haben, haben wir den in ein Beobachtungsglas gesteckt. Und beobachten jetzt, was da wohl rauskommt.
Auch wenn darin keine Dornfingerspinnen heranwachsen, denn die Spinne, die sich unter dem Küchentisch häuslich eingerichtet hatte, war eindeutig schwarz.
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