Aufatmen wegen Corona? Keine Übersterblichkeit in Deutschland, aber...
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23. April 2020, 19:41 Uhr
Die drastischen Bilder von Turnhallen voller Kranker, oder gar voller Särge mit Toten, wie in Italien und Spanien, sind uns in Deutschland erspart geblieben. Also alles nicht so schlimm, hierzulande keine Spur von Übersterblichkeit? Dann ist ja alles in Butter, könnte man meinen. Aber Virologen warnen.
Tatsächlich gibt es in Mitteldeutschland derzeit keine Anzeichen für eine überdurchschnittliche Sterbe-Rate durch das Coronavirus. Nach MDR AKTUELL Recherchen in Standesämtern waren zum Beispiel in Dresden in der ersten April-Woche 135 Menschen gestorben, zwei weniger als im Vorjahreszeitraum. Leipzig registrierte mit 125 Verstorbenen 40 weniger. Zwickau meldete 34 Tote, im Vorjahreszeitraum dagegen 42. Und beim Statistischen Landesamt Sachsen-Anhalt wurden im kompletten März in Sachsen-Anhalt weniger Tote gezählt als im Vorjahres-Monat.
Also alles nicht so schlimm? Vom großen Auftamen kann noch keine Rede sein, meinen Experten. Virologe Christian Drosten warnt zum Beispiel im Gespräch mit dem NDR: "Wir hatten einen Vorsprung, aber wir sind dabei ihn zu verspielen". Auch Virologe Alexander Kekulé in Halle warnt davor, die Corona-Gefahr zu unterschätzen. Die europäischen Statistiken zeigten, dass die allgemeinen Sterbe-Raten dort extrem hoch seien, wo Corona die Gesundheitsversorgung überlastet habe, so in Italien, Frankreich und Spanien.
Und auch in Großbritannien. England und Wales meldeten Anfang April sogar so viele Todesfälle in einer Woche wie zuletzt vor 20 Jahren: Die britische Statistikbehörde ONS registrierte 18.516 Tote - fast 8.000 mehr als im Fünfjahres-Durchschnitt.
Insgesamt starben auf der Insel allein in Krankenhäusern nachweislich mit dem Covid-19 infizierte 17.300 Menschen. Und da sind die, die in Privathaushalten oder Pflegeeinrichtungen starben, noch nicht erfasst, so die Behörde.
Woher kam der "deutsche Vorsprung"?
Aber warum hatten wir eigentlich diesen Vorsprung? Drosten zufolge hat die Politik in anderen Ländern erst reagiert, als massive Todesfälle zeigten, dass man das Virus schon ernsthaft im Land hatte. "In Deutschland haben wir diesen Monat nicht verpasst, weil wir so früh und so breit mit der Diagnostik begonnen haben." Auf anfängliche Zufallsbefunde sei schon im Januar reagiert worden, schon im Februar war Deutschland vollkommen in der Lage, das Virus weitflächig zu diagnostizieren.
Dem Robert Koch-Institut (RKI) zufolge waren in Deutschland bis Ende März etwa 920.000 Corona-Tests gemacht worden, in einer einzigen Woche im März waren es 350.000 Tests. Je früher eine Infektion erkannt ist, um so früher kann man reagieren und auch die Kontaktkette - mögliche weitere Infizierte - informieren und testen. Das erhöht die Überlebenschance. "Deutschland gehört heute zu den ganz wenigen Ländern weltweit, bei denen die Zahlen wirklich gerade rückläufig sind", so Drosten. Er beobachtet die derzeitigen Lockerungen und deren mögliche Auswirkungen in Deutschland daher sehr kritisch: "Und jetzt plötzlich sehen wir diese Geschichten von Einkaufsmalls, die wieder voller Leute sind."
Übersterblichkeit - in Spanien ist sie deutlich sichtbar
Ob sich bald ein ähnliches Bild in Spanien zeigt? Dort hatte man langsamer auf das Virus reagiert, erst Mitte März wurden Schulen und Universitäten geschlossen. Heute ist Spanien eines der am stärksten betroffenen Länder mit inzwischen mehr als 22.000 Covid-Toten (Stand 23.04.). Das Land registriert klar eine Übersterblichkeit im Zeitraum 17. März bis 19. April. Dem spanischen Gesundheitsministerium zufolge wurden in dem Zeitraum 63.676 Tote in Spanien gezählt - fast 30.000 mehr als es für diesen Zeitraum zu erwarten waren. Die Übersterblichkeit der Männer lag dabei bei gut 13.000 über den regulär zu erwartenden Todesfällen in diesem Zeitraum: 32.018 statt knapp 20.000 Bei den Frauen war die Übersterblichkeit in dem Zeitraum um 10.000 erhöht, anstelle der zu erwartenden knapp 18.000 toten Frauen starben 29.770. Aber ob diese Zahlen das tatsächliche Bild wiedergeben?
Darüber wird auch in Spanien hitzig debattiert. Ein Grund dafür - die verschiedenen Regionen liefern vereinzelt oder unregelmäßig neue Daten. Ein anderer: Das Gesundheitsministerium änderte im April seine Zählmethodik. Wurden zunächst bestätigte Verdachtsfälle erfasst, werden seit 17. April Ergebnisse von PCR-Tests (also Rachen-Abstrichen) und Antikörper-Schnelltests gezählt und Informationen, ob Corona-Symptome auftreten oder nicht. Aber was bedeuten nun die früheren Zahlen - angesichts dieser Methodik-Änderung bei laufender Pandemie, fragt sich "El Mundo". Die spanische Transparenz-Organisation "Civio" kritisiert, dass die Zahlen zur Pandemie über verschiedenste Kanäle gesammelt werden, von Webseiten autonomer Regionen, mal aus Pressemitteilungen, mal aus sozialen Medien. Die aktuellen Zahlen zeigt beispielsweise der öffentlich- rechtliche Anbieter RTV hier an - unterschieden wird in bestätigt infiziert, erkrankt, genesen, gestorben.
Wie werden sich Ansteckungs-, Erkrankungs- und Todesraten nun in Spanien entwickeln? Der "Shutdown" für Kinder wurde jetzt gelockert, erstmals seit Mitte März dürfen sie wieder mit ihren Eltern einkaufen und spazieren. Die nächsten Wochen werden zeigen, welche Auswirkungen das hat.
(lfw)
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