Studie zu Polizeigewalt Die Polizei und ihr unbewusster Rassismus
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11. November 2020, 17:53 Uhr
Forschende der Ruhr-Universität Bochum haben untersucht, wie People of Color, Menschen mit Migrationshintergrund und Weiße Personen polizeiliche Gewalt erfahren und wahrnehmen. Dabei konnten sie klare Unterschiede bei den Diskriminierungserfahrungen erkennen und sprechen von einem strukturellen Problem. Die einzelnen Beamten würden ihr eigenes rassistisches Handeln gar nicht als solches erkennen.
Im Projekt Kviapol - kurz für "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen" - der Ruhr-Universität in Bochum beschäftigt sich ein Forschungsteam eigentlich mit rechtswidriger Polizeigewalt. Doch im Rahmen der Untersuchungen haben sie auch Diskriminierungserfahrungen untersucht. In einem Zwischenbericht hat das Team jetzt erste Ergebnisse aus diesem Teilbereich der Untersuchung veröffentlicht.
Diskriminierungserfahrungen unterscheiden sich
Im Rahmen des Forschungsprojekts hat das Team seine Probanden auch nach ihren Erfahrungen mit Diskriminierungen gefragt und diese dann miteinander verglichen - aufgegliedert in die Gruppen PoC, Weiße Personen und Menschen mit Migrationshintergrund. Die Daten für diese Untersuchung stammen der Universität zufolge aus einer nicht repräsentativen Online-Befragung von Menschen, die nach eigenen Angaben polizeiliche Gewalt erfahren hatten, die sie als rechtswidrig einstuften, sowie aus Experteninterviews.
PoC (People of Color)
PoC - kurz für People of Color - ist eine Selbstbezeichnung von bzw. für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff beschreibt also nicht nur eine nicht-weiße Hautfarbe, sondern umfasst
auch die dahinterstehenden Machtverhältnisse und
die damit verbundenen Folgen wie Diskriminierung oder Abwertung.
Weiß / Weißsein Der Begriff Weiß (groß oder kursiv geschrieben) bezeichnet keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft. Amnesty International
Menschen mit Migrationshintergrund Eine Person hat laut Statistischem Bundesamt einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt. Das heißt, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund als Weiß gelesen werden können, weshalb die Studie explizit eine Unterscheidung zu PoC vornimmt. Umgekehrt gibt es auch PoC, die keinen Migrationshintergrund haben.
Das Fazit des Forschungsteams in dem Bericht: PoC und Menschen mit Migrationshintergrund waren unterschiedlich von Polizeigewalt betroffen, die sie als rechtswidrig wahrgenommen haben, und nahmen sie anders wahr als Weiße Menschen oder Personen ohne Migrationshintergrund.
Laut Zwischenbericht haben 62 Prozent der befragten PoC angegeben, sich von der Polizei diskriminiert gefühlt zu haben, bei den Personen mit Migrationshintergrund waren es 42 Prozent. Bei Menschen ohne Migrationshintergrund seien es aber nur 31 Prozent gewesen. Aber woher könnte das Gefühl bei den PoC kommen? Das Forschungsteam legt dar, dass unter anderem die Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen bei den Betroffenen zu der Annahme geführt hätte, dass sie aufgrund von äußeren Merkmalen - und damit auch aufgrund rassistischer Vorurteile - anders als Weiße behandelt werden.
Dafür spricht durchaus auch, dass PoC deutlich häufiger aufgrund von Personenkontrollen mit der Polizei in Kontakt gekommen sind. Das sei bei 28 Prozent der befragten PoC der Fall gewesen, bei Menschen mit Migrationshintergrund 22 Prozent und bei Weißen Personen 14 Prozent.
Außerdem berichteten die beiden Gruppen von stärkeren psychischen Folgen nach der Gewaltsituation. Dennoch entscheiden sich die Betroffenen trotz der als unrechtmäßig empfundenen Gewalt nur selten für eine Anzeige gegen Polizeibeamte. Allerdings sei das auch bei Menschen ohne Migrationshintergrund nicht anders: Nur neun Prozent aller Befragten hätten im Anschluss an das Erlebte eine Strafanzeige erstattet. Allerdings haben dem Forschungsteam zufolge PoC häufiger als Weiße angegeben, dass ihnen entweder von einer Anzeige abgeraten wurde (64 Prozent zu 54 Prozent) oder dass eine Anzeige bei der Polizei verweigert wurde (21 Prozent zu 10 Prozent).
Struktureller bzw. institutioneller Rassismus Struktureller bzw. institutioneller Rassismus meint, dass gesellschaftliche oder institutionelle Strukturen (z.B. Regelungen, Praxen) dazu führen, dass Menschen oder bestimmte Gruppen von Menschen aufgrund phänotypischer oder vermuteter kultureller Merkmale abgewertet oder benachteiligt werden. Das heißt, dass nicht (ausschließlich) Einstellungen der handelnden Personen dazu führen, dass PoC und Personen mit Migrationshintergrund diskriminierende Erfahrungen machen, sondern strukturelle und institutionelle Bedingungen. Kviapol - Zweiter Zwischenbericht
Der unbewusste Rassismus
Die befragten PoC in der Kviapol-Studie hätten außerdem explizit rassistische Äußerungen von Polizistinnen und Polizisten beschrieben. Allerdings weist das Forschungsteam darauf hin, dass die Studie keine generellen Aussagen treffen könne, wie verbreitet dieses Problem in der Polizei ist. Dafür brauche es weitere Forschung.
Auf der anderen Seite haben die Forschenden auch qualitative Interviews mit Polizistinnen und Polizisten geführt. Dabei habe sich gezeigt, dass diese ihr Handeln wiederum häufig gar nicht als rassistisch verstehen. Die Unterschiede zwischen der Behandlung von Weißen Personen und PoC werde aus polizeilicher Sicht häufig nicht als rassistische oder diskriminierende Ungleichbehandlung wahrgenommen, heißt es weiter. Die Interviewten würden sich in ihrem Arbeitsalltag auf Erfahrungswissen stützen - ihr eigenes und das von Kolleginnen und Kollegen. Dieses Wissen könne aber auch Stereotype über bestimmten Gruppen umfassen, so die Forschenden.
Problematisch ist solches Erfahrungswissen, wenn auf diese Weise bestimmten Personen oder Gruppen pauschal bestimmte Eigenschaften – wie etwa eine mangelnde Akzeptanz der Polizei, andere Moralvorstellungen, eine besondere Kriminalitätsbelastung – zugeschrieben werden und dies das dienstliche Handeln beeinflusst.
Das Forschungsteam weist auch darauf hin, dass diese Vorurteile und Einstellungen den einzelnen Polizistinnen und Polizisten nicht bewusst sein müssen. Dementsprechend schließen die Forschenden in ihrem Fazit auf ein strukturelles Problem in der Deutschen Polizei:
Die Befunde zeigen zudem, dass die Benachteiligung von People of Color und Personen mit Migrationshintergrund nicht allein ein individuelles Problem einzelner Polizeibeamtinnen und -beamten darstellt. Es handelt sich ebenso um ein strukturelles Problem polizeilicher Praxis.
Allerdings merken sie an: Das bedeute nicht, dass die Polizei als Ganzes von diesem strukturellen Rassismus betroffen sei. Dennoch handle es sich bei rassistischem und diskriminierendem Verhalten nicht um zufällige Erscheinungen bei einzelnen "schwarzen Schafen". Vielmehr sei das ein Problem, das auch aus den Strukturen der Organisation Polizei entstehe, schreibt das Forschungsteam. Dazu zählten etwa bestimmte Aufgaben, die Art und Weise ihrer Umsetzung sowie der Umgang mit Fehlern.
(kie)
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