Corona-Stillstand Bessere Luft und trotzdem mehr Feinstaub?
Hauptinhalt
22. April 2020, 13:13 Uhr
Weniger Verkehr, Stillstand in vielen Betrieben. Der Corona-Shutdown bedeutet auch: Weniger Abgase, weniger Stickstoffdioxide. Und diesen Unterschied kann man jetzt überall messen. Trotzdem gibt es teilweise erhöhte Feinstaubwerte. Ein Widerspruch?
Die Zahlen sind eindeutig, sagt Andreas Richter vom Institut für Umweltphysik an der Universität Bremen. Über Deutschland und über weiten Teilen Europas ist die Stickstoffdioxid-Belastung im April um 30 Prozent geringer als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. "Wir sehen in allen betroffenen Ländern, also Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, systematische Abnahmen, die sich verstärkt haben. Nach den politischen Maßnahmen, die getroffen wurden."
Sentinel-5P schaut aus 824 Kilometer Höhe
Das klingt gut. Ist aber nur der Blick von ganz oben, genauer gesagt, aus 824 Kilometer Höhe. Denn dort umkreist Sentinel-5P die Erde und misst die Schadstoffe.
Das heißt, ich kann nicht unmittelbar daraus schließen: Wie hoch ist die Konzentration von Stickstoffdioxid in Bodennähe da eben genau, wo es für uns als Menschen gesundheitsgefährdend ist.
Denn die Schadstoffkonzentration hängt von vielen Faktoren ab und kann regional oder lokal sehr unterschiedlich sein. Messungen, die das Umweltbundesamt (UBA) durchgeführt hat, führten genau zu diesem Ergebnis. In einer Stichprobe habe Dauerts Team in den vergangenen Wochen bereits alles gesehen: deutlich gesunkene und annähernd gleichgebliebene Schadstoffwerte, aber vereinzelt sogar gestiegene Werte.
Für diesen einen Peak in der morgendlichen Berufsverkehrs-Spitze kann man natürlich vermuten, dass es Menschen gibt, die bewusst vom ÖPNV, vielleicht auf das eigene Auto umgestiegen sind, um die persönliche Ansteckungsgefahr zu reduzieren.
Erst Ende des Jahres, wenn genügend Daten zusammengekommen sind, wird man sich dazu ein genaues Bild machen können. Der europaweit festgelegte Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft bezieht sich ja auch auf das gesamte Kalenderjahr und nicht auf einzelne Tage. "Es ist davon auszugehen, dass der Straßenverkehr in einigen Wochen wieder auf das übliche Maß oder sogar darüber ansteigt", sagt Dauert.
Und was ist mit dem Feinstaub?
Müsste nicht auch die Feinstaubkonzentration zurückgehen, wenn wegen Corona vieles still steht? Und wenn das nicht so ist, zeigt das dann nicht, dass Dieselfahrverbote Quatsch sind? Klingt nach einer großen Story, die auch immer noch durchs Netz geistert. Und tatsächlich gab es zum Beispiel in Bayern im März hohe Feinstaubwerte auch nach dem 23. März.
Die Realität ist - wie so oft - ein wenig komplizierter. Denn Feinstaub hat seine Ursachen nicht nur im Verkehr, sondern zum Beispiel auch in der privaten Nutzung von Kaminöfen oder in der Landwirtschaft. Gerade im Frühjahr entsteht er beim Düngen von Feldern. Daher sind die Feinstaubwerte derzeit mancherorts erhöht, obwohl die NO2-Konzentration gesunken ist.
Und auch das Wetter spielt beim Feinstaub eine wesentliche Rolle. Wie die Recherchen des BR Faktenfuchses für Bayern zeigen, haben die hohen Werte Ende März gleich mehrere Gründe: eine ausgeprägte Inversionswetterlage, bei der es in Bodennähe kaum Luftaustausch gab. Zudem sei mit dem Ostwind trockene, staubige Luft nach Bayern gelangt, die schon länger nicht mehr von Regen ausgewaschen wurde. Und im Süden Bayerns könnte ab dem 27. März sogar noch Sahara-Staub dazugekommen sein. Aber auch das sei eben nur eine Momentaufnahme. Wie bei den Stickoxiden gilt auch für den Feinstaub: Erst ein Blick auf einen längeren Zeitraum, zum Beispiel ein Jahr, bringt verlässliche Aussagen.
Links und Quellen
Der BR Faktenfuchs zur Frage: Ist wegen der Coronakrise die Luft besser?
Satellitenbilder der European Public Health Alliance (EPHA) zeigen die Verringerung der Schadstoffe über Europa.
Der Satellit Sentinel 5P der ESA und seine Bilder.
(gp)